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Rollbalken zu

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„Handwerk hat goldenen Boden” — aber nicht mehr in Wien. Den ohnedies mit Schwierigkeiten über Schwierigkeiten kämpfenden Gewerbebetrieben sollen weitere Probleme geschaffen werden.

Die grundsätzlich unternehmer- feindliche Haltung der Gemeinde Wien und des ehemaligen Finanzstadtrates und jetzigen Bürgermeisters Slavik — die U-Bahn- Steuer — droht dem Wiener Gewerbe nämlich erst jetzt richtig das Lebenslicht auszublasen. Slavik, der mit dem Bundeszuschuß zum U-Bahn-Bau von 2,4 Milliarden Schilling nicht genug bekommen konnte, bedrängt die Unternehmer Wiens seit dem 1. Jänner 1970 mit dieser Steuer: zehn Schilling pro Kopf ln der Woche (etwa fünfhundert Schilling je Angestellten jährlich) müssen für jeden Betriebsangehörigen ads Baubeitrag in den teuren Wiener Boden gesteckt werden.

In SBö-Kreisen kolportierte man damals das sehr einleuchtende Argument: „Was wolln S’ denn? Zehn Schilling in der Wochen, das ist doch nur ein Packl Zigaretten.” Dieses „Packl Zigaretten” bewirkte allein schon, daß der Baukostenindex in Wien um 1,3 Prozent stieg, was wieder bedeutet: es können heuer achtzig Wohnungen weniger hergestellt werden.

Die Bedenken der Öffentlichkeit, die nicht nur verfassungsrechtlicher, sondern auch wirtschaftspolitischer Natur waren, finden heute ihre traurige Bestätigung: Der Wiener Stadtverwaltung ist es gelungen, allein vom 1. Jänner 1970 bis zum

31. Dezember 1970 2949 Gewerbebeitriebe in die Knie zu zwingen. Ein trauriger Rekord. Es ist ja noch erstaunlich, daß sich im vergangenen Jahr dennoch 1772 Unternehmer an eine Neugründung wagten. Diese Zahlen bedeuten aber dennoch der» bisherigen Tiefstand. Erst in sehr großem Abstand folgen in dieser Pleitebilanz die übrigen Bundesländer.

Während die Rollbalken hier und da und dort in Wien für immer geschlossen werden, zeigen sich auch schon die ersten negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt. Während die Beschäftigungslage in den Bundesländern zunimmt, registriert man in der Bundeshauptstadt einen starken Rückgang der Be- schäftigtenziffem.

Seit 1964 wurden Wiens Bevölkerung und Unternehmer mit etwa 900 Millionen Schilling pro Jathr zusätzlich belastet. So mancher Betrieb, der in Niederösterreich ein sorgenfreies Dasein führen könnte, wurde so auf die unterste Rantabtilitätsstufe verdrängt. Das Ergebnis: eine führende deutsche Wirtschaftszeitung „Der Volkswirt” meint — und leider nicht zu Unrecht: „Investoren, die nach Österreich kommen wollen, sollten um Wien einen Bogen machen, zumindest so lange dort eine U-Bahn gebaut wird. Und das dürfte immerhin zwanzig Jahre dauern…”

Wenn es so weitergeht, wird die Gemeinde Wien jedenfalls von den kleinen Gewerbetreibenden keine Steuern mehr einheben können — denn die könnten bereits ausgerottet sein…

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