Zwei Reformer an Zeitenwenden

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Vieles ist über die Person des Jorge Mario Bergoglio bereits geschrieben worden. Hier soll versucht werden, Papst Franziskus im Vergleich zu einem seiner Vorgänger, Gregor I. (590-604), zu sehen.

Papst Franziskus und Papst Gregor I. - beide Päpste stehen an schicksalhaften historischen Zäsuren der katholischen Kirche: Papst Gregor I. an der Zeitenwende zwischen christlichem Altertum und beginnendem Mittelalter mit einer zutiefst gespaltenen Kirche; Franziskus in einer Situation innerer Stagnation, zentralistisch bürokratischer Verkrustung und der Notwenigkeit äußerer und innerer Reform.

Gregor I. stammte aus einer der bedeutendsten aristokratischen Familien Roms, treuen Anhängern des Kaisers in Byzanz. Die Familie, von tiefer Frömmigkeit erfüllt, sorgte insbesondere für die Armen und Waisen in Stadt und Land in einem von Germaneneinfällen schwer heimgesuchten Italien. In einer Zeit der apokalyptischen Anarchie wurde Gregor um das Jahr 540 in der verwüsteten Stadt Rom geboren und erhielt eine standesgemäße, klassische Aus-bildung. Über die Jugendjahre Gregors ist wenig bekannt. Interessant ist aber der Umstand, dass der junge Gregor, von seiner Familie stark geprägt, sich bald vom weltlichen Leben abwandte und im religiösen Leben seine Erfüllung suchte. Aber bis er seine mönchische Berufung erfuhr, widmete er sich ganz im Sinne der Familientradition der weltlichen Laufbahn, führte schon als Stadtpräfekt von Rom ein asketisches, klösterliches Leben und beteiligte sich nicht am gesellschaftlichen Treiben der römischen Gesellschaft. Schließlich trat er um 575 in das Benediktinerkloster des hl. Andreas eintrat, das er mit seinem Erbteil nach seinem Vaters im elterlichen Palast in Rom eingerichtet hatte.

Benediktiner und Jesuit

Franziskus, am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires als Sohn einer italienischen Einwandererfamilie geboren, ist wie Gregor durch die Familie stark religiös geprägt. Franziskus erlernte zuerst den Beruf eines Chemietechnikers, bis er schließlich im Jesuitenorden, in den er 22-jährig im Jahre 1958 eintrat, seine religiöse und geistige Heimat fand. Nach umfangreichem Studium der Philosophie und Theologie und führender Stellung im Orden wurde Jorge Mario Bergoglio 1998 Erzbischof seiner Heimatstadt Buenos Aires und 2001 von Papst Johannes Paul II. zum Kardinal der römischen Kirche ernannt. Selbst als Erzbischof einer Millionenmetropole führte Jorge Mario Bergoglio ein von persönlicher Anspruchslosigkeit, Sanftmut und Nächstenliebe geprägtes Leben. Seine besondere Fürsorge galt den Armen, Kranken und Waisen, den Letzten in der modernen, konsumorientierten, säkularen Gesellschaft.

Im Herbst des Jahres 590 wählten Klerus, Adel und Volk der Stadt Rom den Benediktinermönch Gregor zum 37. Papst; er war der erste Mönch auf dem Stuhl Petri. 1423 Jahre später wird der Jesuitenpater Erzbischof Jorge Mario Bergoglio von 115 Kardinälen in Rom zum 266. Papst der katholischen Kirche gewählt, nimmt zur Überraschung der christlichen und übrigen Welt den Namen Franziskus an und signalisiert damit unüberhörbar und unübersehbar sein Programm. Kardinal König hatte sich bei der für alle Welt überraschenden Wahl des eher unbekannten Erzbischofs von Krakau, Karel Wojtyla, zum Papst einmal dahingehend geäußert, dass der Heilige Geist hier "seine Finger im Spiel“ gehabt haben müsse. Der Heilige Geist scheint auch bei Jorge Mario Bergoglio seine Finger im Spiel gehabt zu haben.

Durch seine natürliche Demut, seinen mönchischen Lebensstil und seine Fähigkeit zur persönlichen Entsagung, gepaart mit bemerkenswerten organisatorischen und diplomatischen Fähigkeiten, erschien Gregor I. den durch Krieg, Hunger und Not geplagten Menschen als der richtige Mann zur richtigen Zeit für das höchste Kirchenamt. Er war ein tatkräftiger und energischer Papst, der Probleme hinsichtlich eines unfähigen Klerus nicht lange "überdachte“, sondern entschlossen handelte. Seine Verpflichtung zur Demut war so ausgeprägt, dass er schon als Diakon die Bezeichnung Servus Servorum Dei, "Diener der Diener Gottes“, annahm und als Papst beibehielt. Die Demut ging ihm über alles. Er nannte sie Mutter und Hüterin der Tugenden und Wurzel des Guten. Auch hier lassen sich ohne Mühe starke persönliche Übereinstimmungen mit dem Denken und Handeln von Papst Franziskus erkennen. Gregor scheute auch nicht davor zurück, selbst Kirchenvermögen für die Armen und Kranken zu verwenden.

Seine päpstliche Fürsorge widmete Gregor I. im besonderen Maße der cura animarum, der Seelsorge. Sein Bemühen galt den klaren Anleitungen für eine gottgefällige Lebensweise des Christen und des Klerus, von dem er darüber hinaus uneingeschränkte Demut und Pflichterfüllung in der Ausübung des priesterlichen Amtes verlangte. Bischöfe, Priester und Äbte sollten nicht als Herrn auftreten, sondern als Diener der ihnen anvertrauten Gemeinde. Unermüdlich unterrichtete Papst Gregor I. daher Episkopat und Klerus, um sie zu guten Predigern und Lehrenden auszubilden und so die kirchliche Hierarchie in den Augen der Menschen glaubwürdig zu machen. Das war auch bitter notwendig, denn der einfache Klerus zeichnete sich vielfach durch Unwissenheit, Verfehlungen und Nachlässigkeiten im kirchlichen Amt aus. Gregor I. sah dies als Schaden für die Kirche. Die fast gleichen Denkmuster lassen sich bei Papst Franziskus feststellen.

Reform - keine Revolution

Ein besonderes Anliegen für Gregor I. war die Reform der Kirche im Allgemeinen und der päpstlichen Kurie im Besonderen, ohne aber von der Vorstellung des päpstlichen Primats, der durch die Schuld der Vorgänger sehr gelitten hatte, abzuweichen. Die vielen apostolisch-philosophischen Schriften Gregors I. und seine zahlreichen Predigten und praktischen Anleitungen für die Seelsorge prägten die Gestaltung des religiösen Lebens seiner Zeit und haben bis zum heutigen Tag ihre große Bedeutung bewahrt. Daneben kümmerte er sich intensiv um die Erneuerung der Liturgie.

Auch Papst Franziskus tritt, wie Gregor I., mit Nachdruck für die Reform der Kirche an Haupt und Gliedern ein. Dennoch sollte man nicht übersehen, dass der Papst zwar gegen übertriebene Zentralisierung und für eine heilsame Dezentralisierung eintritt und mehr zur Kollegialität mit den Bischöfen neigt, aber aus seinem Lehrschreiben "Evangelii gaudium“ geht nicht hervor, dass Franziskus etwas am päpstlichen Primat zu ändern beabsichtigt, wenn er auch die Bedeutung des päpstlichen Lehramtes relativiert.

Gregor I. war Bahnbrecher für eine neue Zukunft der Kirche, über das Mittelalter hinaus. Daher wird der auch "der Große“ genannt. Als solcher ist er als ein beispielgebender Papst für jeden seiner Nachfolger anzusehen. Auch für seinen 229. Nachfolger Franziskus.

Der Autor ist freier Publizist

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