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Neuformungen des juristischen Studiums

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Durch die Einbringung eines Hochschulstudiengesetzes im Nationalrat ist die Frage einer Reform des juristischen Studiums wieder; zu einer besonderen Aktualität gelangt. Es ist nur selbstverständlich, daß vor allem die Professoren der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäten, zu dieser Frage ..das Wort ergriffen ; sie sind'in'erster Linie berufen, aus ihren unmittelbaren. Beobachtungen in den Seminaren und bei den Prüfungen festzustellen, woran es- fehlt. Für die Frage allerdings, inwieweit sich das juristische; Studium auch in der Praxis von Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wirtschaft bewährt, fehlt es ihnen teilweise an unmittelbarer Erfahrung; es erscheint vielleicht nicht als unberechtigt, daß auch ein Mann in diese Diskussion eingreift, der neben seiner wissenschaftlichen und akademischen Tätigkeit über eine mehr als 42jährige unmittelbare Erfahrung auf dem Gebiet der staatlichen Verwaltung verfügt und der zufolge der Eigenart seines Berufes auch Gelegenheit hatte, mit den .praktischen Fragen des Wirtschaftslebens mehr in Berührung zu kommen, als dies im allgemeinen für den Verwaltungsbeamten gilt.

Eine nüchterne und vorurteilslose Überprüfung des gegenwärtigen Zu stände führt nun leider zu dem Ergebnis, daß er weder vom Standpunkt der Praxis noch vom Standpunkt der Wissenschaft befriedigt. Der bei den Prüfungen zutage tretende Wissenskomplex stellt sich nur allzuoft nicht als eine frucht-baie Synthese praktischen und theoretischen Wissens dar, sondern'als ein auf das Durchschnittsmaß der Prüfungsanforderungen abgestelltes Existenzminimum, das abseits von allen Forderungen der Praxis und der Wissenschaft in sogenannten „Rechtskursen“ erworben wird.

Um diesen jeder wissenschaftlichen Bildung unwürdigen Zustand zu beseitigen, halte ich es vor allem für ein dringendes Gebot, das sich nicht nur auf die Rechts- und Staatswissenschaften, sondern auch auf die philosophische Fakultät erstreckt, grundsätzlich wischen der wissenschaftlichen Heranbildung für die praktische Berufsausübung und zwischen der Heranbildung für die Forschertätigkeit zu unterscheiden. Damit würde auch jenem schon seit langem allgemein beklagten Zustand ein Ende bereitet, daß der Doktortitel schon lange aufgehört hat, seinen Träger die Gelehrsamkeit zuzuerkennen, was zweifellos nicht nur im Worte, sondern auch im Begriffe dieses Titels ge-

Vgl. insbesondere die beachtenswerten Ausführungen In der „Wiener Universitäts-r.eitung der Professoren Steinwenter, Wolff, Klang, KöstUr und S c h i m a. fordert erscheint. Hiebei ist nicht daran gedacht, den Studiengang der beiden Lehrziele durchaus zu trennen, sondern vielmehr daran, daß die Heranbildung zum Doktor in einem Überbau auf dem für die praktische Berufsausbildung vor-g e s e Ken en Studiengang und in einer Vertiefung auf einem Spezialgebiet des rechts- und s.faats wissen s'chaftlichenSt u-diums bestehen soll. ' _ Eine zweite Forderung, die für die Erreichung des angestrebten Zustandes unerläßlich ist, besteht darin, das Lehrziel des Juristen weit weniger darin zu erblicken, daß er den Wortlaut der Gesetze beherrscht, als daß er lernt, juristisch und wirtschaftlich zu denken. Prüfungsfragen nach dem Datum eines Gesetzes oder nach der Nummer des Gesetzblattes sind daher meines Erachtens vollkommen unangebracht, und mir erschiene es weit besser, dem Kandidaten für die Entscheidung des ihm vorgelegten Falles ruhig die Benützung der entsprechenden Gesetzbücher zu gestatten, da man schon aus der Art und Weise, wie er sich in diesen Gesetzbüchern Rat holt, sehen wird, ob er mit dem Stoff vertraut ist oder nicht.

Ein dritter, weniger entscheidender Vorschlag bezieht sich darauf, daß ich es für ratsam halte, das rechtshistorische Studium nicht an den Anfang, sondern an das Ende des Studienganges zu stellen und die ersten zwei

Semester lediglich der Einführung in die Lehren vom Recht, vom Staat und von der Wirtschaft vorzubehalten, die naturgemäß als Vorbereitung für das Studium des positiven Rechts und als pädagogischer Ersatz für die Institutionen des römischen Rechts entsprechend ausgebaut werden müßte. Zu diesen Einführungsgegenständen ließen sich zweckmäßigerweise auch die Grundlehren der statistischen Methode sowie die der Betriebswirtschaftslehre (Buchhaltung und Bilanz) anfügen, wodurch die Gewähr geboten wäre, daß nicht nur die Frequentanten des staatswissenschaftlichen Studiums, sondern auch die Juristen über die Grundbegriffe der Statistik und der Betriebswirtschaftslehre unterrichtet werden.

Aus diesen allgemeinen Grundsätzen ergibt sich nun im einzelnen folgende Einte;!-“\g des Studienganges:

1. Studienabschnitt (1. und 2.' Semester): Einführungsvorlesungen aus .Recht, .Staat', .Wirtschaft“, .Statistik“, .Buchhaltung und Bilanzen“.

Die Erwerbung dieses Wissens muß durch Einzelkolloquien aus jedem dieser Gegenstände nachgewiesen werden, deren positive Ablegung eine unerläßliche Voraussetzung für die Zulassung zur ersten Staatsprüfung bildet. Um den Ernst dieser Prüfungen noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen, mag man an Stelle der harmloseren Bezeichnung „Kolloquium“ die Bezeichnung .Einzelvorprüfung“ einführen.

2. Judizieller Studienabschnitt (3. und 4. Semester): mit den Gegenständen „Bürgerliches Recht“, „Zivilprozeß“, .Strafrecht“, „Strafprozeß“, .Handels- und Wechselrecht“.

Nach dem 4. Semester kann die judizielle Staatsprüfung abgelegt werden.

3. Staatswissenschaftlicher Studienabschnitt (5. und 6. Semester): .Staatsrecht“, „Verwaltungsrecht“, Völkerrecht“, , .Volkswirtschaftslehre“, .Volkswirtschaftspolitik“, .Finanzwissenschaft“.

Nach dem 6. Semester kann die staatswissenschaftliche Staatsprüfung abgelegt werden. Allenfalls kann auch gestattet werden, den dritten Studiumabschnitt vor dem zweiten zu absolvieren.

4. (rechtshistorischer und rechtsvergleichender) Studienabschnitt (7. und 8. Semester): „Römisches Recht“, .Deutsche Rechtsgeschichte“, .Kirchenredit“, „Rechtsphilosophie“ und .Internationale Rechtsvergleiche“.

Nach Absolvierung dieses Studien-absdinittes dritte (rechtshistorische Uhd rechtsvergleichende) Staatsprüfung. \

Aus gelegentlichem Zuhören bei der rechtshistorischen Staatsprüfung habe ich den Eindruck gewonnen, daß der Umkreis der historischen Fragen nahezu unbegrenzt ist, was ich für durchaus unberechtigt halte. Selbst auf der philosophischen Fakultät beschränkt sich das Studium der Geschichte im Einzelfall nicht auf das Gesamtgebiet der Geschichte. Um so notwendiger ist es, den Umkreis des historischen Studiums im juristischen Studienplan streng auf die Rechtsgeschichte und deren Beziehung zum geltenden Recht einzuengen.

Ebenso bin ich der Ansicht, daß an sich' durchaus bedauerliche Bildungslücken aus der Geschichte, die bei der slaats-wissenschaftlichen Staatsprüfung zutage treten, wie etwa die Unkenntnis, wer im Jahre 1866 auf Seite Österreichs go kämpft hat, für die Beurteilung des Kan öidaten ebensowenig entscheidend sind, als ich etwa bei der Beurteilung einer Klausurarbeit orthographische oder stili: stische Fehler ins Kalkül ziehen kann; Diese Bildungselemente gehören alle in das Lehrziel der Mittelschule.

Nach erfolgreichem Abschluß der drei Staatsprüfungen erhält jeder das Diplom eines „D i p 1 o m j u r i s t e n“, welches für den höheren Verwaltungsdienst sowie für den Dienst bei den Gerichten, als auch für die Ausübung des Anwaltsberufs noi-malerweise vollständig ausreichen soll.

Die Erlangung des Doktortitels bleibt lediglich einem theoretisch vertieften Studium aus einem der drei Hauptzweige des juristischen Studiums: 1. Straf- und Zivilrecht, 2. Staats- und Verwaltungsrecht, 3. Nationalökonomie und Finanzwissenschaft, vorbehalten, wobei es weniger entscheidend ist, ob man für alle drei Richtungen einen gemeinsamen oder besondere Doktortitel, allenfalls Dr. juris, Dr. rerum politicarum, Dr. oec, einführen will.

Für die Erlangung des Doktortitels wäre ein fünfter Studienabschnitt, 9. und 10. Semester, erforderlich, der in dem gewählten Haupt-gegenstand den Besuch von Instituten und Seminaren vorsieht. Als Abschluß erfolgt ein Rigorosum, allenfalls mit einem Nebengegenstand aus einem anderen Fach des rechts- und staatswissenschaftlichen Studiums oder auch aus einem der philosophischen Fakultät (Wirtschaftsgeschichte, Philosophie oder dergleichen). Voraussetzung für das Doktorat ist weiterhin die Vorlage einer Dissertation aus dem gewählten Hauptgegenstand, die in Maschinenschrift geschrieben sein soll, für deren Kosten jedoch nicht der Kandidat, sondern ein eigens zu diesem Zweck bereitzustellender Fonds der Universität aufzukommen hat. — Wer auf diese Weise den Doktortitel erworben hat, wird mit vollem Recht die Gelehrsamkeit auf einem Fachgebiet für sich in Anspruch nehmen können und wird im praktischen Leben, etwa als Advokat, damit rechnen können, als besonders unterrichteter Jurist auch besonders begehrt zu sein. ,

Hei der vorgeschlagenen Einteilung dsi Sl '.idienganges wäre meines Erachtens die Einrichtung eines besonderen staatswissenschaftlichen Studiums und Doktorats innerhalb der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultäten, die sich bisher für Österreich schon vermöge der geringen Verwendbarkeit in den praktischen Berufen wenig bewährt hat, vollkommen entbehrlich.

Die vorstehenden Vorschläge sind rein persönlicher Natur und entspringen keinem anderen Bestreben, als dem kulturellen Wiederaufstieg Österreichs auf einem Gebiete zu dienen, das hiefür weit ent- 1 scheidender ist, als man häufig annimmt.

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