Von irdischen Dingen

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In Moralfragen muß die katholische Kirche eine glaubwürdige Vision von ganzem Menschsein anbieten.

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In Moralfragen muß die katholische Kirche eine glaubwürdige Vision von ganzem Menschsein anbieten.

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Leider ist die Realität anders, als sie der Bestseller vorgibt: Im öffentlichen Briefwechsel zwischen dem italienischen Autor Umberto Eco und dem Mailänder Kardinal Carlo M. Martini ("Woran glaubt, wer nicht glaubt", Zsolnay Verlag, Wien 1998) wird auch die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens - im Lichte der Abtreibungsdiskussion - thematisiert. Der "Ungläubige" (Eco) fragt und erbittet eine Antwort, die auch ein naturwissenschaftlich Geprägter versteht. Und der "Gläubige" (Martini) antwortet dem Fragesteller, indem er behutsam auf ihn eingeht und bei der Frage nach dem Leben größtmögliche Weite andeutet, ohne seine "katholische" Position aufzugeben.

Der Dialog Martini-Eco ist auch hierzulande seit Monaten auf den Bestsellerlisten zu finden. Die öffentliche Diskussion heikler, aber gesellschaftlich-existentieller Fragen verläuft, wie die jüngste Eruption der Abtreibungsdebatte zeigt, aber auf anderer Ebene: Wo Proponenten eines Kulturkampfes ein öffentliches Forum wittern, beginnen sie lautstark zu kämpfen.

Und so stehen einander einmal mehr - wie vergangenen Freitag vor der bekannten Wiener Klinik - rosenkranzbetende, singende "Lebensschützer" und schrill protestierende "Abtreibungsbefürworter" gegenüber.

Die eine Seite läßt sich nicht - wie Umberto Eco - auf einen Diskurs mit dem Gegner ein, die andere - jene Bischöfe miteingeschlossen, welche die neue Fristenregelungsdebatte vom Zaum gebrochen haben - weisen in keiner Beziehung das Format des Mailänder Kardinals auf, der eben auch von den "Ungläubigen" geachtet wird und mit ihnen das Gespräch sucht.

Dabei wäre das Anliegen umfassenden Lebensschutzes ein Thema, bei dem sich gesellschaftliche Kräfte von allen Seiten zusammenfinden müßten, um jenseits ideologischer Ressentiments nachzudenken. Doch dies geschieht nicht.

Überdies enttäuschte die katholische Kirche Österreichs in der derzeitigen Diskussion ein weiteres Mal; die Publizistin Barbara Coudenhove-Kalergi schrieb in der "Presse", die moralische Autorität der Kirche sei nun ernstlich beschädigt. Und "profil" lieferte postwendend eine Karikatur, welche eine "Meinungsumfrage" über "Moralische Instanzen 1999" darstellt: 3,8 Millionen votieren auf dieser Zeichnung für "Kabel-TV", 3 Millionen für "Edelfedern", 1 Million für "FPÖ-NÖ" - und nur 41.237 für "Kirche".

Auch wenn derartige Anwürfe boshaft oder feindselig gegenüber der katholischen Kirche sein sollten: Das Gespenst der moralischen Bedeutungslosigkeit bleibt vor Augen. Wie soll eine Kirche von Gott erzählen, wenn ihr die Menschen schon in den "irdischen Dingen" nicht mehr zuhören?

Trotz allem Hunger nach Transzendenz, den die Kirche stillen will: Wenn es ihr nicht gelingt, glaubwürdig eine Vision von ganzem Menschsein - Lebensanfang, Lebensende und das ganze Leben dazwischen betreffend - zu vermitteln, nützt alles Reden von Gott wenig. Die Abtreibungsdebatte zeigt dies überdeutlich.

Wichtig wäre, um Glaubwürdigkeit wiederzuerringen und zu überzeugen, daß die Auseinandersetzung notwendig ist, ein offenes Gespräch mit der Welt. Dazu müßte sich aber gerade die katholische Kirche in Österreich auf einige Voraussetzungen einlassen: * Es gibt in der Debatte um Leben und Lebensschutz keine einfachen und klaren Rezepte. Die Welt, das Leben und dessen Umstände sind komplex, vorschnelle Urteile führen von der Menschlichkeit weg (Beispiele für Vereinfachungen von jüngst: die "karrieregeilen Frauen", die "profitsüchtigen Ärzte", auf der Gegenseite: die "frauenfeindlichen Kleriker" ...)

* Es geht um eine "Inkulturation" moralischer Grundwerte in die Gegenwart. Mit bloßen ethischen Stehsätzen wie "Der Mensch ist nicht Herr über das Leben" werden Menschen im Alltag alleingelassen: Ein Arzt am Krankenbett etwa muß Entscheidungen über Leben und Tod treffen, ob er Leiden verlängert oder verkürzt, wieviel (ja auch: finanziellen!) Aufwand er treiben kann; wie er bei einem Sterbenden, dessen Organe ein Lebender benötigt, die Grenze des Todes findet, und so weiter (von den vielen Abwägungen, die heute in Gentechnik und Reproduktionsmedizin zu treffen sind, gar nicht zu reden). Derartigen Situationen kommt man mit obigem Satz nicht bei: Menschen (Ärzte ...) benötigen hier Hilfe, wie sie über das Leben und den Tod verantwortbar entscheiden können - auch weil Menschen (Kranken, Sterbenden ...) Schutz gebührt, damit sie nicht anderen wehrlos ausgeliefert sind. "Der Mensch ist nicht Herr über das Leben" muß im Heute interpretiert werden.

* Die "Denker" der Kirche spielen in dieser Auseinandersetzung eine wesentliche Rolle - und dürfen nicht Denkverboten ausgesetzt sein. Dazu gehört, daß die Theologie ihre Rolle als Partnerin der anderen Disziplinen wahrnimmt und aus dem Mauerblümchendasein unter den modernen Wissenschaften heraustritt. Ebenso notwendig ist, daß die Kirche ihre Theologen zu diesem Disput ermutigt und dabei nicht ängstlich auf (vermeintliche) Abweichungen von der Glaubenslehre schielt.

* Schließlich ist ein gemeinsames Vorgehen der Kirchen in diesen "irdischen Fragen" unabdingbar. Die Ethik des Lebens ist ein ökumenisches Projekt, das heißt, will das Christentum seine Bedeutung wiedererringen, kann es nur in ökumenischem Gleichschritt geschehen. Der deutsche Theologe Hans Küng hat ähnliches mit seinem "Projekt Weltethos" auf größerer Ebene angedacht: ein gemeinsames Ethos der Religionen soll demnach der Boden eines weltweiten gesellschaftlichen Konsenses sein. Zumindest für die Kirchen hierzulande sollte in diesem Sinn ein gemeinsames Vorgehen außer Streit stehen.

Die - katholische - Kirche muß aber selbst zur Versachlichung der Lebensschutzdebatte beitragen, der Vorschlag des Wiener Generalvikars Helmut Schüller, einen runden Tisch zum Thema einzurichten, könnte ein Schritt dazu sein - wenn nicht andere (was leider zu befürchten ist) mehr auf "Kämpfen statt Denken" oder "Slogans statt Zuhören" setzen.

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