Wenn die Beschenkten schenken

Werbung
Werbung
Werbung

Der in Salzburg lehrende katholische Dogmatiker Alois Halbmayr reflektiert die ökonomische Überformung von Weihnachten im Spiegel einer Anders-Ökonomie jenseits des Tauschzwangs.

Wir schenken gerne. Nein, wir erwarten nichts zurück. Oder doch? Wie ist das mit dem "umsonst“ Geben? Dem Fest der Liebe scheint seine Geldgeprägtheit tief eingeschrieben. 450 Euro, so wurde statistisch erhoben, geben Herr und Frau Österreicher heuer für Geschenke aus. Dabei wäre Weihnachten geradezu dafür prädestiniert, Formen des Schenkens einzuüben, die keiner versteckten Tauschlogik unterworfen sind, denn der biblische Gott gibt sich den Menschen in reiner Gratuität, vorgängig und ungeschuldet.

In seinen Analysen zur Gott-Geld-Thematik durchleuchtet der Universitätsprofessor für Systematische Theologie Alois Halbmayr (50) die Umstände und Wechselwirkungen, die zur Kommerzialisierung und ökonomischen Überformung des Festes der Menschwerdung Gottes führen. Jedoch sieht der Wissenschafter die soziologischen Vorgänge mit Gelassenheit. "Die Kirche hat über die religiösen Symbole keine hermeneutische Deutungshoheit mehr. Sie wurden öffentliches Gut. Die Definitionsmacht für Weihnachten obliegt heute der säkularisierten, pluralistischen Gesellschaft. Das ist auch eine Chance für die Kirche, diese Funktionalisierung der religiösen Symbole zu reflektieren, sie zu dekonstruieren und zu sagen: Wir verstehen darunter etwas anderes.“

Halbmayr plädiert dafür, Weihnachten, das geradezu stromlinienförmig an unsere Marktgesellschaft angepasst wurde, als Unterbrechung der Tauschlogik von Geben und Nehmen zu verstehen. Gottes Menschwerdung wurde zu einem Fest der "Geld-Wertung“ und der Geldgutschein zu einem der beliebtesten Weihnachtsgeschenke, weil es dem Beschenkten ein schier unendliches Reservoir an Umsetzungsmöglichkeiten seiner Wünsche eröffnet.

Als "Fest des Gefühls“ so Halbmayr, "appelliert Weihnachten sehr stark an unsere Kindheitserinnerungen. Diese Gefühle werden kommerziell ausgebeutet. Das Symbol des Kindes in der Krippe ist uns vertraut und fremd zugleich. Das heißt, es kann neu aufgefüllt, neu gedeutet werden, wie immer, wenn etwas nicht mehr integraler Teil einer Lebenswelt ist.“ Einmal entfremdete Symbole sind jedoch erneut verformbar, gibt sich Halbmayr zuversichtlich. Aufgrund ihrer Plastizität und Durchlässigkeit ließe sich auch eine religiöse Bedeutung des Festes wiedergewinnen. Das in den Medien oft bemühte Lamento der Glaubensentleerung hält Halbmayr für unangebracht: "Das führt uns nicht weiter.“

Marktgerechte Symbolik

Wesentlich interessanter erscheint in diesem Kontext die Tatsache, dass in der ökonomischen Funktionalisierung von Weihnachten die religiöse Semantik keineswegs ausgeblendet oder gar offensiv bekämpft wird. "Vielmehr greift der Markt die religiöse Symbolik produktiv auf und scheint damit zunächst ihre Bedeutung zu festigen“, erklärt Halbmayr die wechselseitige Durchdringung der Entitäten Ökonomie und Religion. Die Frage, warum sich die Ökonomie der religiösen Symbolwelt bedient, beziehungsweise warum die christliche Symbolik offensichtlich sehr gut dafür geeignet ist, sich in ein ökonomisches Funktionssystem integrieren und mit gänzlich neuen Bedeutungen aufladen zu lassen, beantwortet Halbmayr mit dem Verweis auf die "schillernde Ambivalenz“ und den "offenen Bedeutungsraum, der die christliche Ikonografie gegenwärtig kennzeichnet“. Dies mag auch am Verblassen der ohnehin nur mehr rudimentär vorhandenen Erfahrungen mit der religiösen Praxis früherer Jahre liegen.

Man kann den allmählichen Verlust religiöser Ursprungsbedeutungen beklagen, oder, wie Halbmayrs wissenschaftliches Credo dies nahelegt, auf einer religionssoziologischen Reflexionsebene auch den evolutiven Charakter permanenter gesellschaftlicher Veränderungen konstruktiv aufgreifen. Neue Deutungen, Interpretationen und Experimente könnten christliche zentrale Aussagen wie die der Inkarnation Gottes in einem säkularen, postreligiösen Zeitalter neu verständlich machen. Die Theologie müsste zeigen, dass die Menschwerdung Gottes eine andere Ökonomie in Gang setzen könnte. Eine anderes Denken, das vielleicht paradox ist, aber das die funktionale Reziprozität des Tausches, der Gegenleistung für eine Gabe, aufhebt. Dann wäre wahrscheinlich der Gedanke leichter vermittelbar, dass Gott sich umsonst, gratis selbst gibt. Dafür muss nichts zurückgegeben werden, wie Halbmayr formuliert: "Gott als die Gabe ohne Gegengabe verpflichtet nicht. Sie setzt frei und sie macht frei.“

Schenken, nicht tauschen

Damit will Halbmayr dem Rad der herrschenden Monetarisierung und ihrer strukturellen Gnadenlosigkeit in die Speichen greifen. Er plädiert dafür, dass die "Anders-Ökonomie Gottes Gestalt annimmt, das wäre eine Möglichkeit. Er möchte sie aber nicht als Gegenökonomie etablieren. Dann liefe sie nämlich Gefahr, "den Fängen der klassischen Tauschverhältnisse“ nicht entrinnen zu können. Die von Halbmayr beschriebene Anders-Ökonomie der Gnade führt das "Ich gebe, damit du gibst“, das klassische "do ut des“, ad absurdum. Es gibt keine Gegengabe, keine Schuld. Der Kapitalismus hat einen Verschuldungscharakter, wie schon Walter Benjamin gezeigt hat. Eine religiöse Ökonomie ist reines Geschenk, reine Gabe, ohne die Erwartung einer Gegenleistung, fasst Halbmayr zusammen. "Schon bei Augustinus gibt es den Gedanken, dass der Mensch auf das Geschenk Gottes nicht antworten kann, er kann es nur annehmen. Auch sakramentale Vollzüge funktionieren als reines Geschenk von Gott. Dass die Kirche daraus wieder Reziprozität gemacht hat, ist bereits ein Zeichen des ökonomischen Paradigmas. Im Gottesdienst wird oft - wie selbstverständlich - Geld abgesammelt. Auf der Meta-Ebene behauptet man gleichzeitig, Gott gibt sich bedingungslos. Da muss man dem Rad in die Speichen greifen. Religionen müssen entschulden.“ Halbmayr wirbt um ein das Geldparadigma hinter sich lassendes Neuverständnis von Reichtum und Fülle. Er legt einen Perspektivenwechsel nahe, innerhalb dessen sich eine Anders-Ökonomie entwickeln könnte. "Diese steht für die Durchbrechung der Logik des Tausches und der funktionalisierten Reziprozität.

Die Erhebungsdaten der Europäischen Wertestudie (www.europeanvalues.nl) unterstützen Halbmayrs These: Geld hat Funktionen übernommen, die weit über seinen ökonomischen Kontext hinausreichen und in ihrer Wirksamkeit zu einer neuen göttlichen Macht geworden sind. Die klassischen Domänen der Religion - wie Sinn zu stiften, Kontingenz zu bewältigen, Freiheit zu ermöglichen, Identität zu stiften - seien zu Funktionen eines quasi-göttlichen Geldsystems geworden. Das geht Halbmayr zu weit, denn dann "ist das christliche Bekenntnis zu einem Schöpfergott, Bewahrer und Erlöser jedes Lebens, angefragt und herausgefordert.“

Die Hoffnung wird neu aufgeladen

Halbmayr konstatiert, mit den Heilsversprechungen eines Geldpantheismus sei der christlichen Gottesrede eine völlig neuartig gestaltete Konkurrenz erwachsen. Diese unterscheide sich vom klassischen Atheismus. Der heilbringende Glaubensanspruch werde keineswegs mehr bestritten, ganz im Gegenteil. Die Verheißung der Erlösung werde vielmehr kreativ aufgegriffen, ökonomisch aufgeladen, "überformt, von innen her entkernt und mit neuen Interpretationsmustern aufgefüllt“.

Unter dem Paradigma einer Anders-Ökonomie kann das paradox wirkende Gleichnis von den Arbeitern am Weinberg (Matthäusevangelium 20,1-16) gelesen werden: Als ein Aufruf zur solidarischen Haltung mit jenen Mitmenschen, die nur die Schattenseiten des Lebens kennengelernt haben. Der Fokus der Erzählung stellt das herrschende Gerechtigkeitsverständnis auf den Kopf. Arbeiter, die den ganzen Tag geschuftet haben, erhalten den gleichen Lohn wie jene, die bloß die letzte Arbeitsstunde mitgeholfen haben. Maßstab und Ausdruck der Gerechtigkeit sind also nicht in erster Linie die erbrachte Leistung oder der erhaltene Verdienst, sondern die Befriedigung der Grundbedürfnisse, die für alle Menschen möglich sein muss.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung