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Aktuelle und vergessene theologische Wahrheiten

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Schriften zur Theologie. Von Karl Rahner. Band Iii Benziger-Verlag, finsiedein-ZürichKöln. 399 Seiten. Preis 18.80 DM

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Schriften zur Theologie. Von Karl Rahner. Band Iii Benziger-Verlag, finsiedein-ZürichKöln. 399 Seiten. Preis 18.80 DM

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Man kann es vielleicht bedauern, daß die Zeit der großen, breitangelegten theologischen Summen oder der späteren Cursus theologici (nicht Handbücher) scheinbar endgültig vorbei ist. Dafür gibt es aber heute eine Reihe dogmatischer Einzeluntersuchungen, die man — ebenso wie in der Scholastik — wegen ihrer Aktualität und Dringlichkeit „quaestiones disputatae“ -nennen könnte. Ihr Vorzug besteht zwar nicht in einer gewissen Vollständigkeit und Breite, aber sie bestricken durch die Tiefe, mit der einzelne brennende Fragen behandelt werden. Wer wissen möchte, welche Probleme das heutige theologische Denken beunruhigen, findet auch in diesem zweiten Band eine eindeutige, wenn auch nicht aufrüttelnde Antwort. Die heutige Theologie bemüht sich um eine Klarstellung der Begriffe „Kirche“ und „mystischer Leib Christi“, wobei nach der Lehre der Enzyklika „Mystici Corporis Christi“ anfängliche Einseitigkeiten und Fehlformulierungen korrigiert werden. Nicht weniger aktuell sind die Aufsätze, die sich mit schon älteren oder ganz neuartigen Spannungen im christlichen Leben befassen, wie zum Beispiel zwischen persönlicher Freiheit und Autorität, personaler und sakramentaler Frömmigkeit, Individuum und Gemeinschaft, Freiheit und Würde des Menschen (das ursprüngliche Referat zur Vorbereitung des Katholikentages in Wien), Schuld und Schuldvergebung als Grenzgebiet zwischen Theologie und Psychotherapie, zwischen Laienapostolat und hierarchischem Apostolat, Pfarrprinzip und außerordentlicher Seelsorge. Der Verfasser charakterisiert seine Arbeitsweise selbst am besten, wenn er bezüglich des Kirchenbegriffes erklärt: „eine vorsichtige Differenzierung wird in Zukunft nicht unmöglich sein“. Vorsichtiger kann man sich nicht ausdrücken. Das Bewußtsein eigener Unzulänglichkeit und die Ehrfurcht vor der Heilswirklichkeit sind so groß, daß eine Lösung eventuell auf später verschoben und diese Möglichkeit dazu noch als nicht unmöglich bezeichnet wird. Trotzdem wird die Klarheit keineswegs beeinträchtigt.

Neben diesen aktuellen Problemen gibt es auch „vergessene Wahrheiten“, die ans Licht gezogen werden, zum Beispiel über „Binden und Lösen“ des Sünders, der im Sakrament der Buße „in den Bann getan“ bzw. „mit schwerer Schuld gebunden“ und davon dann gelöst wird, ferner über den Ablaß und die Auferstehung des Fleisches. Man muß Rahneri Darlegungen mit großer Aufmerksamkeit und Sachkenntnis lesen, um das Neue im Alten zu entdecken. Dabei fehlt es ihm, trotz seiner Vorsicht, nicht an einer erfreulichen Freimütigkeit, zum Beispiel wo er Billots Theorie über die sakramentale Wirksamkeit (titulus appellans) abweist, oder gewissenhafte Laien, die Zeitschriftenredakteure sind, ermuntert, nicht ängstlich zu sein, denn es „wäre gut, wenn der eine oder andere Leitartikel . .. ruhig und nüchtern ernst genommen und nicht als Schreiberei aufgefaßt würde“. Das oberste Gesetz dieser Untersuchungen aber bleibt Ehrfurcht vor Gottes Offenbarung, das Bewußtsein, daß die Werke Gottes „nun einmal reicher an Wirklichkeit sind, als daß dieser Reichtum durch eine kurze Formel wiedergegeben werden könnte, mag diese noch so klar und gewichtig sein“. Daraus erklären sich die vorsichtig und differenziert formulierten Erklärungsversuche, die jeder Ueber-spitztheit oder Entstellung abhold sind, weil sie der ganzen Offenbarungswirklichkeit Rechnung tragen, denn der Christ ist der „Mensch der totalen Lösung. Sie ist die schwierigste, die unübersehbarste. Den Glauben zu dieser Lösung und den Mut zu solcher Lösung schöpft er allein aus dem Wort Gottes“.

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