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Privatboden: weniger als zehn Prozent

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Nach neuesten Zahlenangaben sind derzeit 4,4 Millionen Hektar landwirtschaftlichen Bodens kollektivisiert und werden von 8000 Kollektivwirtschaften bewirtschaftet. Das sind mehr als 90 Prozent des landwirtschaftlichen Bodens. Wie radikal man vorging, zeigt folgende Statistik: Nachdem man 1949 mit der Kollektivierung begann, war bereits sechs Jahre später fast die Hälfte aller selbständigen Bauernhöfe liquidiert; 195 5 machte der „sozialistische Sektor“ am Agrarboden bereits 42,6 Prozent aus, ein Anteil, der bis 1961 auf 88 Prozent hochgeschnellt war. Übertroffen wird die Tschechoslowakei praktisch nur noch von der Chinesischen Volksrepublik, Nordkorea und der mongolischen Volksrepublik, auf europäischem Boden von Bulgarien und der DDR.

Rein zahlenmäßig erreicht in der Tschechoslowakei die Zahl der privaten Hofstellen noch die verhältnismäßig hohe Zahl von 704.872. Da aber die maximale Größe der Hofstellen 0,5 Hektar betragen darf (in der DDR ist der erlaubte Landbesitz inzwischen von 0,5 auf 0,24 Hektar herabgesetzt worden!), macht der IandwirtschaftfrcrTe Boden dieser privaten Hofstellen nur noch 323.124 Hektar aus! Und obwohl auch die maximale Anzahl der Tiere, die gehalten werden dürfen, festgelegt ist (eine Kuh, ein bis zwei Schweine, da-

zu Schafe, Ziegen, Geflügel und Kaninchen nach Bestimmungen der einzelnen Kollektivwirtschaften), ist das Gesamtaufkommen dieses allseitig so eingeschränkten privaten Sektors trotz allem noch erstaunlich: Während der Boden nur 7,6 Prozent des kollektivierten Bodens beträgt, kamen im Vorjahr in der Slowakei fast 40 Prozent der Milch- wie der Schweineproduktion aus privaten Hof stellen!

Die katastrophale Situation der Landwirtschaft zwang neben einer Reihe einschneidender organisatorischer Maßnahmen am Beginn 1963 (Schaffung von landwirtschaftlichen Produktionsverwaltungen in Bezirken und Kreisen, die an Stelle der Bezirksnationalausschüsse nunmehr die Tätigkeit der Staatsgüter und der Kollektivwirtschaften direkt leiten, einen „direkten Einfluß“ auf die Maschinen und Traktorenstationen sowie die Tätigkeit der Aufkaufs- und Versorgungsbetriebe haben) zu der vielleicht am wenigsten bekannten, aber einschneidendsteh Maßnahme: der Neueinführung der Abgäbepflicht aller landwirtschaftlicher Produkte (inklusive Eier) für die verbliebenen privaten Zwergbetriebe mit 1. Jänner 1963. Ob diese Maßnahme die bisher deutlich sichtbare rührige Aktivität dieser Kleinstbauern oder Nebenerwerbsbauern steigern wird, bleibt noch sehr abzuwarten.

Kein Weg aus der Sackgasse

Im mitteleuropäischen Raum gehen nur Ostdeutschland und die Tschechoslowakei ihren orthodoxen Weg weiter. Während Ungarn sehr geschickt liberale Maßnahmen auch auf dem Sektor der Landwirtschaft ergriffen hat. psychologisch geschickt ausbaut (der stellvertretende Landwirtschaftsminister Keserue erklärte erst kürzlich, es sei vollkommen falsch, die privaten Hofstellen als „kurzlebige Übergangsform“ aufzufassen) und sichtbare Erfolge auf dem Gebiet der Ernährung der Bevölkerung aufzuweisen hat; während in Polen der Anteil der privaten Bauernwirtschaften 86,3 Prozent des gesamten landwirtschaftlichen Bondes ausmacht, sind in Prag auch nicht die geringsten Anzeichen einer Liberalisierung oder einer Lockerung sichtbar. Man plant weiter am Prager Schreibtisch, daß man durch intensive Mechanisierung bis zum Jahr 1970 nur noch eine Million Arbeitskräfte in der Landwirtschaft benötige (bei einem derzeitigen Stand von 1,3 Millionen, einer jährlichen Abnahme von 100.000 landwirtschaftlichen Kräften und der derzeitigen Überalterung ein geringer Trost!), daß man jährlich 40.000 landwirtschaftliche Lehrlinge benötige, daß man die Investitionen und die Kunstdüngererzeugung steigern wolle. Aber man wird auch beim kommenden Siebenjahresplan, der von 1964 bis 1970 läuft, feststellen, daß Mechanisierung und Kunstdünger, daß Traktoren und „Chemisierung“ den Menschen, den an seiner Arbeit und. an seinem Werk interessierten Menschen nicht ersetzen kann.

Man hat den Bauern abgeschafft, aber man konnte das entstandene Vakuum nicht ausfüllen; man geht nach orthodoxen Grundsätzen vor, muß dies aber mit gigantischen Lebensmittelimporten bezahlen.

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