Lieben und Arbeiten

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Über die Wiederentdeckung der Familie in Zeiten sozialer Erosion.

Frank Schirrmacher dürfte, nach allem, was man über ihn weiß, nicht eben das sein, was man einen Sympathieträger nennt. Scharen namhafter Journalisten etwa haben seinetwegen das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen, für das Schirrmacher im Herausgebergremium des Blattes verantwortlich zeichnet, verlassen - und können ein Lied von ihrem Ex-Chef singen. Dazu kommt, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, hier stilisiere sich einer kraft seines Amtes zur Debattengroßmacht; oder anders gesagt: die Lust an der eigenen Person scheint bei Schirrmacher stets mindestens ebenso groß wie jene an den Inhalten der von ihm angezettelten oder mitgeführten Auseinandersetzungen. Seine öffentlichkeitswirksame Hinrichtung Martin Walsers (in Verteidigung des FAZ-Feuilleton-Übervaters Reich-Ranicki) oder die Befüllung etlicher großformatiger Feuilletonseiten mit den das entschlüsselte menschliche Genom symbolisierenden Buchstabensequenzen können dafür als Beleg genannt werden.

Unzweifelhaft aber versteht es der Mann, seinen Finger auf neuralgische Punkte unserer modernen Gesellschaften zu legen: von der Bioethik über die alternde Gesellschaft (mit seinem Bestseller "Methusalem-Komplott") bis zur grassierenden Kinderlosigkeit, der er sich in seinem jüngsten Opus (siehe auch Seite 4) widmet. Darin schreibt er so bestechend einfache und klare Sätze wie: "Die große Chance liegt darin, zu erkennen, dass das, was die Gemeinschaft im Innersten zusammenhält, nicht vom Markt, aber auch nicht vom Staat organisiert werden kann." Eben diesen sozialen Zusammenhalt sieht Schirrmacher auf ein "Minimum", so der Buchtitel, zusteuern, da die Familie als "stärkste Sozialisationsmaschinerie" (Schirrmacher) zunehmend ins Hintertreffen gerät.

Das Buch hat seine Wirkung nicht verfehlt. "Alarmismus" unterstellen ihm viele. Aber dieser Vorwurf kommt immer von jenen, welchen die jeweilige Botschaft nicht passt; für die anderen ist es "wache Zeitgenossenschaft" oder Ähnliches. Und im übrigen geht es in einer "Ökonomie der Aufmerksamkeit" (G. Franck) ganz ohne Alarmismus auch nicht. Deutschland hat jedenfalls seine Debatte, die - wie immer leicht entschärft - auch nach Österreich herübergeschwappt ist. Kaum ein Tag ohne maßgebliche Wortspende zum Thema. So hat sich beispielsweise die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst für kostenlose Kindergartenplätze ausgesprochen, Österreichs Wirtschaftsminister Martin Bartenstein sekundierte mit einem Bekenntnis zum Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen.

Das ist alles gut und wichtig, wird aber, wenn man Schirrmacher folgt, die Trendwende nicht herbeiführen können (für die, nebenbei bemerkt, auch der FAZ-Mann kein Rezept weiß). Dass der Markt nicht für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen kann, ist evident. Dass es aber auch die Politik nur in sehr bescheidenem Ausmaß vermag, ist den Menschen im staatsgläubigen Österreich (und Deutschland) schon schwerer vermittelbar.

Nein, das ist kein Plädoyer dafür, die Politik aus ihrer Verantwortung zu ent-und alles Soziale privaten Netzwerken - wie den Familien - zu überlassen, oder besser: aufzubürden. Aber es wäre ebenso illusorisch zu meinen, die Entscheidung für oder gegen Kinder sei eine bloße Funktion von Arbeitsmarkt-und Sozialpolitik. Diese Entscheidung hat vielmehr in hohem Maße mit dem Selbstbild jedes einzelnen wie einer Gesellschaft als ganzer zu tun, das natürlich stets in Wechselwirkung zu seiner medialen Darstellung steht.

In dieser Darstellung aber klaffen, erstens, die Welt der Kinderlosen und jene von Familien weit auseinander - und wird, zweitens, tendenziell suggeriert, dass das "eigentliche" Leben in Beruf wie Freizeit mit Kindern nicht kompatibel sei.

Hier müsste der Wandel zuallererst einsetzen: Es müsste der Erzählung zum Durchbruch verholfen werden, dass "Lieben und Arbeiten" (so der Titel einer Schöpfungstheologie von Dorothee Sölle) in familiären, auf Langfristigkeit und Stabilität angelegten Strukturen besser, menschengerechter aufgehoben ist als anderswo. Um solche Überzeugung kann man nur werben, erzwingen lässt sich da gar nichts.

rudolf.mitloehner@furche.at

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