Im Windschatten von VatiLeaks

Werbung
Werbung
Werbung

Nun hat die Nummer zwei des Vatikans, Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone höchstpersönlich den Unaussprechlichen in den Mund genommen: "Viele Journalisten versuchen Dan Brown nachzuahmen. Man erfindet Geschichten und man tischt Legenden auf“, so Bertone im Interview mit der katholischen Wochenschrift Famiglia Christiana. Es hätte wohl nicht dieses Kardinalswortes bedurft, um Parallelen zu den Fantasien des Thriller-Autors zu ziehen.

Tatsache ist, dass die vatikanischen Macht- und Diadochenkämpfe immer mehr unter den Augen der erstaunten Öffentlichkeit und der gar nicht belustigten Christenheit stattfinden. Eine der letzten Facetten: Jener Mafiaboss, der es geschafft hatte, in einer römischen Basilika beerdigt zu werde, wird nun eingeäschert und anderswo bestattet. Das Grab des Mafiosi war kürzlich geöffnet worden, um Gerüchten nachzugehen, dort könnte auch die vor 19 Jahren verschwundene Emanuela Orlandi, die Tochter eines Vatikanangestellten, liegen. Man fand nichts, der vatikanische Cold Case bleibt ungelöst. Und - Stichwort "Vati-Leaks“ - der Kammerdiener des Papstes sitzt in Haft, weil er interne Dokumente weitergegeben habe. Auch der Chef der Vatikanbank wird gefeuert - ob Ettore Gotti Tedeschi nun ein "Böser“ war oder geschasst wurde, weil er Licht in die Geldgeschäfte an der Kirchenspitze bringen wollte, kann der ferne Beobachter nicht erhellen.

Byzantinische Palastintrigen

Mitunter hat man den Eindruck, die vatikanischen Vorgänge gleichen mehr byzantinischen Palastintrigen als der Führung einer heutigen Megaorganisation. Man hofft, dass solch historischer Vergleich hinkt. Aber eine gedeihliche Perspektive ist zurzeit kaum auszumachen: Der Vatikan ist in seiner gegenwärtigen Verfasstheit ein ganz und gar vormodernes Relikt, das im 21. Jahrhundert anachronistisch wirkt. Eine transparente Organisation mit ebensolchen Entscheidungsprozessen (dazu gehören Partizipation, Subsidiarität und - ja auch! - Demokratisierung) schaut anders aus. Ohne erkennbare Bewegung in diese Richtung, wird es nicht gehen. Mag sein, dass das auf prekäre Alternativen zusteuert: "Wer den Vatikan reformiert, schafft ihn ab. Und wer ihn nicht reformiert, leistet seinem Zusammenberuch Vorschub.“ Auf diese Lose-Lose-Situation bringt es die Leitartiklerin der Zeit. Sie hat recht. Man beneidet Benedikt XVI. nicht: Die Aufgabe übersteigt wohl seine Gestaltungskraft und -macht.

Auf des Messers Schneide

Im Windschatten der Kalamitäten dräut der nächste Wirbel - vom Papst höchstselbst befördert: Die Piusbrüder zeigen sich trotz aller päpstlichen Milde störrisch wie eh und je. Und je länger die Avancen andauern, sie in den Schoß der Kirche zurückzuholen, umso mehr greifen Aufweichungen um sich. Der erzkonservative Kardinal Walter Brandmüller, dem der gewiss nicht progressive Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung "Geschichtsvergessenheit“ vorgeworfen hat, meint, die Texte des II. Vatikanums über de Juden, die anderen Religionen oder die Religionsfreiheit relativieren zu können. Genau das beabsichtigen die Lefebvrianer seit Jahr und Tag. Genau das darf aber nicht passieren, sonst sind die Fortschritte, die das Konzil gebracht hat, zunichte.

Vieles steht auf des Messers Schneide und beinahe alles hängt mit allem zusammen: Von daher darf am II. Vatikanum nicht gerüttelt werden. Will man aus dem aktuellen Intrigenstadl Vatikan eine zukunftsfähige Organisation machen, dann muss man, salopp gesagt, in die Welt schauen und von ihr lernen. Nichts anderes und nichts weniger wagten die Konzilsväter des II. Vatikanums: Die Kirchenzukunft liegt darin, diesen Weg eines pilgernden Volkes Gottes weiter zu gehen. Nicht geschichtsvergessen, aber zukunftsorientiert. Rom wäre - entgegen seinem aktuellen Zeitgeist - gut beraten, genau darauf zu setzen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung