Der Kirchentag zum Reformationsjubiläum

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Vom 24. bis 28. Mai fand in Berlin und in Wittenberg der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Hunderttausenden Teilnehmern ging es darum, den christlichen Glauben als Position, Provokation und Ermutigung in die Gesellschaft einzubringen und einzuüben.

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Vom 24. bis 28. Mai fand in Berlin und in Wittenberg der 36. Deutsche Evangelische Kirchentag statt. Hunderttausenden Teilnehmern ging es darum, den christlichen Glauben als Position, Provokation und Ermutigung in die Gesellschaft einzubringen und einzuüben.

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Wie fühlt sich das an, wenn der deutsche Protestantismus zum Kirchentag einlädt? Das Stichwort "Kirchentag" weckt oft eindeutige Assoziationen: Posaunenchöre, überfüllte Nahverkehrsmittel und darinnen Menschen mit dem obligatorischen Kirchentagsschal, Bühnen auf zentralen Plätzen und ganze Schulen, in denen Matratzenlager für die Kirchentagsgäste ausgewiesen sind oder Veranstaltungen stattfinden. Überwiegend finden die Veranstaltungen auf dem Messegelände statt, wo es Hallen gibt, die spielend mehrere Tausende Zuhörer fassen können.

Am vergangenen langen Wochenende war es also wieder so weit. Tausende Menschen aus der ganzen Republik und über die Grenzen hinaus - Junge, Alte, Bildungsbürger, eigentlich ganz wesentlich Bildungsbürger - landeten in der deutschen Bundeshauptstadt. Der Ort lässt schon aufmerken: In Berlin ist derzeit die Institution Kirche und mit ihr auch der christliche Glaube -anders als in manchen anderen deutschen Regionen -in einem unübersehbaren Sinkflug begriffen.

Der Kirchentag ist mehr als die Kirche

Der "Deutsche Evangelische Kirchentag" ist mehr als Kirche. Protestantisches Selbstverständnis und protestantische Weltverantwortung kommen in einer sichtbaren, unüberhörbaren Weise in dieser Großveranstaltung zusammen. In Medien wird der Kirchentag oft mit "alle zwei Jahre stattfindendes Glaubensfest" umschrieben, was aufgrund der weiten Palette und aufgrund der Verschiedenheit der Teilnehmer nicht ganz zutreffend ist. Es geht um mehr als um Feier des Glaubens. Nur wie sollte man vom Kirchentag berichten? Jeder einzelne Teilnehmer macht sich aus Hunderten von Veranstaltungen die je eigene Zusammenstellung, was aufgrund der Distanzen einer Großstadt für sich schon eine Herausforderung ist. Es gibt nicht die gemeinsame Wahrnehmung und so kann im Grunde jeder nur von dem je eigenen Format berichten, im Sinne von "mein Kirchentag" - was tatsächlich immer wieder in kleinen Statements in Abendgebeten oder Gottesdiensten dargeboten wird.

Was hat denn Glaube und Politik miteinander zu tun? Wer so fragte, würde im Geistumfeld des Kirchentages auf peinlich berührtes Unverstehen stoßen. Denn auf dem Kirchentag gehören das Gespräch mit Andersdenkenden und die Suche nach gelebtem Christsein in Politik und Gesellschaft unlöslich zusammen. Immer wieder kommt die Diskussion auf, warum überhaupt die öffentliche Hand auf indirekte und direkte Weise dieses Fest nicht unmaßgeblich fördert.

Ob da denn nicht der Gleichheitsgrundsatz gefährdet ist, fragen Kritiker. Und die ohnehin hohen Kosten sind in diesem Jahr durch Sicherheitsmaßnahmen noch einmal höher geworden. Man kann getrost auf die Förderung von Gastronomie und Kaufkraft und die kulturellen Angebote verweisen - das ist schon gewaltig. Im Grunde genommen aber stehen die Kirchentage für Förderung der Sprachfähigkeit einer Gesellschaft. Damit sind sie in einer auseinandertriftenden Gesellschaft absolut förderungswürdig.

Auf dem Gendarmenmarkt gab es den langen Tisch der Religionen. Da standen Vertreter der Glaubensrichtungen: Der Bahaipriester neben Franziskanerbrüdern neben Sikh-Anhängern neben einem jüdischen Rabbiner wiederum neben Vertretern mit der Bezeichnung "Pagane". Sie wollen als Heiden gesehen und anerkannt werden. Als "Paganen" stellen sich zwei Frauen vor - eine "Druidin" und eine "Hexe in Ausbildung", wie sie sagen - die darauf hinweisen, dass es so viel mehr zwischen Himmel und Erde gibt, als der Mensch verstehen könnte. Darauf ließe es sich auf dem Kirchentag verständigen: Die unverrechenbare unsichtbare Welt.

Bundespräsident auf dem Boden sitzend

Auf dem Kirchentag stellen sich Menschen aus Politik, öffentlicher Verantwortung und Kultur der Begegnung. Ja, sie wollen eingeladen werden, kommen und präsent sein. Da diskutieren Fernsehmoderatoren und Mitglieder des Kabinetts; da kommt sogar der Großscheich der al-Azhar-Universität in Kairo, Ahmad al-Tayyeb und - das große Zugpferd in diesem Jahr - Barack Obama. Der Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger trifft auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, moderiert vom Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland Heinrich Bedford-Strohm und der Präsidentin des Kirchentages Christina Aus der Au. Wie selbstverständlich feiert Bundespräsident Frank Steinmeier den Abschlussgottesdienst mit und ist sich dort nicht zu schade, auf dem Boden sitzend der Predigt zu folgen.

Genau genommen ist der Kirchentag kein Treffen der Kirchenleitungen und der Bischöfe, sondern es ist ausdrücklich ein Laientreffen mit einer langen Tradition, die auf das kirchliche Versagen im Dritten Reich zurückgeht. Um Weltverantwortung wahrnehmen zu können, braucht es Spielregeln und auf diese kommt es wesentlich an: Den Andersdenkenden ausreden lassen und ihm zunächst einmal unterstellen, dass es auch ihm um die tragenden Werte des christlichen Abendlandes geht. Und in allem nach der Bedeutung Gottes und der Rolle des Glaubens zu fragen. Dies schließt auch ein, Rechtspopulisten ausreden zu lassen. Wenn es so einfach wäre.

Beim Kirchentag gab es dazu neue Formate: "Planspiele". An mehreren Diskussionstischen finden über zwei Stunden hinweg Rollenspiele statt. Man stelle sich vor, bei einer Wahl zum Kirchengemeinderat stehen Vertreter einer Partei zur Wahl, die ihren Kritikern als rechtspopulistisch gilt. Da sind besorgte Gemeindemitglieder, die fordern, diese Personen gar nicht zur Wahl zuzulassen und von der Liste zu streichen, da ist ein vermittelnder Pfarrer und andere, die - in je ihrer Rolle - so gar nicht freundlich argumentieren. Am Ende des Rollenspiels steht dann doch der Kompromiss: Die beiden vermeintlich rechtspopulistisch Ausgerichteten dürfen kandidieren und zugleich braucht es in der Gemeinde mehr Bildungsangebote zum Umgang mit Konflikten, mit Kommunikation und mit Toleranz.

Erstaunlich, wie viele junge Menschen sich eigens dafür angestellt habe, um mit zu üben an der Schnittstelle von Kirche und Gesellschaft. Fast so etwas wie ein Kirchentag im Kleinen oder wie ein Hinweis darauf, was weitergeht, wenn die echte Bewährung zuhause in der Gemeinde ansteht. Ganz sicherlich werden von dieser Themenstellung noch einige weitere Impulse ausgehen.

Der Protestantismus zieht sich nicht zurück, sondern begibt sich mitten hinein. Er bewahrt die alten Worte der Heiligen Schrift und die Kraft der gottesdienstlichen Feiern wie einen Schatz und bejaht zugleich die Gegenwartskultur und damit auch die gesellschaftliche Vielfalt innerhalb der Kirche samt der unterschiedlichsten Teilhabeformen -auf die Gefahr hin, darin aufzugehen, am Ende sich nicht mehr abzuheben und nicht mehr aufzufallen. Dies hingegen war jetzt in Berlin nicht der Fall.

Am Ende wurde fröhlich gefeiert. In Wittenberg war es wirklich ein lebendiges und verbindendes "Glaubensfest". Mag sein, dass man sich ein paar Teilnehmer mehr gewünscht hätte. Doch auch beim Abschlussgottesdienst in der Lutherstadt kommen weit über 100.000 Menschen zusammen, um eine Botschaft mit nach Hause zu tragen.

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