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Die Kritik an der Kirche

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Es ist eine Unruhe in der Kirche und eine Unruhe unter den Gläubigen. Die einen sagen „Gott sei Dank!“, die anderen fragen sich „Wie ist dies möglich?“. Die einen konstatieren die Unruhe mit Befriedigung, die anderen mit Sorge.

Das Falscheste, was man tun könnte, wäre, diese Unruhe ganz einfach wegzuleugnen, so zu tun, als gäbe sie sie nicht, als sei sie nur eine Erfindung von Schwarmgeistern. Das muß man gerade in Österreich unterstreichen, denn es liegt dem Österreicher, unangenehme Dinge dadurch aus der Welt schaffen zu wollen, daß man ihr Vorhandensein einfach negiert. Die Unruhe ist unangenehm, für jene zumindest, die in der Kirche vor allem den Hort der Ruhe, der Gewißheit, der Sicherheit, der Stabilität und damit auch der Bewegungslosigkeit sehen.

Die Unruhe war gewiß schon früher vorhanden, virulent aber wurde sie durch das Konzil. Das Zweite Vatikanum ist mit einem Programm der Erneuerung der Kirche in Erscheinung getreten. Wer Erneuerung sagt, meint immer damit, daß eine Erneuerung notwendig ist. Ist sie aber notwendig, dann deswegen, weil das Alte erneuert werden soll, nicht mehr den Anforderungen entspricht, weil es veraltet, weil es reformbedürftig ist. Erneuerung also bedeutet immer Kritik am Alten. Es liegt im Wesen der Kritik, auch wenn sie als legitimes Prinzip jeder Erneuerung anerkannt wird, sich nicht rasch und leicht in Grenzen weisen zu lassen, sondern immer größere Bereiche ergreifen zu wollen. Jeder Erfolg einer Erneuerung aber hängt davon ab, wieweit es gelingt, nicht in bloßer Kritik steckenzubleiben, das heißt also auch der Kritik Grenzen zu setzen, sonst bleibt nichts mehr übrig, das man noch erneuern könnte.

Vor diesem Dilemma stehen wir heute. Wir haben die Kritik als Wesenselement jeder Erneuerung erkannt, wissen aber gleichzeitig, daß jede Erneuerung gefährdet ist, wenn die Kritik nicht imstande ist, neben ihren Möglichkeiten auch ihre Grenzen zu erkennen — das heißt Grenzen ihres Bereiches aber auch ihrer Methoden —, wenn die Kritik nicht fähig ist, sich selbst kritisch gegenüberzustehen.

Kritik hat es in der Kirche immer gegeben, und Kritik wird es in der Kirche immer geben. Die Kirche in ihrer irdischen Gestalt ist nach dem Willen ihres Schöpfers eine sichtbare Einrichtung mit all den Mängeln und all den Schwächen menschlicher Gemeinschaften. Die Kirche ist aber nicht nur etwas Statisches, sondern neben dem unveränderlichen Element im Sinne ihres Stifters auch immer etwas Werdendes, im menschlichen Bereich etwas Wandelbares. Sie ist daher ständig reformierbar und kann gerade durch die Kritik gewandelt, erneuert und reformiert werden. Kritik an der Kirche ist also nicht nur möglich, sondern auch notwendig.

Wer an der historischen Erscheinungsform der Kirche Kritik üben will, findet ein weites Feld. Wer Skandalgeschichten aus der Geschichte der Kirche ausgraben will, dem wird dies nicht schwer gemacht. Generationen antikirchlicher und antireligiöser Pamphletisten haben von den kirchlichen Skandalen gelebt — und nicht schlecht gelebt. Wenn heute auch Katholiken dieses Feld beackern wollen, so sind sie im wesentlichen nur Nachläufer. Es gibt keine menschliche Schwäche, kein menschliches Vergehen, das sich nicht in der Geschichte der Kirche nachweisen ließe. Wer allerdings nur sie sehen will, die Fehler, die Schwächen, die Sünden, gleicht jenem, der die Welt nur im Blickwinkel der „Mondo-Cane“-Filme sieht.

Aber es geht letztlich nicht um „Pfaffenspiegel“-Autoren und -Methoden alter und neuer Provenienz. Es geht um die Kritik an einer im Sinne Johannes' XXIII. sich ständig erneuernden Kirche, die diese Kritik als wesentliche Vorbedingung jeder Erneuerung braucht. Die Erneuerung aber kann unter Umständen durch Methoden und Ausmaß der Kritik um jeden Erfolg gebracht werden.

Daß diese Kritik an der Kirche immer einen legitimen Platz hatte, beweist die Erklärung Papst Pius' XII. über die öffentliche Meinung in der Kirche. Sie ist nach ihm ein unentbehrlicher Bestandteil jedes gesunden öffentlichen Lebens. Sie hat deshalb notwendig ihren Platz auch in der Kirche und ist von nicht zu unterschätzender Bedeutung für deren Wirken und Gemeinschaftsleben. Wörtlich sagte der Papst:

„Denn schließlich ist auch sie (die Kirche) ein lebendiger Körper, und es würde etwas in ihrem Leben fehlen, wenn ihr die öffentliche Meinung mangeln würde, ein Mangel, für den die Schuld sowohl auf die Hirten wie auf die Gläubigen fiele.“ (Ansprache an die Teilnehmer des Internationalen Pressekongresses am 17. Februar 1950.)

Öffentliche Meinung aber setzt Kritik voraus; öffentliche Meinung ohne Kritik ist undenkbar.

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