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Drama ohne Tragik

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DER TOD DER TRAGÖDIE. Von George Steiner. Übertragen von Jutta und Theodor Knust. Albert Langen-Georg Müller-Verlag, München, 1962. 303 Seiten. Preis 9.80 DM.

Was den vorliegenden Band vor allem auszeichnet, ist sein inniges Verhältnis zur Realität, in diesem Fall zur Praxis, zu Drama und Bühne. In der Widmung (an seinen Vater) betont der Autor, daß er in seinen Betrachtungen und deren Grundlagen weit mehr vom Theater und von der „großen Kunst“ als vom bloßen Fachspezialistentum herkommt. Und das ist gut so, denn von den theoretischen Überlegungen aus gingen in jüngster Zeit eine stattliche Reihe derartiger oder doch artverwandter Untersuchungen. Der Verfasser hat zudem erkannt, daß es „ein weites und schwieriges Gebiet“ ist, das er da begeht.

Insgesamt gebraucht Steiner die chronologische Methode zu seiner These und Erkenntnis, daß das Drama der Neuzeit letztlich kein echtes tragisches Geschehen mehr sein kann. Das Faszinierende an der Darstellung ist in erster Linie die außerordentliche und „internationale“ Kennerschaft der Materie: kühn verfolgt er seine ursprünglichen Vermutungen, ohne indes die Dinge mit Gewalt oder Manier den sich herauskristallisierenden Thesen unterzuordnen. Der Band bietet organisch gewachsene Erkenntnisse, wobei auf alle Neueinsätze in der Geschichte des (abendländischen) Dramas 6tets mit erneuter Sorgfalt eingegangen wird. Steiner erstarrt mit seinen gewonnenen und insgesamt schwerlich zu widerlegenden Kenntnissen auch keinesfalls im Gegenwärtigen oder im kulturkritischen Pessimismus („Schließlich sollte vor unserm Geist die Möglichkeit stehen ..., daß das tragische Theater ein neues Leben und eine Zukunft vor sich haben könnte“, S. 291). Ob man freilich zur griechischen Tragödie, zu „Argos“, zurückfinden wird und kann, ist eine andere Frage. Es ist dem Autor aber bestimmt positiv anzurechnen, daß er insbesondere in der Wertung modernster Bühnenstücke (zum Beispiel Becketts) seine eigene Ungewißheit eingesteht.

Es gäbe zahlreiche gutgelungene und prägnant-konzentrierte Urteile und Einsichten hervorzuheben (etwa die Parallele des marxistischen Optimismus mit gewissen mittelalterlichen Vorstellungen, oder dann der kühn-kritische Angriff auf Claudel, auf O'Neills „geistigen Vandalismus“, S. 269, auf Yeats mythologische Versuche — um nur einige Aspekte in der Moderne herauszugreifen).

Die Zitate finden sich in der Originalsprache und in deutscher Übertragung, was vor allem deshalb begrüßt werden darf, weil dadurch das Buch so einem weiteren Kreis, eben dem echten Theater- und Schauspielbesucher, zugänglich gemacht wurde. Ein Namen- und Titelregister arbeiten desgleichen mit dieser wohlverständlichen und durchaus berechtigten Absicht.

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