Politischer, als ihnen lieb war

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Vor 70 Jahren setzten mit der "Barmer Erklärung" deutsche Protestanten ihren ersten Meilenstein gegen die NS-Ideologie. "Illegale" der Bekennenden Kirche von damals erinnern sich.

Für uns war das wie Brot, wie Lebensbrot. Ich wäre nicht im kirchlichen Dienst geblieben ohne diese Barmer Theologische Erklärung." Ruhig, langsam und ohne Pathos erinnert sich die heute 92-jährige Ilse Härter an die Zeit ihres Theologiestudiums. Hier wird nicht verklärt, sondern ganz nüchtern aber bestimmt festgestellt: So war das eben.

In Tübingen während ihres Theologiestudiums wurde sie - wie sie sagt - vom 30. Jänner 1933, dem Tag, an dem Adolf Hitler Reichskanzler wurde, "überrascht". Viele ihrer Dozenten gehörten zu den Deutschen Christen. Diese Gruppe innerhalb der evangelischen Kirchen wollte die nationalsozialistische Ideologie mit dem christlichen Glauben zu einem arischen und "heldischen" Christentum verbinden. Härter wechselte den Studienort und ging nach Königsberg, wo sie Professoren kennen lernte, die für eine andere Kirche standen.

In Königsberg hörte sie auch von der Synode, die am 31. Mai 1934 in der alten Kirche in Barmen, dem heutigen Wuppertal, eine Erklärung mit sechs Thesen veröffentlicht hatte: die Barmer Theologische Erklärung. Da war für Ilse Härter klar: "Das ist die Richtung, zu der ich gehöre."

Nationale Kirche

Das Jahr 1933 hatte für den deutschen Protestantismus rasante Veränderungen gebracht. Im nationalen Überschwang sollte aus den 28 Landeskirchen eine Reichskirche mit einem Reichsbischof geschaffen werden. Die Landeskirchen sollten - analog zum politischen Prozess - in die Reichskirche "eingegliedert" werden. Bei den ersten reichsweiten Kirchenwahlen im Juli 1933 konnten die Deutschen Christen in vielen Gebieten Mehrheiten gewinnen.

Aber einige Gemeinden und ihre Pfarrer wehrten sich dagegen, dass nun auch in der Kirche das "Führerprinzip" gelten solle. So wurden Vertreter aus allen deutschen Landeskirchen zur "Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche" nach Barmen eingeladen.

"Unamtlich", aber historisch

"Viele sagten damals: Wir wissen gar nicht, ob das erlaubt ist", erinnert sich Wolfgang Scherffig, der im Mai 1934 in Marburg Theologie studierte. Die Synode sei ganz "unamtlich" zusammengekommen, so Scherffig.

"Unamtlich" vollzog sich das kirchenhistorische Ereignis, dass zum ersten Mal in der Geschichte des deutschen Protestantismus Vertreter von lutherischen, reformierten und unierten Kirchen zusammenkamen und ein gemeinsames Bekenntnis verfassten - lange bevor lutherische und reformierte Kirchen miteinander Abendmahl feiern konnten.

Herausgekommen sei ein "großartiges Wort". Wolfgang Scherffigs Stimme wird eindringlich, fast beschwörend.

Er ist sichtlich bewegt, als er die sechs Barmer Thesen auf dem Sofa seiner kleinen Wohnung in einer Seniorenresidenz zusammenfasst. Eine christliche Kirche habe nur Sinn, wenn sie sich allein an Christus orientiere; zu Christus gehöre immer eine Gemeinde, die eine andere Gesinnung habe als die Welt drum herum.

Und "die ganz wichtige fünfte These", wo es um das Verhältnis der Kirche zum Staat geht. Den ersten langen und verschachtelten Satz der fünften These kann Scherffig noch aus dem Kopf zitieren: "Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen."

Mit langem Atem hat Scherffig alle Betonung auf die letzten beiden Substantive gelegt: "für Recht und Frieden zu sorgen". Deswegen war die Grundeinstellung Hitlers "hinfällig für uns", resümiert Scherffig. Aber er muss auch zugeben: Damals 1934 "war die politische Frage noch außen vor". Die kirchliche Opposition formierte sich unter dem Slogan: "Kirche muss Kirche bleiben" und hielt den Streit mehrheitlich für ein reines Kirchenthema, so Scherffig. Die politische Erkenntnis über den wahren Charakter des NS-Staates habe sich erst langsam Bahn gebrochen.

Verhasster "ReiBi" Müller

Wenn auch noch keine Auseinandersetzung mit dem Staat gesucht wurde, den Kampf gegen den verhassten "ReiBi", den Reichsbischof Ludwig Müller, hatten die Bekenner von Barmen aufgenommen. Sie behaupteten, die wahre Deutsche Evangelische Kirche zu sein. Wer dazugehören wollte, musste eine grüne oder rote Mitgliedskarte unterschreiben. Es kam zu Spaltungen in Gemeinden und Presbyterien. Pastoren, die zur Bekennenden Kirche gehörten, kamen in die Bredouille: Sie unterstellten sich einer eigenen Bekenntnis-Kirchenleitung, führten ihre Kollekten dorthin ab - und wurden trotzdem von den Konsistorien der "offiziellen" Kirche bezahlt und oftmals auch reglementiert.

Es waren die jungen Theologiestudenten wie Ilse Härter und Wolfgang Scherffig, die auf eine klarere Trennung von der Reichskirche drängten: Sie wollten nicht in die Loyalitätskonflikte ihrer älteren Kollegen kommen.

Deshalb baten sie die Leitung der Bekennenden Kirche, dass sie ihre theologischen Prüfungen und ihr Vikariat bei der Bekennenden Kirche leisten könnten und nicht unter der Aufsicht der "offiziellen" Konsistorien: Diese jungen Theologen wurden die so genannten "Illegalen". Ohne eine gesicherte Stellung lebten sie von den Spenden der bekennenden Christen und von der Courage einiger älterer Pfarrer, die sich einen jungen "Illegalen" an die Gemeinde holten.

"Ich habe bis 1945 keinen einzigen Pfennig aus Kirchensteuermitteln bekommen", erzählt Scherffig stolz.

Aber je länger der "Kirchenkampf" dauerte, desto kompromissbereiter wurde auch die Bekennende Kirche. Im Rheinland drängte die Leitung der Bekenntniskirche die jungen Theologen schließlich, sich beim Konsistorium "legalisieren" zu lassen. Man hatte Angst vor der finanziellen Verantwortung gegenüber den "Illegalen". Schließlich habe er dem Drängen nachgegeben und gegen Ende des Krieges einen Legalisierungsantrag beim Konsistorium gestellt, seufzt Scherffig. Aber: Er habe nie eine Antwort vom Konsistorium bekommen. Und verschmitzt fügt er hinzu: "Auch wenn ich es freundlich formuliert habe."

Politische Konsequenzen

Nur wenige Bekenntniskirchler zogen politische Konsequenzen aus der Barmer Erklärung: Eine der wenigen war Ilse Härter.

Ihr war die zweite These der Erklärung besonders wichtig: Dass Jesus Christus Gottes Zuspruch und Anspruch auf das ganze Leben sei und kein Lebensbereich davon ausgenommen werden dürfe. Den Zuspruch Gottes habe sie erlebt, als sie mit "wackeligen Knien" im Gestapo-Verhör saß und doch ruhig und schlagfertig reagieren konnte.

Der Anspruch bedeutete für sie, dass sie keinen Eid auf Hitler leistete, dass sie keinen Ariernachweis vorlegte, dass sie half, Juden zu verstecken. "Der Anspruch Gottes war für mich nie begrenzt auf den innerkirchlichen Bereich."

Ein Erlebnis geht ihr dabei nicht aus dem Sinn. Sie atmet ein wenig tiefer, als sie es erzählt: Ein Gestapo-Mann klingelte am Pfarrhaus, in dem Härter als junge Theologin mit der Pfarrfamilie mitlebte. Sie öffnete die Tür und wurde gefragt, ob sie Frau Neumann, die versteckte Jüdin, sei. Wahrheitsgemäß sagte sie Nein'. "Und im selben Augenblick habe ich gedacht: Ich hätte Ja' sagen müssen."

Die Jüdin wird gefunden, der Pfarrer ins Rathaus geladen und gefragt, ob er denn nicht wisse, dass die Gesuchte eine Jüdin sei. Er sagte, wie vorher mit der jüdischen Frau verabredet, er hätte sie für ein Berliner Bombenopfer gehalten - und fühlt sich nachher genauso schuldig wie Ilse Härter: Er wirft sich vor, dass er die Polizisten nicht angeschrieen hat: Ich wusste dass sie Jüdin war, ihr Verbrecher. "Was hätten Sie getan?", fragt Härter und sagt dann in ihrer ruhigen und bestimmten Art: "Jedenfalls haben wir da dem Anspruch nicht genügt. Also das muss ganz klar sein."

Nichts zur Judenverfolgung

Nach dem Krieg wurde auf das Versäumnis hingewiesen, dass in der Barmer Erklärung nichts zur Judenverfolgung gesagt wurde. Inzwischen steht wenige Meter neben der Barmer Kirche eine neue Synagoge. Das Grundstück hat die evangelische Kirche der jüdischen Kultusgemeinde geschenkt.

Auch ein Zeichen für die christliche Schuld: Wir hätten früher politisch werden müssen.

Dervollständige Text der Theologischen Thesen der Barmer Erklärung ist im Internet zu finden unter: www.ekd.de/initiative/7587_7804.html Wie viele deutsche Landeskirchen so hat auch die Evangelische Kirche A. und H.B. in Österreich die Barmer Erklärung in ihrer Verfassung als "verbindliches Zeugnis für ihren Dienst" anerkannt.

Mitgliedskarte bei den

Deutschen Christen:

Parallel mit dem National

sozialismus vollzog sich im

deutschen Protestantismus der

Aufstieg der Deutschen Christen.

Bei den Kirchenwahlen im

Juli 1933 erreichten diese in fast

allen Kirchengremien die Mehrheit. Das wahre Antlitz zeigte diese

Gleichschaltungsorganisation

des Dritten Reiches bei der

Kundgebung im Berliner

Sportpalast am 13. November

1933, wo gefordert wurde,

das Alte Testament

aus der christlichen Bibel

zu entfernen.

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