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Der sozialisierte Arzt

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Mit der Einführung des allgemeinen englischen Gesundheitsdienstes am 5. Juli findet ein harter, durch über zwei Jahre mit Erbitterung geführter Kampf mit einem typisch englischen Kompromiß sein zumindest vorläufiges Ende. An allen Fronten der englischen Öffentlichkeit, im Ober- und Unterhaus, in privaten und öffentlichen Diskussionen und Abstimmungen, ja selbst auf der Bühne der englischen Theater, wurde um dieses Projekt gerungen, das durch einen allgemeinen, allen Staatsbürgern kostenlos zur Verfügung stehenden und auch wieder von der Allgemeinheit der Staatsbürger, das heißt der Steuerzahler, finanzierten Gesundheitsdienst das Ende der Arztrechnung herbeiführen soll. Nun hat Englands erster Soldat, Feldmarschall Montgomery, das Ergebnis dieses Kampfes zwischen dem Gesundheitsminister B e v a n und der britischen Ärzteschaft mit militärischer Anschaulichkeit zusammengefaßt: „Als Soldat habe ich die Schlacht zwischen dem Gesundheitsminister und der Ärzteschaft mit ungeheurem Interesse verfolgt. Der Minister gab Terrain auf und machte viele Konzessionen; die Ärzte gruben sich ein und machten, wenn überhaupt, nur sehr wenige. Dann plötzlich siegte der gesunde Menschenverstand. Ich bin entzückt: wir müssen beiden Seiten zu dem befriedigenden Ende des Konflikts gratulieren. Der Minister sah sich ungeheuren Schwierigkeiten gegenüber, aber er stand zu seiner Sache, und durch geschickte Taktik, hier etwas nachgebend, dort einen Gegenangriff durchführend, hielt er seinen Kopf über Wasser und erreichte schließlich, was er wollte — die Mitarbeit der Ärzte.”

Nun ist diese Mitarbeit der Ärzte allerdings nicht bedingungslos, uneingeschränkt und freiwillig, sondern zum Teil durch die Anwendung wirtschaftlicher Druckmittel erreicht worden, und es gibt Stimmen, die von einem „medizinischen München” sprechen. Andererseits haben die Ärzte durch ihren zähen Kampf unleugbar entscheidende Zugeständnisse erreichen können. Die Wahrung des persönlichen Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient durch die Sicherung der freien Arztwahl, eine Sicherstellung von 300 Pfund jährlich für junge, anfangende praktische Ärzte oder auch für ältere, welche ihre Tätigkeit einzuschränken wünschen, sowie eine Art ärztlicher Pensionsversicherung sind wesentliche Bestimmungen, die den Ärzten die Annahme erleichtern sollten. Vor allem aber kam es ihnen darauf an, nicht in den Stand fixbesoldeter Staatsbeamter übergeführt zu werden. So wird sich auch weiterhin ihr Einkommen nach der Zahl ihrer Patienten (bis zu 4000 auf der Liste eines praktischen Arztes) richten, wenn sie auch das Kopfpauschale von 15 bis 18 englischen Schilling pro Patient nun nicht mehr von diesem, sondern vom Staat erhalten werden.

Doch alle diese Bestimmungen, welche den Raum für die den Engländern trotz aller Sozialisierungsmaßnahmen so teuren Freiheit und Freizügigkeit sichern sollen, belassen doch die Tatsache, daß hier das ganze für den Einzelmenschen so wichtige Gebiet des Gesundheitswesens aas der privaten Sphäre in die Obhut des Staates übergeführt wurde. Ein entscheidender Schritt also zur weiteren Vergemeinschaftung, über dessen Wert oder Unwert erst die Bewährung in der Praxis das letzte Wort sprechen kann.

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