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Ideologien in der Kirche

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Das innere Leben der Kirche ist voller Unruhe und Unsicherheiten. Woher so viel Unruhe in der Kirche? In mannigfacher Weise kommt diese Unruhe zum Ausdruck. Daß es zum Beispiel in der Diözese Wien ein „Freies Wort in der Kirche“ gibt, das mehr oder weniger zum Organ protestierender Priester geworden ist, und daß es gleichzeitig eine „Entscheidung“ gibt, in der sich Priester zu Wort melden, die sowohl Geist wie Stil des „Freien Wortes in der Kirche“ ablehnen, daß sich sogenannte „Priesterkreise“ bilden, sich vereinsmäßig, überdiözesan, ja auf europäischer Ebene konstituieren, und die den Rahmen der üblichen Priestergemeinschaften in den Dekanaten sprengen, sind keine unbeachtlichen Zeichen der Unruhe. Wenn die Befürworter dieser „Priesterkreise“ auch die Loyalität derselben gelegentlich beteuern, dringen doch immer wieder Nachrichten zu uns, die das Gegenteil zu beweisen scheinen. Auch Laiengruppen haben sich gebildet, die sich „Kritischer Katholizismus“ oder „Kritische Synode“ nennen. Alle diese Gruppen .oder Presseorgane glauben, ihren Meinungen nicht mehr im gegebenen Rahmen Geltung verschaffen zu können und daher diesen sprengen zu müssen.

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Das innere Leben der Kirche ist voller Unruhe und Unsicherheiten. Woher so viel Unruhe in der Kirche? In mannigfacher Weise kommt diese Unruhe zum Ausdruck. Daß es zum Beispiel in der Diözese Wien ein „Freies Wort in der Kirche“ gibt, das mehr oder weniger zum Organ protestierender Priester geworden ist, und daß es gleichzeitig eine „Entscheidung“ gibt, in der sich Priester zu Wort melden, die sowohl Geist wie Stil des „Freien Wortes in der Kirche“ ablehnen, daß sich sogenannte „Priesterkreise“ bilden, sich vereinsmäßig, überdiözesan, ja auf europäischer Ebene konstituieren, und die den Rahmen der üblichen Priestergemeinschaften in den Dekanaten sprengen, sind keine unbeachtlichen Zeichen der Unruhe. Wenn die Befürworter dieser „Priesterkreise“ auch die Loyalität derselben gelegentlich beteuern, dringen doch immer wieder Nachrichten zu uns, die das Gegenteil zu beweisen scheinen. Auch Laiengruppen haben sich gebildet, die sich „Kritischer Katholizismus“ oder „Kritische Synode“ nennen. Alle diese Gruppen .oder Presseorgane glauben, ihren Meinungen nicht mehr im gegebenen Rahmen Geltung verschaffen zu können und daher diesen sprengen zu müssen.

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Wie soll man nun diese Erscheinungen beurteilen? Soll und kann man sie einlach ablehnen und ihre Berechtigung verneinen? Dies könnte man kaum tun, ohne den Boden der Sachlichkeit zu verlassen. Wenn alle diese Erscheinungen auch viel zur Unruhe in der Kirche beitragen, so darf in ihnen doch nicht bloß ein negativer, sondern muß auch ein positiver Sinn gesehen werden. Durch das Zweite Vatikanum ist die Kirche nun einmal in Bewegung geraten. Aggiornamento, Erneuerung, lautet allenthalben der Ruf: Erneuerung der Liturgie, Erneuerung der Struktur in der Kirche, des Priesterbildes, Aufwertung des Laien, offener Katholizismus, Ökumenismus — das sind nur einige Punkte des Er-neuerungsprogrammes.

Über das Tempo und das Ausmaß der Erneuerung kann man nicht von Anfang an eine einheitliche Meinungsbildung erwarten. Es können sich daher Spannungen und Gegensätze herausbilden. Die Unruhe und Unsicherheit in der Kirche geht also nicht einseitig zu Lasten revolutionärer Geister, sondern die Kirche hat sich sozusagen selbst in diese Unruhe gestürzt, ja sie hat sie gewollt und will sie, sie hat sie gebraucht und nimmt sie an. Allerdings vermochte niemand das Ausmaß und die Tiefe der Unruhe vorauszusehen. Wir alle müssen sie miteinander tragen. Keiner hat ein Recht, stehenzubleiben, weil die Kirche, die wir alle bilden, in Bewegung ist.

Die Frage, wie man die Einzelerscheinungen dieser Unruhe beurteilen soll, beginnt erst dort, wo man die Taktik und das Vorgehen der einzelnen prüft. Ist die Grundlage der verschiedenen Taktiken und Praktiken unter Beeinflussung der öffentlichen Meinung nur Eifer des Glaubens und die Theologie des Zwesten Vatikanums oder nicht viel mehr eine Ideologie, die man damit verbindet. Ist also die Kirche nicht von ideologischen Verfremdungen des Glaubens und der Frömmigkeit gefährdet?

„Ideologie“ nennen wir die scheinwissenschaftliche Interpretation der Wirklichkeit im Dienste einer praktisch gesellschaftlichen Zielsetzung, die sie rückläufig legitimieren soll. Jede Ideologie bildet also ein geschlossenes System, das entweder die gesamte Wirklichkeit oder einen Teil derselben zu deuten versucht. Dabei werden bestimmte Aspekte der zu interpretierenden Wirklichkeit überbetont oder unterbetont oder in ihrer Zuordnung zueinander verzerrt. So entsteht eine einseitige beziehungsweise falsche Deutung der Wirklichkeit.

Ideologien werden mehr oder weniger hintergründig gesteuert durch praktische Zielsetzungen. Deshalb treten sie auch mit einem größeren oder geringeren Totalitätsanspruch auf und suchen sich durch angemessene Praktiken durchzusetzen. Sie

tragen also immer eine gewisse Intoleranz an sich.

Gibt es nun überhaupt und besonders auch heute solche ideologische Elemente in der Kirche?

Die Frage ist weder überflüssig noch beunruhigend. Es wird in der Kirche, die ja eine Institution nicht nur göttlichen und übernatürlichen Ursprungs und Charakters ist, sondern auch menschlichen und daher irrtumsfähigen Charakters, immer die Gefahr der Ideologienbildung geben, und hat sie immer gegeben. Diese Gefahr muß aber auch aufgedeckt und gebannt werden.

Im Bereich des Lehramtes neigen konservative Kreise dazu, das dogmatische Lehrgebäude der Kirche so absolut zu setzen, daß jede weitere Interpretation der Offentaarungs-wahrhedt ausgeschlossen bleibt. Dies kann aus kirchenpolitischen oder gesellschaftspolitischen Gründen geschehen. Wenn die Hierarchien der christlichen Kirchen aus den arabischen Staaten gegen die Juden-erklärung des Zweiten Vatikanums stimmten, so hatte dies gesellschafts-politisohe Gründe. Wenn andere Stimmen die Erklämng über diie Religionsfreiheit ablehnten, so geschah dies aus dem Festhalten an der Ideologie des konfessionellen Staates heraus.

Im Zweiten Vatikanischen Konzil hat die Kirche den Grundsatz „Ecclesia siemper reformanda“ und daher auch die Möglichkeit einer Ideologienkritik anerkannt und selbst in manchen Punkten, wie in den genannten, vollzogen. Aber auch progressistische Kreise der Kirche neigen zur Ideologisierung hinsichtlich authentischer Lehraussagen der Kirche. Sie leugnen zwar nicht das Lehramt, stellen aber grundsätzliche Äußerungen des Lehramtes in Frage und überantworten sie einer uferlosen Diskussion. Man fordert immer von neuem den Dialog mit der Hierarchie und sucht so am Kreuz des unangenehmen Kreuzesgehorsams vorbeizukommen. In der Praxis beruft man sich auf die Möglichkeit des Irrtums in authentischen Glaubensentscheidungen.

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