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Ein Jahrhundert gehörte Österreich

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Der erste österreichische Historikertag in Wien 1949 verzeichnete die Anregung zur Verfassung einer mehrbändigen repräsentativen Gesamtgeschichte Österreichs durch Historiker, die nicht mehr wie vor 1918 oder nach 1938 Rücksichten auf andere Völker und Staaten zu nehmen brauchten. Zu einer solchen Gemeinschaftsarbeit ist es nicht gekommen, dafür haben aber mehrere Geschichtsschreiber von Ruf Österreichs Geschichte entweder in ihrer ganzen Entwicklung oder in Einzeldarstellungen bearbeitet. Einem dankenswerten Vorhaben hat sich jetzt Hanns Leo Mikoletzky, sehr verdient um die Erschließung österreichischer Archivquellen zur Finanz-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte, verschrieben, er ist daran, die „Epochen österreichischer Geschichte“ in neuem Licht zu zeigen: der 1. Band „österreichische Zeitgeschichte“ (1918 bis 1955) liegt bereits in 2. Auflage vor, „Österreich im 19. Jahrhundert — Das Ringen um die Behauptung der Monarchie“ ist in Vorbereitung und als 3. Band stellt sich „Österreich — Das große 18. Jahrhundert“ (Leopold I., Joseph I., Karl VI., Maria Theresia, Joseph II.) vor. Nach Vollendung des Werkes werden von 1658 bis 1955 drei Jahrhunderte österreichischen Schicksals von welthistorischer Größe bis zur kleinen neutralisierten Republik in übersichtlicher Zusammenschau zu sehen sein. Der Autor zeichnet die Kronenträger der Habsburger nicht nur im konventionell-offiziellen Stil, er belebt ihr Tun durch persönliche Züge und AussPruche» Staatsakte werden sozusagen vermenschlicht und als Handlungen von Herrschern gezeigt, die tatsächlich selbständig regiert haben. In anderer Richtung wird die politisch-militärische Geschichte ausgeweitet durch Einbeziehung der kulturellen und wirtschaftlichen Elemente, derart entsteht ein harmonisches Mosaik eines Jahrhunderts, das mit vollem Recht groß genannt wird. Neben den Habsburgern treten noch daheim der ausschließlich dem Hause Österreich dienende Prinz Eugen und Kaunitz, im Auslände Ludwig XIV. und Friedrich II. in den Vordergrund. Die Ernte des Jahrhunderts gehörte Österreich, ihr Wert mißt sich an der Leistung, und diese verträgt auch das Erwähnen von nicht gerade positiven Begleiterscheinungen, die jedoch angesichts des Eraderfolges unerheblich sind. Mikoletzky will „keine neuen For-; echungsergebnisse vorlegen“, sondern eine aligemein verständliche Wiedergabe der bisherigen. Es kann natürlich auch nicht von etwas Endgültigem die Rede sein, denn die Quellen versiegen bekanntlich erst nach langen Zeitläufen, und der Verfasser bemerkt deshalb selbst, wie viele ungehobene Quellen noch ihren Schfanmer fortsetzen. Die

Druckerschwärze war tatsächlich noch nicht getrocknet, als bekannt wurde, daß das Herz des Prinzen Eugen im Stephansdom ruht, oder daß der englische Historiker Duffy sehr viel Neues über den Feld-marschali Browne publiziert hat.

Schwingt bei Mikoletzky überall tes österreichische mit, was hauptsächlich in Maria Theresias Würdigung zum Ausdruck kommt, der East ein Drittel des Buches gehört, herrscht bei Stadtmüller die gesamt-leutsche Idee vor. Stadtmüller will aber die deutsche Geschichte umschreiben, will von der kleindeutsch-Dreußischen Interpretation von Dreitschke und Mommsen abrücken and dafür beweisen, daß es dem Hause Österreich gelungen ist, sei es im Heiligen Römischen Reich, im deutschen Bund oder auch noch im Dreibund, den mitteleuropäischen Hamm trotz seiner Vielfalt organisch ind kulturell als Machtfaktor zu 'estigen. Mögen Umschreibungen ind Revisionen der Geschichte bisweilen einen fatalen Beigeschmack iiu'slösen und nicht immer Dauer-vert versprechen, Stadtmüller vergeht es trefflich, die bisher nicht überall anerkannte Mission der riabsburger in Europa und darüber liniaus glaubhaft richtigzustellen. Die habsburgische Macht — schireibt stadtmüller — habe bis in ihren Jntergang hinein eine mitenrtschei-lende Rolle in der europäischen Politik gespielt ... sie sei noch am Vorabend des ersten Weltkrieges sine europäische Großmacht gewesen ... „Diese wurde nicht durch üe inneren Loslösungsbestrebungen ler Nationalitäten aufgelöst, son-lem durch den Willen der Siegernächte zerschlagen“ ... die große Mehrheit der Donauvölker halbe bis :om Zusammenbruch das historische jefüihl der Zusammengehörigkeit »ewalhrt ... verbunden und geprägt

oiurcn oie von Wien aussit-raimienae „österreichische“ Kultur. Eine im Dickicht der Legenden und Entstellungen oft unsichtbare Wahrheit wird von Stadtmüller in helles Licht gerückt, daß nämlich das Kaiserhaus „erhaben über dem giftig werdenden Streit der Nationalitäten“ bis zuletzt ausharrte, gestützt auf Armee und Verwaltung. Die völkerverbindende Funktion der Monarchie habe sich in der Armee, dem Träger des übervölkischen Reichsgedankens, am besten bewahrt, in ihr fanden sich alle Nationalitäten bis zum Schluß einträchtig zusammen, die Offiziere seien nicht deutsch in einem nationalistischen Sinne gewesen, sondern wie ihr oberster Kriegsherr über den Völkern stehend nur kaiserlich und österreichisch gesinnt. Die gleiche übernationale Gesinnung habe das unvoreingenommene Beamtentum erfüllt...

„Die Geschichte der habsbur-gischen Macht“ bedarf angesichts ihres Aufbaues und ihrer wissenschaftlichen Gediegenheit reichlichen Lobes, und die Einwände vom österreichdsch'en Standpunkt sind gering: ein „Deutsches Reich“ und „deutsche Kaiser“ gab es erst seit 1871, bei den Personalien von Keith, PillerBdorff und Gablenz sind kleine Irrtümer unterlaufen, die sogenannten Arader Märtyrer wurden justiflziert, weil sie als ehemalige k. k. Offiziere ihren Eid gebrochen hatten.

Mikoletzlky und Stadtmüller gehören irgendwie zusammen, der deutsche Historiker liefert einen vollkommen brauchbaren Rahmen von 1273 bis 1918 zum Verstehen der jahrhundertelangen Regierung der Habsburger, der österreichische Partner greift das Erkliimmen des Gipfels und den Absturz heraus, beide wecken das Interesse für das Werden und Vergehen einer Dynastie, die aus der großen Welt- und Kontinentgesebichte und der österreichischen Heimatgeschichte nicht fortzudenken ist,

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