Amerika probt eine neue Moderne

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Modern ist, wer die Gegenwart unter die Regie der Zukunft stellt. Überlegungen eines Theologen zum Antritt von Barack Obama.

Modern ist, wer die Gegenwart unter die Regie der Zukunft stellt. "Wenn unsere Kinder bis ins nächste Jahrhundert leben, wenn meine Töchter so alt werden könnten wie Ann Nixon Cooper - welchen Wandel werden sie dann sehen? Welchen Fortschritt werden wir dann gemacht haben?"

Barack Obama ist ein Moderner, denn er erzählte in seiner Chicagoer Siegesrede eine Fortschrittsgeschichte, und er ist ein Christ, denn er erzählt sie als Sieg der Ohnmächtigen über die Unterdrücker, der Sklaven über die Sklavenhalter, der Arbeiter über das Elend, der Juden und Demokraten über die Tyrannei und der Schwarzen über den weißen Rassismus. Obama nannte übrigens auch den Weg, auf dem dies gelingt: "Wissenschaft und Vorstellungskraft". Das ist bemerkenswert, denn beide werden nicht identifiziert, sondern unterschieden und füreinander ins Spiel gebracht. Mit Obama zieht die christliche Moderne wieder ins Weiße Haus.

Das Volk stimmte zu. "Yes we can"-Akklamationen folgten der Befreiungserzählung. Weniger personal formuliert heißt das: "Alles ist möglich." Das war das zentrale Versprechen der Moderne und es war als Verheißung gemeint. Die Postmoderne kennt diesen Satz auch, aber sie hört ihn anders, eher als Drohung, und das nicht ohne Grund. Vor der Moderne gab es übrigens nur einen, der den Satz "Yes we can" sprechen durfte: Gott - oder sein Gesandter und Gesalbter, biblisch: sein Messias.

"Yes we can" der Satz des Messias

"Kann ein Messias auch regieren?", fragte die liberale Wochenzeitung Die Zeit. Ursprünglich war das genau seine Aufgabe. Die "Gesalbten Jahwes", das waren zuerst einmal die von den Propheten erwählten Könige Israels. Die Zeit meint es schlichter: Kann jemand, dem so viele Erlösungshoffnungen entgegenfliegen, auch alltägliche Politik machen? Das wird sich zeigen. Bislang spricht nichts dagegen.

Nichts kann übrigens besser vor falschem Messianismus schützen als ein Blick auf Jesus von Nazareth. Das Christentum hat den Messiastitel bekanntlich auf ihn übertragen. Wenn das, wie wahrscheinlich, erst nach dem Tod Jesu geschehen ist, gerade dann ist das eine Revolution. Denn nicht ein siegreicher, charismatischer König, sondern ein katastrophal gescheiterter Wanderprediger soll plötzlich jener sein, der den Frieden, ja den Weltfrieden wiederherstellt.

Das nämlich war die erste Aufgabe des Messias. Jesus predigte Statusverzicht und Nächstenliebe, stellte damit sowohl die Innen/Außen- wie die Oben/Unten-Schranke menschlicher Gesellschaften in Frage. Das bedeutet: Im Christentum wird der ursprünglich herrschaftsbezogene politische Messiasbegriff überstiegen, der politische Bereich aber damit nicht verlassen. Freilich wird er ganz neu gesehen. Es gilt in ihm die universale Relevanz des Partikularen, des Einzelnen, speziell der Leidenden. Das ist das Gegenteil politischer Erlösungshoffnungen, aber ein wirkliches politisches Programm.

Mit der Politik hatte das Christentum nun aber immer seine Schwierigkeiten. Erst wurde es von ihr verfolgt, dann bescherte sie ihm die Macht, ja die Vormacht. Die Moderne hat Politik und Religion wieder getrennt, vor allem wohl, weil deren Identifikation zu viel Tote gekostet hatte. Das Christentum hatte sich als Herrschaft konsolidiert und darüber zuerst die Einheit und dann ziemlich viel Autorität verloren. Das Urtrauma der europäischen Geschichte, der 30-jährige Krieg, zwang die Politik zur Emanzipation von der Religion. Von da an ging es darum, Religion und Politik kontrolliert aufeinander zu beziehen. Wo man weiter oder wieder Identifikationsstrategien fuhr, wurde es schlimm bis mörderisch, in den politischen Religionen des frühen 20. Jahrhunderts wie in den religiösen Fundamentalismen der Gegenwart.

Die Moderne hat Politik und Religion getrennt, in den USA aber ganz anders als in Europa. In den USA spielen die Kirchen eine geringe, die Religion aber eine enorme politische Rolle, bei uns ist es - zumindest im öffentlichen Leben - tendenziell umgekehrt. In Europa gab es enge und vielfältige Bündnisse von Kirche(n) und Staat, in den USA, da waren Kirche(n) und Staat immer säuberlich separiert, Religion und Gesellschaft aber stets eng und vielfältig verbunden. Das hat einen einfachen Grund: Freiheit ist im kollektiven Gedächtnis der Amerikaner eine Konsequenz der Religion, im kollektiven Gedächtnis der Europäer aber etwas, das den Kirchen abgerungen werden musste. Die "Bill of Rights" von 1776 war religiös motiviert, die Menschenrechte wurden noch knapp ein Jahrhundert später vom Papst verurteilt. Die Vereinigten Staaten begannen als religiöses, aber in seiner Religiosität plurales Projekt. Das nach-feudale Europa aber musste sich lange gegen die verfasste christliche Tradition demokratisieren.

"Yes we can" ist nur die halbe Wahrheit

Obama ist ein schwarzer Christ. Er kennt den typisch christlichen Blick auf jene unten und, wichtiger noch, er nimmt die Perspektive jener unten ein. Und er beherrscht die modernen Instrumentarien der Gesellschaftssteuerung, glaubt an die Macht und die Möglichkeit des Fortschritts. Die spezifisch amerikanische Form, wie sich das Politische die moderne Freiheit gegenüber der Religion sichert, muss nicht stören. In den USA schützt man die Freiheit der Politik eben innerhalb des Religiösen, in Europa vor dem Religiösen. Beides birgt Risiken, beides hat Chancen.

Eher schon könnte das typisch Moderne an Obama ein Problem werden. Dieses Moderne an ihm ist beeindruckend: seine für einen Newcomer schier unglaubliche professionelle Souveränität, sein gekonntes Bild- und Körpermanagement, der ganze in Handeln umgesetzte Glaube an Wissenschaft, Fortschritt, Vernunft und Effizienz. Nach acht desaströsen Bush-Jahren muss das begeistern.

Aber "Yes we can" ist eben nur die halbe Wahrheit. Das vormoderne "Nur Gott kann alles" und das postmodern-skeptische "Wir können auch ganz anders, schaut nur die Geschichte an" haben auch ein paar Erfahrungen für sich.

Obama hat zu seiner Inauguration einen gemäßigten Evangelikalen als Prediger geladen. Evangelikale haben manch merkwürdige Ansichten, aber eines muss man ihnen hoch anrechnen: Sie betonen die Demut vor Gott und die Angewiesenheit auf seine Gnade. Das ist nicht sehr modern, aber richtig. Es stellt das "Yes we can" in den richtigen Rahmen.

Der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist wirklich eine Hoffnung.

Der Autor ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Graz.

Zum Vortrag Rainer Buchers in der Reihe "Religion am Donnerstag" an der Uni Graz siehe diese FURCHE, Seite 19 unten.

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