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Böhmen hat keine Bauern mehr

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Im März 1948 nahm die tschechoslowakische Nationalversammlung ein Gesetz „Über die neue Bodenreform“ an; 433.000 Hektar wurden an kleinere und mittlere Bauern verteilt. Aber das waren nur „Zuckerln“ für die erste Stunde, eine taktische Über-

gangslösung für das erste Jahr nach der kommunistischen Machtergreifung, denn schon im folgenden Jahr begann auf Grund der Beschlüsse des IX. Parteitages der KPTsch der „Übergang zur ger^ssenschaftlichen Sozialistischen Landwirtschaft“, womit man den Übergang zum Kolchossystem nach sowjetischem Vorbild bezeichnete und tarnte.

Mit dieser Maßnahme begann das große Bauernsterben in den böhmischen und mährischen Ländern, in Ländern, in denen die bäuerliche Struktur durchweg gesund war und nur wenig Extreme nach der Seite der Großgrundbesitzer wie nach der Seite der Zwergwirtschaften zeigte.

15 Jahre nach dieser entscheidenden Zäsur mußte kürzlich der tschechische Staatspräsident und Erste Sekretär der KPTsch, Novotny, anläßlich seiner Neujahrsbotschaft 1963 ein bezeichnendes Geständnis machen, das kaum zum Jubiläumsjahr der Landwirtschaft (das natürlich nicht gefeiert wird!) paßt: „Ich glaube“, sagte der Staatspräsident, „es war für die Landwirtschaft eines der schlimmsten Jahre, die wir bisher erlebt haben.“ Dabei war das Jahr 1962 keineswegs ein Jahr der Katastrophen, die Bauern der umliegenden Länder, nicht zuletzt die österreichischen, konnten das vergangene Jahr mit Recht als ein gutes bezeichnen.

1962 schlechter als 1961

Innerhalb des trübseligen Abschlußberichtes der tschechoslowakischen Wirtschaft für das Jahr 1962 bildet die Landwirtschaft einen besonde-

ren Tiefpunkt: Die landwirtschaftliche Bruttoproduktion wurde 1962 insgesamt nur zu 88 Prozent (in der Slowakei nur zu 86 Prozent) erfüllt, und dies, obwohl das Plansoll mehrmals herabgesetzt wurde. Die Ergebnisse lagen damit unter denen des Jahres

1961 — nachdem die des Jahres 1961 um nur ein Prozent über denen des Jahres 1960 gelegen waren. Bis auf Gerste waren die Hektarerträge aller Getreidesorten niedriger als 1961, auf dem Gebiet der Pflanzenproduktion wurde der Plan zu 84 Prozent, auf dem der tierischen Produktion zu 93 Prozent erfüllt. An Milch konnte um 6,8 Prozent weniger als 1961 angekauft werden, der Eieraufkauf wurde nur zu 91,5 Prozent erfüllt, so daß der Bevölkerung neun Millionen Eier weniger zur Verfügung standen als 1961.

Hinzu kommt, daß auf keinem anderen Gebiet, bei keiner anderen Schwierigkeit — die Kohlenversorgung im Winter ausgenommen — die Bevölkerung so empfindlich reagiert wie hier. Was nützte es da, der Bevölkerung vorzurechnen, daß der Fleischbedarf der Bevölkerung von 359.000 Tonnen im Jahr 1956 auf 454.000 Tonnen im Jahr 1961 gestiegen sei und daß am zeitweisen Heischmangel oder am Mangel verschiedener Sorten nicht übermäßige Exporte schuld seien, daß man im Gegenteil jährlich rund 100.000 Tonnen Fleisch einführen müsse! Was nützt es, zu erklären, daß auch die anderen Lebensmittelimporte ein für tschechische Verhältnisse gigantisches und gesamtwirtschaftlich nicht mehr vertretbares Ausmaß angenommen haben! So waren allein 1960 eine Million Tonnen Konsumweizen, 900.000 Tonnen Futtermittel, 14.000 Tonnen Butter und 113.000 Tonnen Gemüse eingeführt worden —, und das für teuere Devisen, die man sich auf anderen Gebieten mühselig verdienen mußte!

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