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Bilanz
War die vorösterliche Reise der von Bundeskanzler Klaus geführten österreichischen Regierungsdelegation nach Moskau ein Erfolg oder ein Mißerfolg? Wenn wir dem Presseecho aus dem Regierungslager vertrauen, so hören wir ersteres, während uns die publizistischen Sprecher aus dem Lager der Opposition von dem Gegenteil zu überzeugen suchen.
Wir aber glauben, daß die Frage falsch gestellt ist. Erfolg oder Mißerfolg sind nämlich nur an den Vorstellungen zu messen, mit denen man zur Fahrt in die Metropole der UdSSR aufgebrochen ist beziehungsweise mit denen man da oder dort diese Reise begleitet hat. Wenn es galt, die Vertrauensbasis zwischen dem Regierungschef beziehungsweise zwischen dem verantwortlichen Leiter unserer Außenpolitik und ihren sowjetischen Gesprächspartnern zu verbreitern, so wird ohne Zweifel die Bilanz der Moskauer Mission dieses Frühjahrs mit einem positiven Vorzeichen versehen werden dürfen. Dasselbe gilt weit über das Persönliche hinaus für das Interesse und — es ist nicht zuviel gesagt — für die Sympathie, deren unsere Donau-und Alpenrepublik, ungeachtet des Größenunterschiedes und der verschiedenen gesellschaftlichen Verhältnisse in der UdSSR heute sicher sein kann. Mit wem immer man in der Zwischenzeit von der Regierungsdelegation sprach, alle zeigten sich von diesen Tatsachen auf das stärkste beeindruckt. Österreich besitzt ohne Zweifel in Moskau heute einen „good will“, von diem hierzulande auch in manchen Kreisen, die sich gern als „politische“ apostrophieren lassen, nicht genügend Vorstellung vorhanden ist.
Etwas anders sieht das Ergebnis der Moskauer Reise aus, wenn man es mit den Augen jener betrachtet, die wir einmal schon als „Integra-tions-Maximalisten“ (vgl. „Die Stunde der Wahrheit“, „Furche“ vom 3. Dezember 1966) charakterisiert haben. In der EWG-Frage ist man in Moskau unter den gegebenen Umständen nicht bereit, den bisher eingenommenen Standort zu verlassen. „Reblaus“-Wunder gehören der Vergangenheit an. Die sowjetischen Gesprächspartner waren aber bereit, dem Kanzler und seiner Begleitung ihre Bedenken gegen jede engere wirtschaftliche Bindung Österreichs an die EWG, die nach Moskauer Ansicht nicht ohne politische Folgen sein könnten, ausführlich zu begründen. Es hat den Anschein, daß der Ernst dieser Darlegungen genauso wie die Ruhe, in der sie erfolgten — von Pressionen oder Drohungen konnte keine Rede sein —, nicht ohne Eindruck auf die österreichischen Staatsmänner geblieben sind.
Den „Heimkehrern“ aus Moskau zeichnet sich ein klares Konzept für eine verantwortungsbewußte österreichische Integrationspolitik in der Zukunft ab. Eine durchaus erstrebenswerte Vereinbarung mit Brüssel zur notwendigen Beseitigung der Diskriminierung des österreichischen Handels wird dort ihre Grenze finden, wo es um Begrenzung der Souveränitätsrechte und um die Beschneidung der Möglichkeiten, mit dritten Ländern Handelsvereinbarungen zu treffen, geht. ,flie Verhandlungen mit Brüssel beginnen erst.“ So äußerte sich vor wenigen Tagen ein nicht unmaßgebliches Mitglied der Delegation, die vor Ostern in Moskau geweilt hatte. Diese Erkenntnis ist geeignet, eine neue, von den bisherigen Bemühungen etwas abgehobene, „nüchterne Phase“ der österreichischen Integrationspolitik zu eröffnen.
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