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Vor der großen Flut

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Uber die XVIII. Internationale Filmwoche in Mannheim 1969 ein filmischkritisches Referat schreiben zu wollen, muß sowohl sinnlos als auch für die Zukunft des Festivals abträglich erscheinen; sinnlos deswegen, weil die für den offiziellen Wettbewerb ausgewählten Filme qualitativ völlig indiskutabel und nur aus ganz bestimmten innerpolitischen Richtlinien selektiert waren, und für eine künftige Filmfestwochengestaltung abträglich, weil eben diese Manipulation Mannheims Festival in eine so ernste Krise gebracht hat, daß man sich eher näher damit befassen müßte als einige Filmtitel aufzuzählen, die ja doch — glücklicherweise! — nicht die geringste Chance besitzen, jemals das Projektorlicht öffentlicher Filmvorführräume zu verdunkeln

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Uber die XVIII. Internationale Filmwoche in Mannheim 1969 ein filmischkritisches Referat schreiben zu wollen, muß sowohl sinnlos als auch für die Zukunft des Festivals abträglich erscheinen; sinnlos deswegen, weil die für den offiziellen Wettbewerb ausgewählten Filme qualitativ völlig indiskutabel und nur aus ganz bestimmten innerpolitischen Richtlinien selektiert waren, und für eine künftige Filmfestwochengestaltung abträglich, weil eben diese Manipulation Mannheims Festival in eine so ernste Krise gebracht hat, daß man sich eher näher damit befassen müßte als einige Filmtitel aufzuzählen, die ja doch — glücklicherweise! — nicht die geringste Chance besitzen, jemals das Projektorlicht öffentlicher Filmvorführräume zu verdunkeln

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Das war die Grundsituation: Aus etwa 300 zum Festival angemeldeten Filmbeiträgen wählte eine dreiköpfige Auswahljury, sichtlich darauf vorbereitet, allfälligen festivalüblichen Protestaktionen von vornherein den Wind aus den Segeln zu nehmen, 57 Streifen für den offiziellen Wettbewerb und 55 für daneben — ja sogar zumeist parallel laufende Informativveranstaltungen. Dieses sechstätige Monsterprogramm wurde dann noch zusätzlich um 20 Filme für eine vormittägliche Retrospektive „Der junge Film Schwarzafrikas“ erweitert — eine Marathonveranstaltung, zu der in diesem Jahr 210 deutsche und ausländische Journalisten sowie 736 Regisseure und Cineasten angemeldet waren. Damit hatte Mannheim einen Rahmen geschaffen, der für das gewohnte Bild zu groß war, und Formen angenommen, deren Ausmaß die Veranstaltung zu erdrücken drohte.

Wenn auch sehr schnell von alten Festivaliers und den zumeist ausländischen Filmkritikern bemerkt wurde, daß die eigentliche Filmwoche sich nicht in den Wettbewerbsveranstaltungen der „Scala“ abspielte, sondern in einigen Kinosälen rund um das offizielle Filmwochenkino herum, so war diese Lösung doch keine „salomonische“, sondern eine auf billigen Konzessionen an die jungen deutschen Festivalrevoluzzer aufgebaute, die letztlich sehr’ teuer zu stehen kam, deren Folgen sich in den letzten Tagen deutlich zeigten und für die künftige (Neu-)Gestaltung der Filmwoche als warnend-bedeutsames Omen dienen müßten: Nachgiebigkeit und Konzessionsbereitschaft einer lautstarken, alle Rechte der Demokratie für sich selbst in Anspruch nehmenden Minderheit gegenüber, die jedoch ihrerseits nur Intoleranz und Terror verbreitet, führt letztlich zum Chaos, zur Zerstörung — und damit haben die Festivalumstrukturierer ja das Ziel erreicht, das sie schon in ihren Filmen vertreten.

Ihnen, diesen so fälschlich bezeich- neten „Jungfilmem“, in Wirklichkeit nur politisch ausgerichteten wirren Superradikalen, geht es in ihren Filmen ja gar nicht mehr um den

Film, sondern nur um die Benützung dieses Mediums als Mittel zur Provokation, zur Störung und damit Zerstörung Man kommt ihnen also entgegen, indem man ihnen aus Furcht nachgibt, aus falscher Furcht, aus Angst, ansonsten als „Reaktionär“, als „antidemokratisch“, als „Faschist“ und als „gegen die Jugend“ hingestellt zu werden. Welch ein Unsinn — alle diese im Munde mancher Protestler so geläufigen Schlagworte betreffen nur diese selber! Quod erat demonstrandum — kaum irgendwo so deutlich wie in diesem Jahr in Mannheim, das aus seiner heuer bewiesenen falsch angebrachten demokratischen Toleranz hoffentlich für die nächsten Jahre etwas gelernt hat — sonst wird es diese so liebenswert- sympathische und instruktiv-interessante Filmwoche bald nicht mehr geben (wie ja auch ein todernst gemeinter Vorschlag der mitternächtlichen Diskutierer lautete: kein Film mehr, nur noch permanente Diskussion!)

Eine Rosine sei aus dem wenig genießbaren Kuchen herausgeklaubt, weil man dies der Filmgeschichte gegenüber schuldig ist und wenigstens nachträglich damit ein unverzeihlicher Fehler der Auswahlkommission gutgemacht werden muß: Der außerhalb des Wettbewerbs ur- auf geführte japanische Beitrag „O Cidade do Nome de Deus“ (Macao — die Stadt „im Namen Gottes“) des jungen Amerikaners Lateef Keele, ein in der poetischen Schönheit an Cocteau, in der dramaturgischen Erzählung an Welles erinnernder Erstlingsspielfilm eines genialen Filmkünstlers, der einmal in den Filmgeschichtsbüchem seinen Platz finden wird — einmal, wenn wieder eine Zeit der Besinnung auf das Kunstwerk Film das pseudorevolutionär mißbrauchte Zerstörungsmedium des gegenwärtigen Jungfilms abgelöst haben wird. Die Viennale 1970 sei hier nachdrücklichst auf dieses Meisterwerk, das größte positive Ergebnis von Mannheims so negativer Filmwoche, aufmerksam gemacht; doch wird man hier auch Konzessionen, nur vielleicht österreichische, machen?

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