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„Wir laufen nicht davon“

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Helmut Zilk befand sich in einer Kampfsituation. Am 10. Oktober sendete das Zweite Programm um 20.15 Uhr „Das Schweigen“, wovon er meint, daß „dieser Streifen ein Markstein der Filmgeschichte ist, der mit dem Abstand von sieben Jahren viel von seinem Schrecken verloren hat, ja heute geradezu eine Bilderbuchgeschichte ist, die man dem erwachsenen, mündigen Fernsehteilnehmer nicht vorenthalten darf“. Bestürzt zeigte er sich über die große Zahl von Briefen und Interventionen von zum Teil hochgestellten Persönlichkeiten, die diesen Film „als Provokation des guten Geschmackes“ empfanden.

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Helmut Zilk befand sich in einer Kampfsituation. Am 10. Oktober sendete das Zweite Programm um 20.15 Uhr „Das Schweigen“, wovon er meint, daß „dieser Streifen ein Markstein der Filmgeschichte ist, der mit dem Abstand von sieben Jahren viel von seinem Schrecken verloren hat, ja heute geradezu eine Bilderbuchgeschichte ist, die man dem erwachsenen, mündigen Fernsehteilnehmer nicht vorenthalten darf“. Bestürzt zeigte er sich über die große Zahl von Briefen und Interventionen von zum Teil hochgestellten Persönlichkeiten, die diesen Film „als Provokation des guten Geschmackes“ empfanden.

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FURCHE: In den letzten Jahren ist eine starke Änderung des Sexualbewußtseins festzustellen. Auch das Fernsehen zeigt nun Filme, die vor einiger Zeit noch undenkbar gewesen wären.

ZILK: Es gibt zwei Gesichtspunkte: der Spielfilm, der eine geistige Aussage enthält, Kunst, Menschlichkeit meint und das Ästhetische, das Ethische anspricht. Der Zweite ist der Unterhaltungsfilm. Für die erste Kategorie gilt der Grundsatz, der Entwicklung der Gesellschaft gemäß sehr weitherzig zu sein. Die gesamte Geschichte der Menschheit zeigt uns in der Widerspiegelung v.on der mythologischen Darstellung bis zur gegenwärtigen Literatur, daß eben das Zwischenmenschliche, das Zwischengeschlechtliche, das Dreieck und die gleichgeschlechtliche Liebe zu den bewegenden Kräften des Menschen gehören. Wir können diese Dinge daher aus der Kunst nicht ausklammern. Zum Zweiten: Unterhaltung ist ein existentielles Grundbedürfnis des Menschen, wir haben sie zu pflegen. Wo Nacktheit aber gewissermaßen nur Vorwand für vordergründige Unterhaltung ist, sind strengere Maßstäbe anzulegen. FURCHE: Das Fernsehen steht im rechtsfreien Raum. Jugendschutzbestimmungen setzen im Kino und Theater Altersgrenzen, während derartige Beschränkungen für das Fernsehen nicht gelten. Die Pflicht zur Zensur wird auf die Eltern abgewälzt. ZILK: Das Fernsehen — wir haben diesen Standpunkt immer wieder vertreten — hat eine Zeitgrenze einzuhalten. Wir bemühen uns, bis 20 Uhr ein Programm zu liefern, das nach bestem Wissen und Gewissen für alle Kinder im Volksschulalter geeignet ist, sie also in ihrer psychischen oder moralischen Entwicklung nicht schädigen kann. Nach 20 Uhr geht die Verantwortung der Auswahl auf die Eltern über, das ist keine Frage des Abwälzens, denn die Eltern müssen ja tausend andere Entscheidungen treffen. Die Freigabe von Spielfilmen ist Ländersache, wir würden mißverstanden, würden wir den Leuten sagen, daß ein bestimmter Film in drei Bundesländern ab 14, in anderen zwei Ländern ab 16 und in den restlichen ab 18 Jahren frei ist.

FURCHE: Viele Spielfilme, die heute für das Kino gedreht werden, sind in bedenklicher Nähe der Pornographie angesiedelt. Wie wird sich das Fernsehen in Zukunft bei der Auswahl von derartigen Filmen verhalten? ZILK: Das Fernsehen hinkt natürlich immer etwas hinter dem Kino her, weil der Lizenzerwerb ja bekanntlich mit einer gewissen Verzögerung verbunden ist. Wir bemühen uns aber, uns der gesellschaftlichen Entwicklung anzupassen. Wir fühlen uns nicht berufen, sie über die Maßen hinaus zu fördern, müssen aber zur Kenntnis nehmen, daß wir in einer Zeit leben, in der starke Wandlungen der Moral stattfinden und wir nicht davonlaufen, sondern uns bewußt damit auseinandersetzen sollten.

Mit Dr. Zilk sprach Franz F. Wolf

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