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Aus dem Nachlaß eines Einsamen

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Aus dem Nachlaß des am 20. Juli 1944 so tragisch aus dem Leben geschiedenen einstmaligen Chefs des Generalstabes des deutschen Heeres, Ludwig Beck, sind nun die Studien und Vorträge, welche dem Zugriff der Staatspolizei entzogen werden konnten, erschienen. Eingeleitet von Generalleutnant Hans S p i d e 1, der Beck besonders nahe stand, sollen sie unter dem Blickpunkt, daß „Deutschland als Volk voll geachtet unter anderen Völkern, denen dieselbe Achtung gebührt“ (Goethe) verstanden v/erden. Becks militärisches und politisches Bekenntnis ist in jenem berühmten Mahnschreiben an Brauchitsch “vom 16. Juli 1938, als das Spiel um den Frieden Europas am Vorabend der Sudetenkrise begann, in den klassischen Sätzen enthalten: „Es stehen hier letzte Entscheidungen über den Bestand der Nation auf dem Spiel. Die Geschichte wird diese Führer mit einer Blutschuld belasten, wenn sie nicht nach ihrem fachlichen und staatspolitischen Wissen und Gewissen handeln. Ihr soldatischer Gehorsam hat dort eine Grenze, wo ihr Wissen und ihre Verantwortung die Ausführung eines Befehles verbieten... Es ist ein Mangel an Größe und Erkenntnis der Aufgabe, wenn ein Soldat in höchster Stellung in solchen Zeiten seine Pflichten nur in dem begrenzten Rahmen seiner militärischen Aufgaben sieht, ohne sich der höchsten Verantwortung vor dem gesamten Volk bewußt zu werden“ (S. 15). Was Beck am Ende seiner bisher erfolgreichen Laufbahn niederschrieb, ehe er in das Halbdunkel der schweigenden und später aktiven Opposition eintrat, ist die Erkenntnis eines langen Soldatenlebcns, das unter dem Aspekt Ludendorffs begann. Deshalb sind die ersten Studien der Strategie in einem kommenden Krieg und der Stellung Deutschlands in totalen Konflikten gewidmet, ebenso wie der kritischen Auseinandersetzung mit Ludendorff über die Lehre vom totalen Krieg, die Beck selbst überwindet. „Die Ueberwindung der Lehre vom totalen Krieg als einem unentrinnbaren Faktum setzt also einen neuen sittlichen Idealismus voraus. Der Idealismus vermag auch den Glauben an eine Idee als Aufgabe zu wecken und stark zu erhalten und, sollte das Ziel auch nie vollständig erreicht werden, wie dies vom ewigen Frieden angenommen werden muß, es doch zu ermöglichen, ihm in einer ins Unendliche fortschreitenden Annäherung immer näher zu kommen.“ (S. 2 5 8). Diese Abkehr von Ludendorffs Lehre wurde in einem Vortrag vor der „Mittwochsgesellschaft“ im Jahre 1942 gehalten, als der „totale Krieg“ längst die Politik als schöpferische Aufgabe und primären Faktor überrannt hatte. Marschall Foch, der große Gegner des deutschen Heeres im ersten Weltkrieg, fesselte Beck ebenso wie das Problem der Bündnis-kriegsführung in der Frage der West- oder Ostoffensive 1914, wobei die Würdigung der besonderen Gegebenheiten des k. u. k. Verbündeten bedeutsam erscheint. Eine wertvolle Beigabe des Buches ist der Bericht über die Reise Becks im Juni 1937 nach Paris und seine Unterredung mit General Gamelin, da darüber in der zeitgeschichtlichen Literatur manche Mißverständnisse aufgekommen sind.

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