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Habt A4ut, Journalisten!

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In Frankreich wurde während des Krieges von einer Gruppe katholischer Widerstandskämpfer die Zeitschrift „Temoignage chretien“ gegründet, die sich besonders der sozialen Fragen annimmt. Sie stellt aber auch sonst eine Art katholische Vorhut dar, die kämpferisch gegen jede Ungerechtigkeit und Unwahrheit auftritt. Da sie sich politisch ihre Freiheit bewahrte und auch ängstlich über ihre finanzielle Unabhängigkeit wachte, wurde ihre Anhängerschaft immer größer. Anderseits rief ihre Haltung auch Widerstand hervor und brachte ihr viele Anfeindungen ein. Der Erzbischof von Paris nahm die Zeitschrift gegenüber allen Anfeindungen unter seinen Schutz und richtete eine Botschaft an sie, die richtunggebende Dinge über das Verhältnis der christlichen Presse und ihre Leser sagt, die verdienen, auch über Frankreich hinaus gehört zu werden. Wir bringen deshalb die Botschaft des Pariser Kardinals hier im Auszug:

„Die Kritiken, denen Sie ausgesetzt sind, kommen von allen Seiten. Zum Teil stammen sie von Ihren eigenen Lesern, die, wenigstens teilweise, oft aber auch ganz und gar nicht wissen, was die Kirche lehrt, und was es heißt, das Evangelium auszulegen. Vielleicht kennt man noch das Evangelium; was aber die Kirche dazu sagte, weiß man nicht: die Rundschreiben der Päpste, die Hirtenbriefe der Bischöle und all das, was die lehrende Kirche sich bemüht, getreu ihrer Sendung in der Well, zu verbreiten. Die ganze Presse schweigt sich doch aus über diese Lehren der Kirche. So geschieht es, daß man sich noch sehr loyal vorkommt, wenn man als .erstaunlich' taxiert, was Sie in Bejahung dieser Wahrheiten sagen, oder wenn Sie eine Haltung einnehmen, die sich an der Haltung der Kirche orientiert. Man weiß gar nicht, daß dies die Haltung oder die Lehre der Kirche selbst ist. So ist die Unkenntnis des Lesers eine erste Ursache der Kritik.

Eine zweite stellt das Unvermögen vieler Leser dar, zu unterscheiden zwischen dem, was die Kirche der Diskussion freigegeben, und dem, was sie als gesicherte Wahrheil betrachtet. Denn es gibt Wahrheiten, über die wir nicht zu diskutieren haben, und über die Sie auch nicht diskutieren. Daneben aber gibt es viele Meinungen, die die Kirche trei läßt. Die Unkenntnis vieler Leser aber will, daß jedes Wort der Kirche gewissermaßen ein Wort ex cathedra, eine dogmatisch letzte Entscheidung sei. Sobald Sie in Ihrer Zeitung diese Ansicht nicht teilen, verstehen Ihre Leser Sie nicht mehr, und es erhebt sich die Kritik. Diese Leser vermögen nicht zu unterscheiden zwischen gesicherter Wahrheit und ireigelassener Meinung.

Ein dritter Grund der Kritiken liegt bei Lesern, die von Parteitendenzen in Fragen der Politik, der Wirtschaft und des sozialen Lebens beherrscht werden. Es steht diesen Lesern frei, ihre Meinungen zu vertreten, soweit diese nicht im Gegensatz zur Lehre der Kirche oder des Evangeliums stehen; aber ebenso sind auch Sie — mit der genannten Einschränkung — frei, Ihre besondere Meinung zu haben. Wenn nun diese Ihre Meinung mit der Ihres Gesprächspartners, der durch seine politische Gebundenheit, durch seine wirtschaftlichen Interessen oder durch seinen sozialen Konformismus voreingenommen ist, nicht übereinstimmt, dann verargt er Ihnen das. Daher kommen seine Kritiken, die Ihnen bekannt sind, und über die ich jetzt nichts weiter sagen will...

Sie jedenfalls, meine Herren, müssen zuerst versuchen, die Tatsachen objektiv zu betrachten. Das ist nicht immer leicht. Außerdem, glauben Sie mir: es Ist nicht immer bequem, unabhängig von der Brille, die wir vor den Augen haben, die Talsachen rein objektiv zu sehen. Und es ist schwer, wirklich unparteiische Informationen zu erhalten. Es gibt so vielerlei Filter, die sich zwischen uns und die Tatsache selbst schieben. Es gibt so viele uns subjektiv liebgewordene Ideengänge, Meinungen, die uns jedes Ereignis solort in einem bestimmten Licht sehen lassen, das schon nicht mehr das wirkliche Licht ist.

Es war von jeher ein Vorzug des Redakteurs, die Ereignisse objektiv zu sehen. Dieser Vorzug verlangt auch, daß man die Ereignisse im Licht des Evangeliums und der Kirche sieht und die Hierarchie der Werte wahrt. Man darf nicht irgendwelchen Details einen hervorragenden Platz einräumen und die Hauptsache im Dunkeln lassen. Man muß die Ereignisse beurteilen, indem man jedes an den ihm (im Ganzen) zukommenden Platz stellt.

Urteilen Sie also mit absoluter Aulrichtigkeit der Seele! Das will sagen: Suchen Sie die tielere Absicht dessen, der etwas getan oder gesagt hat, zu erfassen. Stellen Sie das Urteil dessen, der ein Ereignis hervorrief, heraus und interpretieren Sie es nicht nach sich selbst. Anerkennen Sie in aller Loyalität die führende Idee, die diesem Ereignis zugrunde liegt. Suchen Sie mit voller Aulrichtigkeit der Seele wahrzunehmen, was den Forderungen der Zeit und den Bedürfnissen der Leser am besten entspricht...

Sie kennen all die Erwägungen, die von rechts und von links kommen, und all die zeitbedingten Umstände, die Sie manchmal behindern und die Ihnen nicht erlauben, Ihren ganzen Gedanken auszudrücken. Gewiß, man muß wahr sein, man muß die Wahrheit sagen. Trotzdem ist es nicht immer notwendig, die ganze Wahtheit zu sagen. Es gibt aber immer einen schicklichen Ausdruck der Wahrheit, der an die Zeit, in der man sie sagt, und an die Umstände, unter denen man sie zum Ausdruck bringt, angepaßt ist. Wenn man wirklich nur im das Wahre, um ein völlig unabhängiges Urteil, um Objektivität besorgt ist, dann kann es nicht fehlen, daß einem das auch gelingt*

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