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Die Traditionen sind nicht tot. Im Gegenteil, als Rechtfertigung der Gegenwart im Gewesenen, als Punkt aus der Vergangenheit auf den sich eine Behauptung bezieht, ist die Tradition derzeit eine der lebendigsten rhetorischen Floskeln. Irgendwo im Schattenreich des Unbeweisbaren gibt es ihn, den vielgebrauchten Ausgangspunkt, das quasi Apriori der Talk-Philosophie und vor allem des politischen Tiefsinns. Da mag ein Interviewer noch so forsch fragen, der Befragte legt die Stirn in Falten und sagt dann: "Ich gehe davon aus, daß ..." Damit ist die Nachfrage abgekürzt und die Basis der Diskussion in der vom Redner gewünschten Weise gelegt. Der Start mit Streckenvorgabe ist gelungen. Jörg Haider geht gerne davon aus. Irgendwie paßt das zum sportlichen Outfit. Die politischen Konkurrenten gehen auch davon aus. Das klingt nach Grundsatztreue und Wahrheit, das verheißt eben Tradition. Die Phrase hat sich bis in die Medien und Populärwissenschaften eingebürgert. Die Exekutive geht davon aus, daß das Atlantiktief nach Westen zieht - und als ich kürzlich einen Freund nach der Uhrzeit fragte antwortete er: "Ich gehe davon aus, daß es jetzt 12 Uhr ist!"

Psychologisch sind dieses vielen Ausgangspunkte wahrscheinlich eine Reaktion auf das Lebensgefühl der Unsicherheit. Von irgendwas muß man eben ausgehen um den Boden unter den Füßen nicht zu verlieren. Die bloße Meinung (einst Kreiskys Signalton) ist nicht mehr gefragt. Wer mit einer subjektiven Annahme beginnt bekundet nur Ungefähres. Jeder ist Experte, jeder geht davon aus. Verpönt ist die Ahnung oder Vermutung.

Dabei ist das mit dem Ausgehen eine sprachliche Falle. Das Licht, das Geld, der Mut geht aus, will sagen geht zu Ende, hat den Vorrat erschöpft. Andererseits kann es sich gerade noch ausgehen. oder ein verheißungsvoller Beginn kündigt sich an, ich gehe aus zu einem freundschaftlichen Treffen, zu einem vorteilhaften Geschäft. Freilich ohne das diffuse "davon". Es sei denn ich ginge davon aus auszugehen, oder es ist davon auszugehen, daß demnächst das Licht, der Mut etc. ausgeht.

Solcher Schwulst geht aus wie das Hornberger Schießen. Und wer weiß, wie das alles noch ausgeht was davon ausgeht.

Echte Tradition indessen war so schön und klar, daß heute keiner davon ausgeht. "Geh aus mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit ..." dichtete so klangvoll einst Paul Gerhardt. Das Wort und das Gebot waren es, die von Gott ausgingen. Der Sohn ging vom Vater aus. Und im erweiterten Glaubensbekenntnis: "Ich glaube an den Heiligen Geist, der vom Vater und vom Sohne ausgeht ..."

Das Richtungsweisende, das Visionäre und im Glauben Beurkundete liegt im Ursprung des Wortes. Vielleicht ist es gerade der bewußte oder unbewußte Rückgriff auf die große Poesie und Prophetie die das Versatzstück der neuen Rhetorik so faszinierend macht. "Ich gehe davon aus" soll der Aussage den angemaßten Ewigkeitshauch geben und liegt auf der allgemeinen Profanierungslinie und Plünderung der alten Werte.

Ich plädiere für eine sprachliche Ausgangssperre für Politiker und Alltags-Rhetorten. Ich plädiere dafür, diese Maske der Traditions-Phrase einer Gesellschaft herunterzureißen!

Jeder Mensch hat das Recht auf Standpunkte und Meinungen, auf Schlußfolgerungen und Hoffnungen. Aber sie mit dem Nimbus einer Wissens-Konklusion zu verschleiern ist ein Taschenspielertrick. Und wenn dieser noch so oft geübt wird und noch so gut ankommt, wenigstens von einer gewissen Vorsicht sollte einer ausgehen wenn ihm wieder einmal einer von etwas ausgeht.

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