Frank Schirrmacher plädiert für eine Überwindung des so genannten "Altersrassismus".
Der Ausgangspunkt ist die mittlerweile bekannte "demografische Zeitbombe'", durch die alle westlichen Industriestaaten gefährdet sind: Deutschland etwa wird im Jahr 2050 nicht nur eine sehr alte Bevölkerung umfassen, sie wird auch um 12 Millionen abgenommen haben. Der Eintritt der so genannten Babyboomer (die Jahrgänge zwischen 1950 und 1964) in das Pensionsalter werde, so Frank Schirrmacher, den Westen in eine Art "Ausnahmezustand" versetzen.
Babyboomer in Pension
Schirrmacher, Mitherausgeber der FAZ, interessiert sich weniger für die politischen, sozialen oder ökonomischen Folgen als für die geistige Krise, die auf uns zukommt. Er fordert ein neues Denken über das Altwerden; dabei gelte es, "innerhalb einer einzigen Generation einhunderttausend Jahre alte Prägungen unseres Körpers und unserer Kultur (zu) überwinden." Mit den kulturellen Prägungen meint der Autor den Rassismus gegen alte Menschen und Vorurteile gegen das Altern selbst. Letzteres sei in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu. In Fernsehen, Film und Werbung, in unserer ganzen Kultur werde eine "Ideologie des Jugendwahns" reproduziert. Der Altersrassismus zerstöre das Selbstbewusstsein älterer Menschen, schädige ihre seelische Widerstandsfähigkeit und würde tatsächlich - wie Studien belegen - ihre Lebensdauer verkürzen.
Das "Methusalem-Komplott" meint genau diese Revolte gegen Jugendwahn und Altersrassismus: "Es geht um eine Verschwörung gegen die besondere Form menschlichen Selbsthasses, die in der Diffamierung des Alters liegt. Unsere Gesellschaften können nicht überleben, wenn ihre künftigen Mehrheiten als störend, verbraucht, vergesslich und als Boten des Todes denunziert werden."
Kriegsvokabular
An Schirrmachers Arbeit stört die sensationslüsterne Aufmachung und die dramatisierende Sprache, mit der das Thema präsentiert wird. Der Autor, Jahrgang 1959, gebraucht Kriegsmetaphern, um den Ernst der Lage zu illustrieren (und wohl um die Verkaufszahlen zu steigern). Da ist von "Mobilmachung" und "Einschlägen" die Rede. Die Vorurteile über das Altern hält er für ein "furchtbares Verhängnis". Oder es heißt: "Wir sind Teilnehmer eines Expeditionskorps, das angegriffen und belagert und verfolgt wird, der Feind steht uns im Rücken und im Angesicht..."
Einiges fragwürdig
Störend ist auch fallweise die Verwendung von Vokabeln wie "Rassismus" oder "Gehirnwäsche" - als ob die Vorurteile, denen ältere Menschen sicherlich in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind, mit der Gehirnmanipulation und geistigen Zerstörung eines Individuums in Orwells "1984" oder in einem KZ zu vergleichen wäre. Manchmal finden sich auch Sätze, die unklar formuliert, vage oder nichtssagend sind. Etwa: "Wir werden unser eigenes Leben aufs Spiel setzen. Es geht um unser Leben. Doch damit geht es um alles." Diese Formulierungen sollen offenbar Dramatik erzeugen. Auf dieser Linie liegt auch die Strategie des Autors, die Leserinnen und Leser direkt anzusprechen. Weniger wäre hier mehr gewesen. Auf sachlicher Ebene ist zu fragen, ob tatsächlich alles nur Psychologie bzw. eine Frage der Einstellung sei, wie das Schirrmacher suggeriert. "Sich jung fühlen ist kein Selbstbetrug. Es ist eine Aussage, die schafft, wovon sie spricht." Hier geht Schirrmacher wohl zu weit und vernachlässigt biologische und physiologische Bedingungen.
Schirrmacher thematisiert ein sehr wichtiges Problem unserer Gesellschaft. Ihm ist zuzustimmen, wenn er Vorurteile gegen ältere Menschen anhand von zahlreichen Beispielen nachweist und anprangert. Es ist falsch, Altern nur als linearen Degenerationsprozess zu sehen. Tatsächlich stellten Untersuchungen etwa in den USA einen dramatischen, weil besonders raschen Rückgang so genannter alterstypischer Gebrechen in der Bevölkerung fest. Während in den angelsächsischen Ländern in den letzten Jahren zahlreiche Studien über "ageism" erschienen sind, haben Forschung und Öffentlichkeit in Deutschland und Österreich das Thema offenbar verschlafen.
Das Methusalem-Komplott
Die Menschheit altert in unvorstellbarem Ausmaß. Wir müssen das Problem unseres eigenen Alterns lösen, um das Problem der Welt zu lösen
Von Frank Schirrmacher
Verlag Blessing, München 2004
219 Seiten, geb., e 16,50
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