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Die geschaffene Lebensordnung

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Eine solche progressistische Ideologisierung vollzieht sich zum Beispiel in der Zölibatsdiskussion. Man behauptet gegen alle kirchlichen Entscheidungen, die Verpflichtung zum Zölibat in der Schrift nicht finden zu können, und bestreitet damit das Recht der Amtekirche, eine solche Verpflichtung zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Damit bestreitet man das Recht der Amtskirche, aus dem Geist der Schrift eine kirchliche Lebensordnung zu schaffen. Das wäre nicht nur noch eine Ideologie, sondern ein schlichter Irrtum. Tatsächlich behauptet man das nicht, sondern man insinuiert, nur das in Frage zu stellen, was nicht in Frage zu stellen ist. Wenn man behauptet, die Zölibatsverpflichtung sei unvereinbar mit der Schrift, so sagt man indirekt aus, die Amtskirche habe die schriftgemäße Lebensord-

nung verfälscht, natürlich um so die kirchliche Autorität besser durchsetzen zu können.

Ideologisierung im Bereich des Hirtenamtes

Einer konservativen Ideologisierung in der Beziehung zwischen Kirche und Welt verfallen jene, die der Ansicht sind, die Kirche könne alles in der Welt unter der Rücksicht des sittlich Gesollten von der Offenbarung her deuten. Die Kirche kann gewiß negativ, erklären, daß dieser oder jener Sachverhalt unsittlich sei, das heißt, gegen die sittlichen Prinzipien verstoße. Sie kann aber aus ihren sittlichen Prinzipien nicht immer und überall positiv ableiten, was sittlich gesollt ist. Hier erhebt sich die Frage des Naturrechtes und der Bestimmung dessen, was Natur ist

Eine andere konservative Ideolo-giembildung liegt in dem Grundsatz: Nur die Wahrheit hat ein Recht zu existieren. Daraus leitete man bis zum Zweiten Vatikanum ab, daß es kein Recht auf Religionsfreiheit gäbe. Man hat zwar die Toleranz anderen Religionen gegenüber proklamiert, aber damit nicht ihre Existenzberechtigung anerkannt. Die Ideologisierung lag darin, daß man fälschlicherweise glaubte, die Wahrheit beziehungsweise der Irrtum seien Rechtssubjekte, wo doch immer nur die Person Rechtssubjekt sein kann, dann aber auch die schuldlos irrende.

Die am stärksten sich auswirkende Ideologisierung betrifft die Kirchenverfassung. Schon das Zweite Vatikanische Konzil berührte diese Frage mit der Betonung des Bischofsköl-legiums. Es betrifft die Ausgewogenheit zwischen dem individuell personalen und dem synodalen Prinzip der Kirchenverfassung: Kollegialität der Bischöfe und Jurisdiktionsprimat des Papstes. Es betrifft aber auch das Kollegium der Priester mit dem Diözesanfoischof und wenigstens auf der Ebene der Ortskirche die Mitverantwortung der Laien. Die Ideologisierung geschieht hier am häufigsten dadurch, daß man mit dem Schlagwort „Demokratisierung der Kirche“ operiert. Dies verleitet direkt zu einer einseitigen Interpretation der Wirklichkeit „Kirche“, indem der Aspekt „Kollegialität“ überbetont wird. Dahinter kann sich die bewußte oder unbewußte Zielsetzung verbergen, gewisse Machtansprüche durchzusetzen, so, wenn man den Trägern .der kirchlichen Ämter grundsätzlich verwehrt, aus

Hirtensorge verbindliche Weisungen bezüglich gesellschaftspolitischer Fragen zu geben, so auch wenn man mit dem Schlagwort „Entfeudvlisie-rung der Kirche“, wie Wilfried Daim in seinem Werk „Progressiver Katholizismus“ praktisch bestreitet, daß die kirchliche Amtsvollmacht von oben und nicht von unten kommt. Auch wenn man versucht, auf organisatorischem oder publizistischem Weg die kirchlichen Amtsträger unter Druck zu setzen oder die öffentliche Meinung in einem bestimmten Sinn zu manipulieren, verfällt man einer Ideologisierung. Bei diesen und ähnlichen Versuchen wird die gläubige Haltung und die theologische Argumentation durch ideologisches Denken und Operieren überfremdet.

Ideologisierung im Bereich des Kultes

Sehr viele nachkonziliare Unruhe verbirgt sich in der Erneuerung des Kultes. Durch sie wird ja jeder Gläubige betroffen. Der fakultative Gebrauch der Muttersprache, die Neugestaltung des Altarraumes, die tätige Anteilnahme der Gläubigen an der liturgischen Feier haben Reaktionen nach links und rechts hervorgerufen, die nicht in der gläubigen Annahme kirchlicher Lehre und Lebensordnung noch in einem sauberen theologischen Denken wurzeln, sondern einzig und allein in der Ideologisierung des eigenen einseitigen Standpunktes ihren Ursprung haben. Die einen sehen nur in der einheitlichen Kultsprache die Einheit des Glaubens garantiert, im Nicht-verstehen der Kultsprache die Ge-genumrt des geheimnisvollen Gottes und die Erfahrung der Überzeitlichkeit der Kirche und verfallen einem beinahe magischen Kultverständnis.

Die anderen fanatischen Fortschritt-ler lehnen alle gewachsenen Kultformen ab, sie ideologisieren die Volkssprache und jede neue Form sowie das grenzenlose Experimentieren mit dem Kult der Kirche. „Entmytholo-gisierung“ und „Entsakralisierung“ sind die Schlagworte, mit denen sie ihr Tun rechtfertigen, wie überhaupt hinter Begriffen, die zu SchlagWor-ten geworden sind, der Übergang von Theologie zur Ideologie leicht gegeben ist

So fordert die Durchführung der Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils von links und rechts die ständige Überprüfung des Denkens und Handelns. Im Lichte des Glaubens und einer ausgewogenen Theologie, nicht bloß dieser oder jener exegetischen oder dogmatischen Behauptung, und in echter Liebe zur Kirche, in dem Willen, die Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils sinngetreu und ganz durchzuführen und nicht über das Konzil und die Lehre sowie Praxis der Kirche hinauszugehen, der Nüchternheit, Lauterkeit und Sauberkeit des Denkens und Handelns bemü/hiea,

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