Entwicklungsräume schaffen

19451960198020002020

Zum Dossier. Erwachsenenbildung zeichnet sich heute durch große Vielfalt aus. Schlagworte wie "lebenslanges Lernen" deuten dabei an, daß dieser Bildungsbereich immer wichtiger wird. Das Dossier versucht, die Antwort traditioneller Institutionen (Seite 14 - 17) auf die Herausforderungen zu beleuchten. Dabei geht es auch um den politischen Auftrag - nicht zuletzt für kirchliche Institutionen (siehe unten).

19451960198020002020

Zum Dossier. Erwachsenenbildung zeichnet sich heute durch große Vielfalt aus. Schlagworte wie "lebenslanges Lernen" deuten dabei an, daß dieser Bildungsbereich immer wichtiger wird. Das Dossier versucht, die Antwort traditioneller Institutionen (Seite 14 - 17) auf die Herausforderungen zu beleuchten. Dabei geht es auch um den politischen Auftrag - nicht zuletzt für kirchliche Institutionen (siehe unten).

Werbung
Werbung
Werbung

Politik braucht Bildung "Train the brain" - unter diesem Motto präsentierten sich Ende September Initiativen der Erwachsenenbildung vor dem Wiener Burgtheater. Der Schwerpunkt lag auf beruflicher Qualifizierung. Gesellschaftlich-politische Themen blieben weithin ausgeblendet: Im Wahlkampf durfte es keine Bildung geben, die politisch ist.

Politik braucht aber eine Bildung, die politisch ist. Sie braucht eine Bildung, die Persönlichkeiten festigt, die Stellung nehmen, die Standpunkte vertreten. Politische Bildung will inmitten der Unübersichtlichkeit Orientierung bieten, will aufklären, was sich hinter Worthülsen verbirgt, aufzeigen, wie Partikularinteressen mit dem Anspruch des Gemeinwohls auftreten, wo Menschenwürde und Menschenrechte verletzt werden. Gerade in Institutionen - zum Beispiel kirchlichen -, die einer Wertorientierung und einem klaren Menschenbild verpflichtet sind, kann diese Art politischer Erwachsenenbildung Raum finden.

Politik und Persönlichkeit Persönlichkeitsentwicklung - ein zentrales Anliegen der Erwachsenenbildung -, ist auch eine wesentliche Dimension politischer Bildung. Das spannungsvolle und konfliktfähige Feld der Politik erfordert Menschen mit Standfestigkeit und eigenem Urteil, der Fähigkeit, den eigenen Standpunkt für eine Sache einzutreten.

Politisches Engagement verlangt zudem Phantasie und Ideen, die Fähigkeit, Perspektiven und Visionen zu entwickeln, sowie den konkreten Realitätssinn für durchsetzbare Maßnahmen; mit anderen Worten, die Entwicklung einer profilierten vielseitigen Persönlichkeit. Menschen mit "Wissen, Gewissen und Gespür" bilden: Mit diesen Schlagworten formuliert ähnliches die hierzulande noch wenig bekannte "Ignatianische Pädagogik", die vom weltweit in über 2.000 Bildungseinrichtungen tätigen Jesuitenorden entwickelt wurde; auch daraus folgt das Politische unmittelbar.

Politik und Verantwortung Die Gestaltung des öffentlichen Lebens verlangt die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Lösungsansätzen und nach reflektierten Kriterien zu unterscheiden, und diese in der politischen Auseinandersetzung offenzulegen. Insofern ist politische Ethik dem Dialog verpflichtet. Dieser Anspruch zielt auf die Bereitschaft, selbst Verantwortung zu übernehmen ab. Dabei geht es immer auch um die Schaffung von Strukturen und Verhältnissen, die ein Leben nach den eigenen Vorstellungen (zusammen mit anderen) ermöglicht.

Daher gehört zur politischen Bildung, neben der Persönlichkeitsentwicklung auch strukturelle Zusammenhänge im Blick zu haben. Die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen wird nicht zuletzt gegenüber Menschen geweckt, deren Nöte, Probleme und Erwartungen spürbar werden. Politische Bildung erfordert auch, Nein sagen zu können, also Widerstand zu leisten. Politische Bildung für ein verantwortungsbewußtes Handeln soll dazu anleiten, eigene Erfahrungen zu reflektieren, um so zu einem selbstbewußten Handeln zu gelangen.

Politik braucht Kunst Kunst - und deren Verbindung mit einem politischen Horizont - gehört ebenfalls zu den Anliegen eines Bildungskonzeptes, das den ganzen Menschen im Blick behalten will.

Ein Beispiel: Das "Theater der Unterdrückten" - in der Tradition des Brasilianers Augusto Boal - stellt in all seinen vielfältigen Formen ein kreatives Setting zu Verfügung. Wege für gewaltfreies Agieren werden dabei erschlossen und lösungsorientierte Möglichkeiten für ein anderes Handeln in repressiven Situationen aufgezeigt. In diesem Theater der Unterdrückten wird Bildung kreativ - und gleichzeitig politisch: Dies geschieht, indem Zuschauende zu Mitspielenden werden, sich einmischen, Zivilcourage zeigen und aus schweigenden Rollen aussteigen. Das szenische Instrumentarium kann dabei zur Bedürfniserhebung dienen und ebenso als Medium von Sprachvermittlung verschiedenster gesellschaftlicher Gruppierungen und deren Anliegen.

Politik und Gestaltung Politik als Einflußnahme auf das gesellschaftliche Leben erfordert Durchsetzungsfähigkeit. Diese hängt wesentlich an der Fähigkeit, mit anderen zu kooperieren, Bereitschaft zum Engagement zu wecken, zu überzeugen, sich gemeinsam zu organisieren. Die "Lerngemeinschaften" von Kursen und Veranstaltungen werden in diesem Sinne zu einem Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Sie fordern und fördern Kompetenzen, die im sozialen und politischen Leben unabdingbar sind.

Dem Umgang mit Verschiedenheit kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu: mit verschiedenen Sichtweisen, Stärken und Schwächen, unterschiedlichen Geschichten. In der Vielfältigkeit des sozialen Umfeldes, in dem gelebt und gearbeitet wird, die eigene Identität nicht zu verlieren und gleichzeitig die Grenzen anderer Menschen zu achten, heißt auch: sich abzugrenzen ohne auszugrenzen.

Entwicklungs- und Spielräume Letztlich geht es bei politischer Bildungsarbeit immer darum, Entwicklungsräume zu schaffen, um Persönlichkeit und Strukturen zu verändern. Daher geht es auch darum, in kooperativer Weise mit all jenen zusammenzuarbeiten, denen menschenwürdige Entwicklungen wichtig sind. Entwicklungsorientierte Bildungsarbeit heißt daher vor allem mit und durch die Betroffenen Möglichkeiten und Spielräume aufzuspüren, in denen Menschen selbstbestimmt und aufrecht ihr Leben gestalten können.

Barbara Pfaffenwimmer ist Programmdirektorin im Kardinal-König-Haus in Wien-Lainz.

Alois Riedlsperger SJ ist Provinzial der Jesuiten und Direktor der Kath. Sozialakademie Österreichs.

Hinweis: Am 19. November wird um 19.00 Uhr der Neubau des Kardinal-König-Hauses, 1130 Wien, Lainzer Str. 138, Tel.: 01/8047593, eröffnet. Am 24. November findet hier die Tagung der Katholischen Sozialakademie "Entwicklungsräume zukunftsfähiger Politik. Politische Bildung im open space" statt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung