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Friede auf den Straßen

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Friede auf Erden! — Dieses ewige Bibelwort sei aus besonderem Anlasse abgewandelt in: Friede auf den Straßen!

Sicher ist es leichter, von einem mehr oder weniger wohlhabenden Mann eine Geldspende für wohltätige Zwecke zu erhalten als von einer ganzen Anzahl von Kraftfahrern entsprechende

Rücksichtnahme gegenüber ihrer eigenen Person wie auch der anderer. Trotzdem aber möchten wir gerade jetzt wieder einmal versuchen, den Kraftfahrer aus seinem ganz und gar unzeitgemäßen, fahrerischen wie moralischen Dämmerschlaf zu wecken, um ihn über die schönste Zeit im Fahrzeug verkehrssicher und vor allen Dingen unfallfrei hinwegzubringen.

Wir wollen gar nicht erst besonders darauf hinweisen, daß die Kirche schon da und dort schwere Verkehrsdelikte als Todsünde betrachtet— und dem wird jeder denkende Mensch zustimmen. “Es ist nämlich für den Leidtragenden: näcrr ;eWem'rsblcherii,Er elgrÖPfoMoÄrrM fhäfctf-“' gültig, aus welcher Haltung des Täters heraus er an Leib oder Leben Schaden genommen hat, und nur von dieser Perspektive heraus sollte man das Problem zu sehen trachten. Ein betrunkener Kraftfahrer, selbst wenn er etwa unter einem pathologischen Rauschzustand stehen sollte, ist eben doch ein gemeingefährlicher Mensch, denn der Umstand, daß er in solche Zustände fallen kann, dürfte ihm ja sicherlich bereits einmal bekannt geworden sein. Also ist es außerordentlich verantwortungslos von ihm, sich einem solchen Zustand freiwillig auch nur im entferntesten auszusetzen, zumindest ebenso verantwortungslos, wie wenn ein anderer nur ganz gewöhnlich über den Durst trinkt.

Ebenso ist der rücksichtslose Fahrer ein Mensch, der gegen ein wichtiges göttliches Gesetz verstößt, nur leider ist es halt wie im Leben so auch in der Kraftfahrt: Der anständige Mensch ist eben auch im Straßenverkehr anständig, denn das ist ja seine Religion, Weltanschauung und Haltung überhaupt, während den Rowdy, unbeschwert von jeglicher innerer Verpflichtung, auch die kirchliche Strafandrohung mehr oder weniger ungerührt läßt. Menschen mit solcher Veranlagung tun sich im allgemeinen ntir selbst leid und wären deshalb mit entsprechend scharfen Polizeistrafen wesentlich wirksamer zu erziehen.

Wir können daher wieder nur an die an sich bereits gutwilligen Kraftfahrer appellieren, sich im Verkehr so zu benehmen, daß sie auch noch in der Lage sind, die Rücksichtslosigkeit, Dummheit und mitunter auch Gemeinheit der anderen, wenn möglich, durch höhere Vorsicht und Umsichtigkeit, größere Charakterstärke und besseres fahrerisches Können zu kompensieren. Ein Auto ist besonders heute durch die stets wachsende Schnelligkeit und Leistungsfähigkeit eine sehr gefährliche Waffe, deren Benützung nur einen Führerschein, leider aber keinen' Waffenpaß erfordert, der ja bekanntlich an moralische Zuverlässigkeit gebunden ist. Feststeht jedenfalls traurigerweise, daß heute durch den Straßenverkehr mehr Unheil angerichtet wird als in manchen Kriegen mitsamt den bis zur Perfektion entwickelten Mordinstrumenten moderner Kriegstechnik. Dabei sollte man nicht übersehen, daß in Kriegszeiten doch ein gewisser Schutz des Einzelindividuums nicht nur angestrebt, sondern auch erreicht wird. Dies durch das Eingraben etwa des Infanteristen, durch seinen Stahlhelm, dadurch, daß er vor allen Dingen in stetiger Gefahrenbereitschaft ist und durch tüchtige militärische Sachverständige möglichst günstig geführt wird. Welcher Fußgänger hat dieselben Möglichkeiten, und vor allen Dingen welcher Fußgänger kann hinter einem rücksichtslosen Automobilisten, der ihn gefährdet hat, herschießen? Er wird vielfach, ebenso wie der anständige Automobilist, zur Zielscheibe gemeingefährlichen Vorgehens gewisser Elemente, die sich selbst am nächsten stehen und deren einziges Selbstbewußtsein die möglichst hohe PS-Leistung ihres Fahrzeuges ausmacht.

Die Polizei wieder hat vielfach nur Augen für all jene Verkehrssünder, die leicht zu erwischen sind, und dies nicht, weil sie fahren, sondern etwa irgendwo nicht ganz vorschriftsmäßig parken. Wir wollen dieses Vorgehen absolut nicht verallgemeinern, aber wie wenig Verkehrsdelikte wegen Rücksichtslosigkeit werden bestraft und wie viele Strafen im Verhältnis dazu wegen geringfügiger Verwaltungsübertretungen ausgesprochen! Sie sind absolut nicht dazu angetan, die Sicherheit zu fördern. Wir wollen auch hier durchaus dem Motto „Friede auf den Straßen“ treu bleiben und nicht gerade zur Weihnachtszeit die Polizei angreifen. Es sei hier nur sachlich festgestellt, und vielleicht kann man auch eine Entschuldigung dafür finden, denn die Polizei ist ebenso wie zahlreiche andere Berufszweige überlastet und tut daher das Naheliegende eher als etwas, das mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist; im übrigen eine durchaus menschliche Eigenschaft.

Es sei uns gestattet, nun noch einmal an alle anständigen und vielleicht doch noch belehrbaren Kraftfahrer die Bitte zu richten, gerade in der kommenden Weihnachtszeit den Frieden auf Erden zu fördern, und dies ganz besonders in Richtung „Friede auf den Straßen“, und trotz aller Weihnachtseinkäufe und des damit verbundenen Trubels durch gutes Beispiel einzuwirken. Gerade sie sollten auch daran denken, daß ein durch eigenes Verschulden hervorgerufener Verkehrsunfall auch bei relativ geringen Folgen sicherlich nicht dazu angetan erscheint, das schönste Fest im Jahr, das doch immer wieder ein besonderes Erlebnis ist, zu verschönen.

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