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In "Nachtreise" beschreibt Martin Pichler die letzten Tage im Leben seiner Mutter. die furche sprach mit dem Autor.

Jahre dauerte ihre Krankheit, ihr langsames Verschwinden. Der Südtiroler Schriftsteller Martin Pichler hat seiner Mutter schon mit seinem Roman "Lunaspina" ein literarisches Denkmal gesetzt. In seinem neuesten Buch berichtet er karg ihr Sterben, die Veränderung der Sprache, die Lügen, mit denen die Kranke und die Angehörigen sich über die Tage helfen, das Zusammenrücken der Familie, die Hilflosigkeit, den Einlauf, die Wahnsinnsschmerzen, die Chemo ...

Die Furche: Das Thema Ihres Buches ist sehr privat, es geht um das Sterben Ihrer eigenen Mutter. Wäre da nicht Fiktionalisierung ein gewisser Schutz gewesen?

Martin Pichler: Meine Mutter ist am Karfreitag eingeschlafen und am Ostersonntag gestorben. Dieser zeitliche "Zufall" wäre in jedem fiktionalen Text von plumper christlicher Symbolik. Ich wollte nichts beschönigen und auch nichts dazuerfinden, vor allem aber wollte ich keine Bewertungen abgeben. So schien es mir das Beste, eine Beobachterrolle einzunehmen und mich möglichst an die Tatsachen zu halten. Fiktionalisieren war von allem Anfang an nicht möglich. In meinen fiktiven Texten liebe ich es auszuschmücken, das Thema Tod aber verlangte nach einer anderen Sprache. Ich habe nach einer Form gesucht, wie ich das autobiografische Material anordnen sollte, ohne dass ein rührseliger, kitschiger Text entstand, der über meine eigene Befindlichkeiten und den privaten Schmerz nicht hinausging.

Die Furche: Wie geht Ihre Familie damit um, dass sie sich mit ihrem Leid in einem Buch wiederfindet?

Pichler: Meine Mutter hat einige dieser Texte noch gelesen, sie hat immer gelacht, wenn sie ihre Redensarten in den Geschichten wiederfand. Den Roman "Lunaspina" hat sie ein Jahr lang auf ihrem Nachtkästchen liegen, die Lektüre aber immer wieder hinausgeschoben, weil sie sich davor fürchtete, über ihre Krankheit lesen zu müssen. Über jedes Lob zu "Lunaspina" hat sie sich gefreut, sogar für ihr fiktionales Alter-Ego stand sie ein. Mein Vater hingegen schwankt zwischen Stolz (er ist sich dessen gewiss, dass hinter jeder Vaterfigur, die in meinen Texten auftaucht, er selber steckt) und Ablehnung (in der Angst vor dem Gerede der Leute).

Die Furche: Sie schreiben, dass die Mutter an ihrer "Fiktion" arbeitete. Was bedeutet Fiktion in einer solchen Situation?

Pichler: Fiktion ist in diesem Sinne Flucht aus der Realität: sich der Krankheit nicht zu stellen, sondern sie zu verdrängen, sich selbst eine Geschichte zu erzählen, die glaubwürdig genug ist, um die Tatsachen auszublenden. Wir als Familie haben ebenso an dieser Fiktion mitgeschrieben, indem wir Erklärungsversuche unternommen und Mutters Rückzug als "gewöhnliche" Schwermut gedeutet haben. In der Leugnung der eigenen Sexualität sehe ich ein weiteres Beispiel für das Arbeiten an einer Fiktion.

Die Furche: Wie unterscheidet sich nun die Form dieses "nichtfiktionalen" Textes von Ihrem ersten Roman?

Pichler: "Nachtreise" ist für mich eine Art Scharnier zwischen dem ersten Roman "Lunaspina" und dem zweiten Roman, der den Arbeitstitel "Störgeräusch" trägt. Der Text ist unmittelbar nach Mutters Tod entstanden, ich habe die erste Fassung innerhalb von vier Monaten fertig gestellt. Ich wollte, dass es eine karge Sprache ist. Das wichtigste formale Prinzip ist, dass ich die Chronologie aufgebrochen habe zugunsten von kreisförmigen Bewegungen rund um den Todeszeitpunkt; Kreise, die immer enger werden. Das ist die Komposition. Mir gefällt der Vergleich aus der Malerei: Beim Fiktionalisieren scheint mir, ich würde mit Ölfarbe malen; bei "Nachtreise" habe ich mich von allem Anfang an für eine Art Bleistiftskizze entschieden.

Die Furche: Stimmt mein Eindruck, dass es Ihnen wichtig war, in die Beschreibung dieser Familie das Thema Homosexualität so einzuflechten, dass Sie damit die Normalität Ihrer Beziehung verdeutlichen konnten?

Pichler: Ich wollte einfach die Situation in den Sterbetagen meiner Mutter schildern. Dadurch dass ich die Beobachterrolle einnehme, steht die Frau meines Bruders gleichwertig neben meinem Freund. Das ist mir aber erst jetzt klargeworden, als ich die erste Rezension zu meinem Buch gelesen habe, wo dies angemerkt wird. Zur Familie gehört ja eigentlich auch die Mutter meines Freundes dazu, mit welcher das Buch schließt, und welche meine Mutter noch als ihre Stellvertreterin eingesetzt hat. Die Normalität ist oft tabubrechender als das Außergewöhnliche. Ich glaube, dass ich in "Nachtreise" deshalb in Bezug auf das Thema Homosexualität radikaler vorgegangen bin als noch in "Lunaspina", wo doch noch vieles nach dem traditionellen Schema eines Coming-Out-Romans abläuft.

Die Furche: "Mit dem Sterben kehrte das Beten zurück", schreiben Sie. Religion spielt aber im Text kaum eine Rolle, was gerade bei diesem Thema erstaunlich ist. Ist das eine bewusste Entscheidung gewesen?

Pichler: Ich wollte den Alltag rund um den Tod und das Sterben aufzeigen, jegliche Deutung und Reflexion nach Möglichkeit heraushalten. Religion kommt als Thema schon vor, in den gebräuchlichen Riten oder direkten Reden der Figuren. Ich wollte das aber in keinen religiösen Sinnhorizont hineinstellen, sondern ganz im Diesseits bleiben. Ich habe deshalb auch bewusst das Eingangszitat verändert, den Psalmvers durch eine Stelle aus Saul Bellows "Herzog" ersetzt. Vielleicht war diese Wahl zum Teil unbewusst, gehörte einfach zur Gesamtkonzeption. Eine religiöse Deutung einzubringen, hätte bedeutet, die narrative Nüchternheit zu verlassen, die mir sehr wichtig war, die mir auch geholfen hat, Emotionen, allzu Intimes oder tagebuchartige Herzausschüttungen zu vermeiden. Diskretion zu wahren. Nicht ideologisch zu werden.

Das Gespräch führte Brigitte Schwens-Harrant.

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