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Qualität statt Engagement
„Neue Entwicklungen in Form und Inhalt“ hieß das Motto, wonach der Auswahlausschuß für die diesjährige XXI. Internationale Filmwoche in Mannheim aus 216 angebotenen Filmen die „geeignetsten“ heraussuchte, wobei vor allem gesellschaftspolitisch relevanten Filmen, Experimentellem, also allem, was heißes Eisen anpackte, Vorführchance geboten war.
„Neue Entwicklungen in Form und Inhalt“ hieß das Motto, wonach der Auswahlausschuß für die diesjährige XXI. Internationale Filmwoche in Mannheim aus 216 angebotenen Filmen die „geeignetsten“ heraussuchte, wobei vor allem gesellschaftspolitisch relevanten Filmen, Experimentellem, also allem, was heißes Eisen anpackte, Vorführchance geboten war.
Doch glücklicherweise wird nichts so heiß gegessen, wie es (aus)gekocht wird — und so kam eine Filmwoche zustande, die an Niveau und Qualität die der letzten Jahre beträchtlich überragte. Jede Betrachtungsweise ist mehr oder weniger subjektiv, selbstverständlich auch die eines Auswahlausschusses, genauso selbstverständlich auch die einer Jury — wenn die Große Jury der Filmwoche auch bei der Preisvergabe bedauernd „das unbefriedigende Gesamtniveau des diesjährigen Wettbewerbsangebots“ feststellte, so sollte man dies keineswegs als unbedingte Wertung betrachten. Es mag vielleicht viel eher als Entschuldigung dafür gelten, daß sie von den sogenannten programmatischen „gesellschaftspolitisch relevanten Filmen“ keinen ausgesprochen herhorheben konnte — denn deren Qualität oder Niveau vor allem war filmkünstlerisch kaum diskutabel.
Niemand vermag mir ernsthaft einzureden oder zu erklären, daß zum Beispiel der sogenannte „Ziel-gruppenfllm“ der Deutschen Film-und Fernsehakademie Berlin „Die Wollands“ — von bestimmten Gruppen (die miteinander bei der vormitternächtlichen Diskussion beharrlich per „du“ und „Genosse“ kommunizierten) beharrlichst hochgelobt und gepriesen — irgendwelche besonderen filmkünstlerischen Qualitäten besitzt; doch darauf kommt es bei gewissen Aktionen ja gar nicht an, Hauptsache, er besitzt die erforderliche „politische Relevanz“ ... Doch glücklicherweise fanden derartige Manifestationen in Mannheim nur noch in sehr beschränktem Kreis statt, die Revolution etablierte sich sozusagen nur noch im Saale bei der allabendlichen Stammtischrunde (wie deutsch!). Und wenn eine Mannheimer Zeitung rügend feststellte, daß „Geldpreise wieder an Reiz zu gewinnen scheinen — und das ausgerechnet für Filmemacher, die sich sonst ihrer Gesinnung nach äußerlich nur allzugern vom yschnöden Mammon' distanzieren“, so kann man dies optimistisch betrachten.
Film ist nun einmal Bildgestaltung (in Bewegung) und keine politische Vorlesung in schlechtem Hörspielstil; dies ist zu bewerten, nichts anderes.
Und so gab es durchaus zahlreiche Filme bei der Mannheimer Filmwoche 1972, die sich sehen lassen können und überdurchschnittliche Qualität beweisen: Das unerhört moderne, faszinierende und wirklich neue filmische Wege beschreitende Anarcho-Musical „Werft Eure Bücher weg und geht auf die Straße“ von Shuji Terayama gehört zu den faszinierendsten Erlebnissen der Veranstaltung gleichwie Jerome Hills ebenso originell gestaltete wie künstlerisch-erlesene Selbstbiographie „Film Portrait“, die beziehungsvoll mit einem vorüberfahrenden Zug in Le Ciotat endet. „My Childhood“ von Bill Douglas und Mike Leighs erschütternde Studie über psychische Zerstörungen und die Einsamkeit des Menschen „Bleak Moments“ knüpfen an die große englische Schule des „Free Cinema“ mit Meisterschaft an, und Rainer Schnurre bewies in seiner (heftig umstrittenen) delikaten Liebesgeschichte „Ich sehe dich, ich fühle dich“ soviel Gefühl und Zärtlichkeit (und menschliches Verstehen), daß seine deutschen Filmemacherkollegen nichts anderes zu sagen wußten, als ihn wegen mangelnden politischen Engagements zu verteufeln — welche Ehre und Anerkennung! Und Josef von Sternberg hätte an „Sindbad“ von Zoltän Huszärik bestimmt seine Freude gehabt, weshalb diese Preiszuerkennung der großen Jury als wirklich richtig getroffen zu bezeichnen ist!
Mannheims Filmwoche hat sich von der ihr in den letzten Jahren gewaltsam aufgezwungenen „Umfunk-tionierung“ entschieden gelöst und wieder zu dem Stil zurückgefunden, der einstmals die einzig dastehende Qualität und den besonderen Ruf dieser so informativen und wertvollen (und notwendigen!) Veranstaltung ausmachte.
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