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Grazer Impressionen

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Bischöfe am Handy, Gottesdienste, Veranstaltungen und Diskussionen - viel mehr als zu überblicken war: trotz aller Spannungen jedoch mehr Gemeinsames als Trennendes ...

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Bischöfe am Handy, Gottesdienste, Veranstaltungen und Diskussionen - viel mehr als zu überblicken war: trotz aller Spannungen jedoch mehr Gemeinsames als Trennendes ...

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Österreichs Bischöfe, so sie angereist waren und keine liturgischen Funktionen wahrzunehmen hatten, überblickten die Eröffnungsfeier von den Fenstern des angrenzenden Palais. So blieb ihnen das kurze Regenintermezzo erspart, das aber den Beginn einer Woche Versöhnung nicht wirklich zu beeinträchtigen vermochte.

Der Himmel hielt sich generell an die Auflage, bei den Veranstaltungen im Freien mit Freundlichkeit zu glänzen — jedenfalls nicht durch Gußorgien zu stören. Der eine oder andere Regennachmittag war gerade notwendig, um der Vielfalt der Woche auch wettermäßig zu entsprechen.

Kein Teilnehmer von Graz '97 kann von sich behaupten, einen einigermaßen vollständigen Überblick über das Gebotene erhalten zu haben, geschweige denn überall gewesen zu sein. Verzweifelte Journalisten begegneten einander mit der Frage, ob es zur gleichen Zeit nicht etwas wichtigere! anderes gebe, und ob man nicht gerade auf der falschen Veranstaltung sei. Schon allein die vielen Häuser und Zentren - Ökumenisches Dorf, Haus der Gastfreundschaft, Friedenshaus, Frauenzentrum, Welthaus usw. - in denen ihrerseits wieder Unzähliges stattfand, waren für einzelne unbe-wältigbar. Soweit man feststellen konnte, waren die meisten Workshops, Hearings und Dialogforen gut bis bestens besucht, und auch auf der „Agora der Versöhnungsinitiativen", wo sich Initiativen von Aktivisten gegen die Tierfolter bis zu christlichen Esperanto-Fans präsentierten (nebst vielen spirituellen und basispolitischen Gruppierungen), herrschte reges Treiben.

Trotz der offiziellen Sitzungen, in denen Delegierte der Kirchen um Schlußdokumente stritten, wurde durch die Vielfalt der Ereignisse ein ständiges Aneinandergeraten von Kirchenoberen und -unteren gewährleistet. In den einzelnen Heimatkirchen und -diözesen dürften die Distanzen zwischen Hirten und Herden größer sein, als sie es in Graz waren; neben der vielbeschworenen alten Tradition in manchen Kirchen blieb auch die Moderne nicht ungenutzt: in irgendeiner Ecke war immer ein Bischof zu finden, der per Handy mit den Seinen kommunizierte.

Auch geistliche Auseinandersetzung war wesentlich. Morgengebete oder sogenannte „Bibelarbeiten", die sich als vorgetragene Bibelauslegungen zweier Angehöriger verschiedener Kirchen entpuppten, füllten Säle und Zelte. Fast in Widerspruch zu den Diskussionen um die Schlußbotschaft der Versammlung wurde Ökumene hier konkret.

Die Gastgeber taten das Ihre: Bewirtung bei Eröffnung und Schluß durch steirische Pfarren, Fest-„Plätze", die Österreichs Diözesen am letzten Abend gestalteten, machten die Ökumenische Versammlung tatsächlich zum Fest. Am Freitagnachmittag luden 85 verschiedene Initiativen und Gemeinden - nicht nur aus Graz, sondern aus der ganzen Steiermark, von Kärnten bis ins Südburgenland und nach Slowenien - zur Begegnung ein.

Auch das Frauenzentrum mitten in der Stadt war Treffpunkt für viele, nicht nur Frauen. Von der Diskussion mit Israelinnen und Palästinenserinnen bis zur Frauenliturgie galt es, einen Blick auf die Frauenspiritualität in verschiedenen Ebenen zu werfen.

Mitunter geschah Symbolisches auch ungewollt: Sonntag, acht Uhr, vor der Schlußfeier findet eine Vielzahl „konfessioneller" Gottesdienste statt. In der evangelischen Kreuzkirche sind 400 versammelt, um an der Abendmahlsfeier unter Leitung eines katholischen, eines evangelischen und eines altkatholischen Pfarrers teilzunehmen. Die gekommen sind, sind keine „Untergrundchristen", sogar ein katholisches Mitglied der offiziellen österreichischen Delegation ist zu entdecken: Die Teilnehmer wol -len gerade bei der Eucharistie Zeichen der Einheit setzen - auch wenn Kirchenleitungen damit (noch) nicht einverstanden sind: Als die drei Pfarrer den Einsetzungsbericht sprechen, schlägt eine Turmuhr zur Dreiviertelstunde; vielleicht dauert es zum vollen Stundenschlag auch zwischen den Kirchen doch nicht mehr lang ...

Einige Zeit später treffen 20.000 zum Schlußgottesdienst zusammen. Beim Blick vom Podium über die Menschenmenge hinweg sticht der Stacheldrahtzaun um die Grazer Polizeidirektion ins Auge: Schubhäftlinge - Gefangene, die nichts verbrochen haben - sitzen dort, wird kurz gesagt. Ein mutiges Zeichen, an diesem Ort über Versöhnung zu jubeln. Ob die politische Implikation in der allgemeinen Euphorie der Schlußfeier bemerkt wurde? Doch oder gerade diese Dimension gehört zur Versöhnung: „Kommt, macht das Leben gerecht", lautet eine der Zeilen des „Versammlungsliedes", das alle auch bei diesem Gottesdienst gesungen haben.

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