Der Papst als Politiker?

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Er ist sich sicherlich bewusst, dass er an vielen Stellen die angestoßenen Prozesse nicht wird zu Ende führen können. (Jürgen Erbacher)

Zwei Papstbücher hat Jürgen Erbacher schon geschrieben, ganz am Anfang, 2013 ("Papst Franziskus. Aufbruch und Neuanfang") und 2014 ("Ein radikaler Papst. Die franziskanische Wende"). Der Theologe, Politikwissenschaftler und Journalist ist ZDF-Redakteur und für den Vatikan zuständig. Auf vielen Papst-Reisen war er im Journalistentross zu finden, sein Blog "Papstgeflüster" ist neben dem von Bernd Hagenkord SJ (Vatican News, vorher Radio Vatikan) eine der informativsten Quellen, die mit ihrem Hintergrundwissen und ihren Einschätzungen auf breites Interesse stößt. Der fünfte Jahrestag der Wahl des argentinischen Jesuitenkardinals Jorge Mario Bergoglio hat Erbacher nun zu seinem dritten Buch motiviert. Längst geht es nicht mehr nur um Beobachtungen zum Stilwechsel, zur immer wieder überraschenden Form der Amtsausübung. Mit seinen Schwerpunktsetzungen erweist sich Franziskus für Erbacher als "ein zutiefst politischer Papst, obwohl er kein Politiker sein möchte. Mit seinen Worten und Taten will er vor Augen führen, was es heißt, sein Leben radikal in der Nachfolge des Jesus von Nazaret zu gestalten".

Franziskus provoziert und polarisiert

"Weiter denken" meint quer denken, gegen den Strich denken, gewohnte Denkwege verlassen -mithin: ein radikales Umdenken in Kirche und Politik. Es mündet in die hartnäckige, oft unbequeme Werbung für einen nachhaltigen Lebensstil, der kommende Generationen im Blick hat. Dieser betrifft natürlich auch den Glaubensstil und eine andere Weise, Kirche zu denken und zu leben. "Der Mensch zuerst" - mit diesem Motto bringt es Erbacher auf den Punkt. Dass Franziskus damit "polarisiert" und "provoziert", in den eigenen Reihen ebenso wie in Politik und Wirtschaft, ist unübersehbar -aber so ist Bewegung in die verschiedenen Apparate gekommen. Berechenbarkeit ade, mit weiteren Überraschungen muss man rechnen!

Der "Ritterschlag für die Volksfrömmigkeit", eine arme Kirche für die Armen, Barmherzigkeit, die Transformation von der West-zur Weltkirche, die Bedeutung der "Ränder", Synodalität, Subsidiarität, Dezentralisierung, Ökumene, Autorität durch Wahrhaftigkeit, der Papst der Begegnung, der prophetische Papst: Das sind einzelne Themen. Oder die Frage: Ist der Papst ein Marxist? Und: ein Pfarrer macht Weltpolitik sowie Gerechtigkeit als Voraussetzung für Frieden. Die Kehrtwende in Sachen Todesstrafe, die den Weltkatechismus korrigiert, kommt zur Sprache als Beispiel dafür, dass nichts in Stein gemeißelt ist.

Keine Lehrverbote mehr

Trotz des innerkirchlichen Widerstands resümiert Erbacher: "Es fällt auf, dass sich mit der Dauer des Pontifikats die kurialen Stellen immer mehr in ihrer inhaltlichen Arbeit in den Dienst der päpstlichen Themen stellen." Von Lehrverboten hört man nichts mehr. Dafür lässt sich etwa von "einer neuen Balance der Schwerpunktsetzung in vielen Bischofskonferenzen" sprechen. Kirche wird nicht mehr nur mit sexualethischen Fragen verbunden.

Kritisch sieht Erbacher die Frauenfrage: Was ist da wirklich weitergegangen? Defizite bzw. Entwicklungspotential erkennt er auch, trotz mancher Fortschritte, bei den Themen sexueller Missbrauch und Finanzreform im Vatikan: "Viel Sand kommt ins Getriebe durch handwerkliche Fehler bei den Reformen. Sei es, dass es Franziskus an Konsequenz in der Umsetzung einmal beschlossener Veränderungen fehlt, sei es, dass er, aufgrund seiner Vorbehalte gegenüber der Römischen Kurie, die er auch nach mehreren Jahren als Papst und damit Chef derselben noch immer nicht abgelegt hat, den Apparat nicht wirklich zu nutzen weiß und damit die Fachexpertise auch nicht in die Neukonzeptionierung einfließen kann."

Ein "Übergangspontifikat" wie bei Johannes XXIII.? Angesichts von Franziskus' Alter: sicher Ja. Erbachers Einschätzung: "Er ist sich sicherlich bewusst, dass er an vielen Stellen die angestoßenen Prozesse nicht wird zu Ende führen können, selbst wenn ihm noch einige Jahre als Papst bleiben." Unumkehrbar müssen die Wege der in Evangelii gaudium (2013) angezeigten Neuausrichtung auf vielen Ebenen werden. Aber was sind schon fünf Jahre sub specie aeternitatis! Ein Wimpernschlag. Aber Franziskus hat seit März 2013 mehr verändert, so oder so, als vieles, was auf dem Zweiten Vatikanum auf den Weg gebracht worden war (und teils wieder rückgebaut wurde). Das ist nicht wenig!

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