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Demnächst Sprachenfakultät

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Angesichts einer vielsprachigen Welt, deren Teile einander immer näher rücken, sieht jedermann ein, wie wichtig es ist, sich mit Sprachen zu beschäftigen. In erhöhtem Maß gilt all das für den Absolventen akademischer Ausbildungsstätten. Darum ist es richtig, wenn die Forderung erhoben wird — und weiterhin auch erfüllt ist — daß auf den Universitäten den Studierenden jeder Fachrichtung die Möglichkeit geboten sein soll, durch Teilnahme an Fremdsprachlehrgängen ihre Bildung zu verbessern.

Darüber hinaus aber kennt die Universität natürlich nach wie vor die sprachliche Ausbildung für jene Richtungen, wo „Sprache als Beruf“ gewählt wurde: im Studium der Sprachwissenschaft bzw. der Philologie, im Lehramt aus einer Fremdsprache. Gleichsam als Neuankömmling gesellt sich hier das Übersetzerund Dolmetscherstudium hinzu. Ein Neuankömmling auf akademischem Boden ist das Studium, das auf jahrtausendealte Berufe vorbereiten will. Erst seit der Zwischenkriegszeit gibt es universitäre Einrichtungen, die sich der systematischen Schulung für diese Sprachmittlerberufe widmen. Unter seinesgleichen zählt das Institut für Dolmetschausbildung an der Universität Wien nun schon zu den älteren: 1943 gegründet, kann es schon auf mehr als ein Vierteljahrhundert des Bestehens zurückblicken.

Dolmetsch oder Übersetzer?

Was diese Studienrichtung kennzeichnet und was zugleich ihre Eigenständigkeit rechtfertigt, läßt sich etwa so zusammenfassen: Bei der Heranbildung von Übersetzern und Dolmetschern geht es um weit mehr als um bloßen Fremdsprachenerwerb oder sprachliche Vervollkommnung. Wesentlich ist hier vielmehr die ständige Gegenüberstellung zweier Sprachen, deren unausgesetzte doppelte Präsenz, die stete Bereitschaft zum Abwägen von Bedeutungs- und Ausdruckswerten, zum Hinüber- und Herüberscholten.

Dies will geübt sein und erfordert unermüdliches Training. Darüber hinaus muß gründliches Wissen um kultur- und landeskundliche Realien der betreffenden Sprachgebiete vermittelt werden; im Zusammenhang damit gilt es, eine Form der Allgemeinbildung zu entwickeln, die der aktuellen Wirklichkeit zugewandt und zu stetiger dynamischer Regeneration imstande ist. Und das Entscheidende: Der gesamte Ausbildungsprozeß hat sich darauf auszurichten, daß im Studierenden die Fähigkeit zum Verstehen fremder Bewußtseinsinhalte zu immer größerer Entfaltung gelangt. Im übrigen sind die zwei sprachmittlerischen Berufe Übersetzer und Dolmetscher unterschiedlich genug hinsichtlich der Begabungsrichtungen, die ihnen entsprechen. Der Dolmetscher hat Gehörtes mündlich zu übertragen: er braucht hellwaches Bewußtsein, Geistesgegenwart, Fähigkeit zum schnellen Reagieren. Dem Ubersetzer ist für seine schriftliche Übertragung des Gelesenen meist mehr Zeit gegönnt: ihn sollen das Empfinden für stilistische Nuancen und die Neigung zum unverdrossenen Suchen nach der optimalen Wiedergabe auszeichnen. Diese Differenziertheit kommt gerade dort am meisten zur Geltung, wo Spitzenleistungen erwartet werden. (Übrigens berücksichtigt die künftige Studienordnung diese Tatsache: sie sieht im zweiten Studienabschnitt eine Gabelung in einen Studienzweig für Übersetzer und einen für Dolmetscher vor.)

Praxisnaher Entwurf

Angesichts so hochgesteckter Ausbildungsziele ist es auch unerläßlich, daß das Berufsstudium der Ubersetzer und der Dolmetscher enge Verbindung mit den zuständigen linguistischen Fachdisziplinen hält. Dies ließe sich in organisatorischer Hinsicht auf verschiedene Weise verwirklachen. So wäre beispielsweise ein Modell denkbar, demzufolge eine eigene Fakultät oder Fachabteilung für das gesamte Sprachenstudium

bestünde sie wäre in ihrer Vertikalstruktur nach einzelnen Sprachen gegliedert, in ihrer Horizontalstruktur hingegen nach beruflichen Ausbildungszielen — also etwa Sprachwissenschafter, Fremdsprachenlehrer, Ubersetzer, Dolmetscher. In unserer konkreten Situation — wie übrigens auch vielfach im Ausland — finden wir ein anderes Modell: Während die Ausbildung zum Sprachwissenschafter, zum Literaturwissenschafter und zum Sprachenlehrer bei den einzelnen philologischen Universitätelehrkanzeiln liegt (die ihrerseits wieder nach Sprachen und Sprachfamilien voneinander abgegrenzt sind), ist die Ubersetzer- und Dolmetscherausbildung für alle in Betracht kommenden Sprachen bei einem eigenen Institut konzentriert. In diesem ist für jede Sprache eine eigene Sektion eingerichtet. (So verfügt das Wiener Institut derzeit über zwölf Sprachsektionen.) Hier ist es nun im Sinne der geforderten wissenschaftlichen Vertiefung vorteilhaft, daß sich jede dieser Sektionen des Übersetzer- und Dolmetscherinstituts in theoretischer Hinsicht an einer jeweils fachlich verwandten Lehrkanzel der Universität ausrichten kann (so zum Beispiel die Englisch-Sektion an der Anglistik, die Französisch-Sektion an der Romanistik usw.). Darum sollte grundsätzlich an die Einführung einer weiteren Sprache im Institut für Ubersetzer- und Dolmetscherausbildung erst dann gedacht werden, wenn die fachlich zuständige philologische Disziplin. an der betreffenden Universität schon vertreten ist.

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Im Zeichen weitestgehender Verbindung von wissenschaftlicher Erkenntnis und praktischer Erfahrung steht auch der Entwurf einer neuen Studienordnung für Übersetzer und Dolmetscher, die im Zusammenwirken aller Beteiligten zustandegekommen ist. Es ist zu hoffen, daß dieses Reformwerk bald Gesetzeskraft erlangt.

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