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Änderungen innerhalb katholischer Grenzen

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Es liegt daher in der Natur einer katholischen Erneuerung, daß es zwei Tendenzen auf dem Konzil geben mußte, und daß versucht werden mußte, beide zu vereinen. Allerdings ist jedoch dabei zu beachten, daß von Anfang bis Ende des Konzils die fortschrittliche Tendenz stärker vertreten war als die konservative. Schon rein numerisch: das Stimmenverhältnis in Einzelfällen lag, von Schwankungen abgesehen, bei 1300 bis 1400 Fortschrittlichen gegen etwa 800 bis 900 Konservative. Dieses Verhältnis kommt dann auch in den endgültigen Texten zum Ausdruck. Damit ist aber unsere Frage eigentlich im voraus beantwortet, und ich nehme die Antwort hier vorweg: der Katholizismus hat sich geändert, aber ganz innerhalb der katholischen Grenzen.

Was haben wir Protestanten aus diesem Konzil für uns zu lernen?

Zunächst einmal sollen wir bereit sein, auch uns zu erneuern. Es genügt nicht, in pharisäischem Hochgefühl zu sagen: Gottseidank ist es endlich bei den Katholiken wenigstens ein klein wenig besser gewor den. Als ob bei uns selbst alles zum besten stünde. Als ob wir unter dem Vorwand, daß wir unsere Reformation im 16. Jahrhundert schon gehabt haben, jetzt sagen dürften, wir seien ein für allemal erneuert. Freilich muß unsere Erneuerung anders aussehen als die katholische. Sie muß bewußt von unserer Grundlage ausgehen, also allein von der Bibel, nicht von der mit der Tradition verbundenen Bibel. In dieser Hinsicht ist sie für uns leichter. Wir leisten auch unseren katholischen Brüdern einen Dienst, wenn wir eine bewußt protestantische Erneuerung erstreben, aber indem wir uns auf die positive, nicht die negative, polemische Seite unserer Grundlage besinnen. Aber eine Erneuerung im Sinne einer Läuterung und Vertiefung haben auch unsere Kirchen nötig. Die einzelnen protestantischen Kirchen, die lutherische, die reformierte, methodistische usw., sollten sich eine jede als solche um ihre Erneuerung bemühen. Auch bei uns sollte ökumenismus nur Ausfluß der Erneuerung der Kirchen sein.

Jedenfalls möchte ich unseren protestantischen Kirchen wünschen, daß sie mit dem gleichen Ernst Läuterung und Vertiefung erstrebten, wie wir dies bei so vielen katholischen Brüdern auf dem Konzil festgestellt haben.

Das Evangelium der Welt zugänglich machen

Das Bemühen, das Evangelium der modernen Welt zugänglich zu machen, haben wir mit dem Katholizismus gemeinsam. Aber hier sollten wir aus gewissen Schwächen des Konzils lernen und nicht, wie dies kürzlich in der amerikanischen Wochenschrift „Newsweek“ geschehen ist, jene Fehler überbieten, indem wir aus der „modernen Welt“ einen Götzen machen. Modernisierung sollte restlos aus einer inneren Erneuerung hervorgehen und nicht ein isoliertes Ideal sein. Wohl muß auch für uns das Eingehen auf die Welt ständige Aufgabe sein. Die Frage: wie predigen wir das Evangelium der Welt von heute, wie verschaffen wir dem Evangelium, soweit es an uns liegt, Eingang in die Welt? darf uns nicht loslassen. Wir sollen uns der Welt verständlich machen, uns anpassen, aber wir sollen dabei das Evangelium nicht verraten, sondern des Pauluswortes eingedenk sein, das sich auf den Kern unserer Botschaft bezieht, Röm. 12, 2: „Stellet euch dieser Welt nicht gleich, sondern verändert euch durch Erneuerung eures Sinnes.“ Vielleicht erwartet die Welt auch, daß wir ihr etwas anderes sagen als nur das, was sie auch und vielleicht sogar besser sagt. In dieser Hinsicht sollten wir also aus gewissen Schwächen mancher Konzilstexte lernen. Zu oft wird auch bei uns vergessen, daß wir zu-erst fragen sollten: welche Elemente dürfen und sollen sich wandeln, und was ist unwandelbarer Kern?

Und nun fahren wir fort: was haben wir aus dem Konzil für unsere Beziehungen zu den katholischen Brüdern nach dem bisher Gesagten zu lernen? Zweierlei: daß dem Katholizismus in seiner Erneuerung Grenzen gesetzt sind in seinen Grunddogmen, daß er sich aber in diesen Grenzen verändert und uns angenähert hat.

Im allgemeinen sollten wir Protestanten uns in dieser Hinsicht vom Konzilsgeschehen belehren lassen, daß wir in Richtung ökumenischer Taten mutiger sein sollten, daß wir nicht vor neuen ökumenischen Initiativen zurückschrecken sollten, freilich, noch einmal, auch hier so, daß keine Illusionen entstehen, daß vielmehr Katholiken Katholiken und Protestanten Protestanten bleiben, aber sich als solche immer näherkommen.

Erneuerung heißt letzten Endes Umkehr, Buße. Hinter jeder wahren Erneuerung, die mehr ist als ein Streben nach irgend etwas Neuem, Modernem, hinter einer Erneuerung, die, wie ich mich hier zu zeigen bemüht habe, aus einem Glaubensmotiv hervorgeht, sich von der Quelle des Glaubens beleben läßt, steht die Bereitschaft zur Umkehr,

zur Buße. Ob dies auf dem Konzil offen ausgesprochen wurde oder nicht (an einigen Punkten ist es vom Papst aus geschehen, was die früheren Beziehungen zu den Protestanten und Orthodoxen betrifft), diese Glaubenseinstellung lag jedenfalls den wertvollsten Neuerungen des Konzils zugrunde.

Bei allem in der Theorie uns Trennenden sollten wir in diesem Geist der Buße, der auch uns zu ständiger Erneuerung treiben muß, uns solidarisch wissen. Darum verstehen wir nichts von Erneuerung der anderen, wenn wir uns nicht selbst zu erneuern bemühen.

Der Geist der Buße ist aber der

Heilige Geist. Erneuerung ist immer Erneuerung durch den Heiligen Geist. Ich sagte soeben, wir vermögen die Umkehr bei den andern nicht zu sehen, wenn wir nicht selbst umkehren. Aber anderseits sage ich nun auch: Wir selbst werden nicht vom Heiligen Geist erneuert, wenn wir sein Wirken bei andern nicht sehen wollen.

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem ersten von sechs Vorträgen von Prof. Dr. Oscar Cullmann, „Was bedeutet das Zweite Vatikanische Konzil für uns Protestanten“, als Sonderdruck erschienen im Fried- rich-Reinhardt-Verlag, Basel.

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