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Eigene oder fremde „Unterdrückung“ ?

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In keiner Frage herrscht solche Einigkeit bei den Vereinten Nationen wie in der Verurteilung des „Kolonialismus“. Ein Chor aller lateinamerikanischen, asiatischen und Sowjetstaaten, also ungefähr drei Viertel aller Stimmen, wandelt alle Tonarten von Kritik und Vorschlägen ab. Dabei finden sie die gut gemeinte, aber schlecht verstandene Unterstützung der Vereinigten Staaten, die ebensolche menschenfreundlicher und die wohl berechnete links eingestellter Gruppen in allen Ländern. Es ist ein mächtiger Chor, der sich gegen die „Kolonialstaaten“ England, Frankreich, Holland, Belgien, Australien und Neuseeland richtet — Portugal ist nicht Mitgliedstaat. Diesen Staaten ist die durchaus zweckmäßige Pflicht auferlegt, über ihre Verwaltung und ihre Maßnahmen für die Entwicklung der „zurückgebliebenen Stämme“ an die Vereinten Nationen Berichte zu erstatten. Die Beratung dieser Berichte gibt immer Anlaß zu einem Sturm von Vorwürfen und Vorschlägen.

Die Südafrikanische Union hat sich dieser Berichterstattung entzogen, indem sie das Deutsch-Südwestafrika einfach annektierte. Dem Vertragsbruch gegenüber erwiesen sich die Vereinten Nationen machtlos. Um so eifriger sind sie in der Kritik der Vertragstreuen Staaten, die nur zu oft von Stellen kommen, die in einem Glashaus sitzen. Nur sind dessen Scheiben so verdunkelt, daß es nicht als solches erkannt wird.

Nun hat Belgien einen leichten Vorstoß gemacht, um diese Verdunkelung zu zerstreuen. Gestützt auf seine ausgezeichneten Leistungen im Kongo und in Ruandi-Urundi, wo in den letzten Jahrzehnten Großes in der Zivilisierung eines riesigen Gebietes und seiner rückständigen Bevölkerung vollbracht wurde, wirft es die Frage auf: „Wir berichten gerne über das, was wir getan haben, und setzen es Eurer Kritik aus. Aber warum nur wir und unsere paar Kollegen? Habt Ihr, verehrte Kritiker, nicht auch .zurückgebliebene’ Völkerteile, und was tut Ihr für sie? Warum bekommen wir darüber nichts zu hören, damit man vergleichen kann? Warum berichten Brasilien und Bolivien, Peru und Guatemala nichts über die Entwicklung ihrer Millionen unkultivierter Indianer? Warum hören wir nichts über die 25 Millionen Nagas“ — seit der letzten Volkszählung 1941 werden es schon 30 Millionen geworden sein — „in Indien, die noch im Steinzeitalter stecken? Nichts über die primitiven Völkerstämme, die in allen Winkeln der mohammedanischen Länder versteckt sind? Nichts über die .Zurückgebliebenen’ Völkerschaften im riesigen Gebiet der Sowjetunion, über deren Zahl und Aufenthalt ein dichter Schleier gebreitet wird? Vielleicht hätten wir auch auf Grund unserer beträchtlichen kolonialen Erfahrungen ein paar Bemerkungen zu deren Lage zu machen.“

Sofort ertönt die Antwort: „Zurückgebliebene Völker — die gibt es nicht in der Sowjetunion. Wir haben sie alle zivilisiert.“ Welches Wunder! Noch vor 20 Jahren habe ich mit eigenen Ohren gehört, wie die Sowjetführer in Moskau und Leningrad auf die ungeheure Arbeit hinwiesen, die ihnen in der Zivilisierung ihrer wilden Völker in Zentralasien und Nordsibirien auferlegt sei. In zwei Jahrzehnten ist dem kommunistischen Zauberstab das Werk gelungen, zu dem man sonst Jahrhunderte braucht?

Wenn Pakistan sich als Wortführer der arabischen Staaten über die Zustände in den französischen Kolonien aufhält,

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