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Zwei evangelische Kirchen in Deutschland?

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Der Riß geht offener als je durch die Kirchen Westdeutschlands: Der „Gemeindetag unter dem Wort“, vor etlichen Wochen in Dortmund zu Ende gegangen, kündigte dem „Deutschen Evangelischen Kirchentag“ endgültig oder doch bis auf weiteres die Freundschaft auf. Dort, in Berlin beim Kirchentag, werde doch nur die Linkslastigkeit, Verpolitisierung und damit Bekenntniswidrigkeit des offiziellen deutschen Protestantismus offenbar. So die „Evangelikalen“ in Dortmund. Warum also sich mit denen scheineinig machen, die ihrerseits den Evangelikalen ohnehin nicht über den Weg trauen?

Die Lage scheint heillos verworren zu sein - und ist doch nur ein getreues Spiegelbild der zwei Grundströmungen, die bereits bald nach der Reformation auftauchten und seither den Protestantismus immer wieder zu spalten versuchten: Fromme, pietisti- sche und oft genug selbstgenügsame Kirche hier - weltoffene, theologisch bewegliche und oft genug dem Zeitgeist verfallene Kirche dort. Unter anderen Voraussetzungen erfaßte diese

Doppelgleisigkeit auch die übrige Welt, nicht zuletzt die Schweiz. Die Unzahl von Konventikeln und Sondergemeinschaften verdanken sich vor allem diesen Spannungen.

Der Kirchenkampf der Hitlerzeit schien die beiden divergierenden Richtungen endgültig vereint zu haben. Das „Barmer Theologische Bekenntnis“ von 1934 war die Zäsur. Fromm und weltoffen, bekenntnisfreudig und politisch engagiert, theologisch den Vätern und zugleich der kritischen Forschung verpflichtet - das schien von jetzt an kein Wiederspruch mehr zu sein. Die großen Kirchentage bis zum Beginn der sechziger Jahre waren die Fortsetzung, ihre geistlichen Führer, von Thadden- Trieglaff und Giesen, waren Erben zugleich der landeskirchlichen, pietisti- schen und nicht zuletzt der vom Kirchenkampf gehärteten Frömmigkeit.

Dann kam der Bruch, langsam, aber unübersehbar. Die Kirchentage wurden zum Auditorium Maximum einer Unzahl von kirchlich Frustrierten und dafür um so mehr politisch und gesellschaftlich Interessierten - die Evange likalen wanderten aus, veranstalteten ihre eigenen Gemeindetage und ver- legtęn sich einseitig auf BibėJ und Bekenntnis, auf Glaube ns Stärkung und Festschreibung des Bestehenden. Jetzt, nach dem Dortmunder Treffen, ist dieser Bruch unübersehbar geworden - Deutschland hat zwei evangelische Kirchen.

Man täusche sich nicht: Die „Bekennenden“ haben weit über die Teilnehmer an ihren Gemeindetagen hinaus ein Heer von Sympathisanten - und dies wiederum nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland. Die Palette ist schillernd. Liturgisch Engagierte gehören ebenso zu ihnen wie radikale Liturgiegegner, baptistisch Taufgesinnte ebenso wie jene Randsiedler, denen jede Öffentlichkeitsverantwortung der Kirchen als Anmaßung erscheint. „Die Kirche“ - das ist ihr gemeinsamer Gegner, an der sie sich wundreiben. Und dies, obwohl gerade der jetzige leitende Bischof dieser Kirche, Helmut Claß aus Stuttgart, ein Mann ist, dem Frömmigkeit und Weltoffenheit keine Gegensätze sind.

Wie kann, wie soll es weitergehen? Vielleicht hilft ein weiteres Gesundschrumpfen der Kirchen, freiwillig und ohne staatliche „Nachhilfe“ wie in den kommunistischen Ländern? In der überschaubar gewordenen Gemeinde zählen ohnehin nur Einsatz und nachprüfbare Überzeugung.

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