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Wenn der Osten erwacht

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Osteuropa konnte sein enormes landwirtschaftliches Potential noch nicht nutzen, um Westeuropa zu bedrängen.

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Osteuropa konnte sein enormes landwirtschaftliches Potential noch nicht nutzen, um Westeuropa zu bedrängen.

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Die natürlichen Voraussetzungen für die Agrarproduktion sind in Osteuropa überwiegend günstig. Die meisten Länder dieser Region sind reich an fruchtbarem Boden, Arbeitskräfte sind reichlich verfügbar und billig. Kein Wunder, daß der politische Umbruch Ende der achtziger Jahre Befürchtungen weckte, die überschußgeplagten Bauern Westeuropas könnten bald durch die Billigkonkur- renz aus dem Osten in zusätzliche Bedrängnis geraten.

Diese Erwartungen haben sich bisher nicht erfüllt. Im Gegenteil: Die Bilanzen der letzten Jahre über den West- Ost-Agrarhandel belegen sogar erhebliche Gewinne der Westeuropäer. Die EU konnte ihre Exporte in den Osten seit 1990 sprunghaft ausweiten, die Importe waren rückläufig. In Österreichs Agrarhandel zeigt sich das gleiche Bild. 1993 waren die heimischen Ausfuhren in die Oststaaten mit rund 5,1 Milliarden Schilling um mehr als die Hälfte höher als 1989; die Einfuhren nahmen im gleichen Zeitraum um drei Prozent auf rund 3,6 Milliarden Schilling ab. Österreich wurde damit im Ost-Agrarhandel vom Nettoimporteur zum Nettoexporteur. Im ersten Halbjahr 1994 hielt diese Tendenz unvermindert an. Der „Agrarriese“ Osteuropa konnte offensichtlich sein enormes Potential bisher nicht aktivieren.

Die Ursachen für die Einbußen der Oststaaten im Agrarhandel hegen zu einem guten Teil in der tiefen Krise ihrer Ernährungswirtschaft als Folge der noch nicht bewältigten Privatisierung und Umstellung auf das marktwirtschaftliche System. Die Agrarproduktion ist seit 1989 in fast allen Oststaaten und zum Teil dramatisch gesunken. Ungarns Landwirtschaft produzierte 1993 um ein Drittel weniger als vor vier Jahren, in der CSFR gab es einen Abfall um etwa ein Viertel. Viele Agrarbetriebe sind überschuldet und kämpfen ums Überleben, die Marktstrukturen sind zerrüttet. Die westeuropäischen Anbieter profitierten von den Schwächen ihrer östlichen Konkurrenten. Professionelles Marketing, verbunden mit hoher Qualität und einem positiven Image westlicher Produkte öffneten ihnen die Ostmärkte für höher verarbeitete Erzeugnisse. Die Ausfuhr agrarischer Rohprodukte profitierte von massiven Exportsubventionen, die eine Räumung der westlichen Märkte sichern sollten.

Mit den Ungleichgewichten in ihrer Handelsbilanz wächst in den Oststaaten die Kritik an der Handels- und Agrarpolitik Westeuropas und es werden weitere Konzessionen im Agrarhandel gefordert. Die EG-Kommission befürwortet unter dem Druck der aktuellen Entwicklung und der großen Bedeutung der Einnahmen aus dem Agrarexport für viele Oststaaten eine größere Öffnung des EU-Marktes. Eine Revision ihrer „Europaabkommen“ ist in Diskussion, konkrete Ergebnisse stehen noch aus. Den der EU assoziierten mittel- und osteuropäischen Ländern soll es dadurch erleichtert werden, ihre agrarische Handelsbilanz wieder ins Lot zu bringen-.

Österreich muß als künftiges EU-Mitglied das Agrarhandelsregime der Union übernehmen und ist deshalb daran interessiert, bei der vorgesehenen Anpassung der Europaabkommen der EU seine Interessen zu wahren. Die heimische Nahrungsmittelindustrie möchte insbesondere die derzeitigen Märkte in Ungarn erhalten und drängt auf eine entsprechende Aufstockung der EU-Exportquoten. Eine offene Frage sind mögliche Folgen größerer Agrarkonzessionen der EU für die österreichischen Märkte.

Im Zuge der Diskussion um den Ost-Agrarhandel sollte der Kern des Problems - die sehr schwierige Lage und die daraus resultierende unzureichende Wettbewerbsfähigkeit der östlichen Emährungswirt- schaft — nicht übersehen werden. Eine weitere Öffnung der westlichen Märkte kann zwar die Sanierung der Agrarhandelsbilanz der Ostseiten unterstützen; eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der osteuropäischen Anbieter kann sie aber auf Dauer nicht ersetzen.

Der Autor ist Agrarexperte im Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut.

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