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Die Kirche auf Erden

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Wir haben das alles wohl gehört, vielleicht auch verstanden. Ob es aber allen Katholiken tief ins Bewußtsein gedrungen ist, das ist die Frage. Noch immer stehen heute viele Priester und Laien jeder Regung einer öffentlichen Meinung in der Kirche etwas erstaunt und verwundert gegenüber; noch immer wird die Kritik, die legitime, die zugegebenermaßen gerechte Kritik, als eine Art feindseliger Akt empfunden.

Für viele Katholiken war bis vor kurzem Kritik an der Kirche Kritik des Feindes. Ihr gegenüber wurde, gleich, ob diese Kritik nun berechtigt oder unberechtigt, richtig oder falsch war, eine Apologetik entwickelt, die das Kind mit dem Bad ausgoß. Diese falsche Apologetik, die meinte, um der Geschlossenheit der Kirche, um ihres Ansehens, um des Charakters ihrer göttlichen Stiftung wegen alle Fehler, alle Unzulänglichkeiten an dieser Kirche wegdisputieren, verteidigen oder zumindest entschuldigen zu müssen, hat vielfach zu einer unsachlichen Uber-pointierung, zu einer polemischen Überspitzung der Kritik beigetragen. Man wollte die Kirche auf Erden nicht sehen, nicht die menschlich schwache, fehlerhafte, die sündhafte Kirche, sondern nur die himmlische Kirche, nicht das wandernde Volk Gottes, sondern nur die Stadt Gottes, das neue Jerusalem. Was Wunder, daß die Kritik nun wieder erst recht das irdische Verhalten der Kirche an diesem überirdischen Vorbild messen zu können glaubt. Ein Großteil der Kritik an der Kirche, vergangene und gegenwärtige, geht daher von einem falschen Bild der Kirche aus. Die Kirche wird immer in einer Vollendung gesehen, die sie hier auf Erden nicht erreicht und nicht erreichen kann. Die Kirche ist eine Kirche der Heiligen insofern, als jedes ihrer Glieder zur Heiligkeit berufen ist. Wir wissen nicht, wie viele Menschen hier auf Erden den Grad der Heiligkeit erreicht haben.

Hier auf Erden ist die Kirche auch eine Kirche der Sünder, eine Kirche der schwachen Menschen. Die Kirche ist immer auf dem Weg; sie kann ihr letztes Ziel nicht verfehlen, dazu ist ihr der göttliche Beistand sicher. Sie kann aber sehr wohl in manchen ihrer Repräsentanten manchen falschen Schritt tun. Die Kirche ist immer im Kampf, und wer kämpft, trägt nicht nur Wunden davon, lang schwärende, gefährliche Wunden, er kann auch manchen falschen Schlag führen. Eine Kritik an der Kirche geht dann fehl, wenn sie das Menschliche, das Irdische an ihrer Existenz nicht wahrhaben will, dann wird sie hart, dann wird sie ungerecht, dann hilft sie nicht, sondern verstört nur und zerstört. Nicht davon soll die Rede sein, daß es eine negative und positive Kritik gibt. Eine Kritik ist nicht negativ, wenn sie Negatives aufzeigt — darin besteht ihre Aufgabe —, sondern dann, wenn sie Maßstäbe anlegt, denen gegenüber es nur negative Feststellungen gibt. Eine Kritik ist dann schlecht, wenn sie die Liebe nicht hat. Die Liebe kann aus verwundetem, aus blutendem Herzen kommen, niemals aber aus hartem, aus verhärtetem Herzen. Wer die Kirche zurechtweisen will, der halte sich an das Wort des Herrn in Matthäus 18, 15:

„Hat aber dein Bruder gegen dich gesündigt, so gehe hin und stelle ihn unter vier Augen zur Rede. Hört er auf dich, so hast du einen Bruder gewonnen.“ Kritik unter Christen soll brüderliche Kritik sein.

Die Kirche ist nicht nur eine Kirche von Heiligen, aber auch keine Kirche ausschließlich von Helden. Sie ist eine Kirche von Menschen, von schwachen, immer strauchelnden, immer fallenden, aber mit Gottes Hilfe sich immer wieder erhebenden Menschen. Wer nur den Fall sieht, wird den Menschen, wird auch der Kirche nicht gerecht. Nicht das Fallen ist das Entscheidende, sondern das Wiederaufstehen. Menschliche Kritik kann unmenschlich sein, wenn sie das Menschliche nicht in Rechnung stellt, wenn sie nicht erkennen will, daß auch die Kirche in Menschen Gestalt geworden ist.

Kritik an der Kirche geht also fehl, wenn sie nicht zu unterscheiden vermag zwischen Göttlichem und Menschlichem. Die Kritik geht aber auch fehl, wenn sie das Unveränderliche göttlicher Lehre nicht vom Veränderlichen, von den historischen Faktizitäten trennen kann. Kritik ist schließlich auch nur möglich, wenn sie auf einem Mindestmaß gemeinsamer Überzeugungen basiert. Stellt sie diese Basis selbst kritisch in Zweifel, dann zerstört sie die Grundfrage ihrer Existenz, dann verläßt sie den Boden der Kirche und stößt schließlich ins Leere. Das Veränderliche vom Unveränderlichen nicht reinlich geschieden zu haben, das Kritisierbare von dem jeder Kritik Entzogenen, ist nicht nur Schuld der Kritik allein. Das ist zumindest ebenso Schuld jener falschen Apologeten, die in ihrer Sucht, alles verteidigen zu wollen, viel menschlich historisches Beiwerk der Kirche sozusagen kanonisierten. Es ist das Verdienst der Kritik, den Raum des wesenhaft Göttlichen und Unveränderlichen in der Kirche deutlichgemacht zu haben.

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