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Gewäsch anstatt Gelöbnis

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Es war schön, sich vorzustellen, daß auch an unseren Hochschulen noch die ehrwürdige Tradition bestehe, die ins Leben hinaustretenden jungen Ärzte bei ihrer Promotion mit der uralten Gelöbnisformel, dem „E i d des Hi,ppokrates“, an das sittliche Gesetz ihres Berufes zu verpflichten. Die auch in den österreichischen Fachkreisen verbreitete Meinung, daß dieses Gelöbnis heute noch den Ärzten bei ihrer Promotion auferlegt werde, muß leider berichtigt werden. Wie von der „Furche“ gepflogene Nachforschungen ergeben haben, ist das in der Kulturwelt weitverbreitete klassische Ärztegelöbnis an unseren Universitäten eines Tages durch einen lateinischen Text ersetzt worden, der von dem jeweiligen Promotor der Fakultät den Promovenden vorgelesen wird und in deutscher Übersetzung lautet:

„Sie werden geloben, erstens dieser Universität, in der Sie den höchsten Grad der Medizin erlangt haben, dauernd ein treues Angedenken zu bewahren und ihre Aufgaben und Ziele nach Kräften zu unterstützen; sodann die Würde, die ich Ihnen zu verleihen habe, rein und unversehrt zu bewahren und niemals durch üble Sitten oder Schande im Leben zu beflecken;

schließlich die Kenntnis, die Sie jetzt beherrschen, durch eigenen Fleiß zu pflegen und insbesondere durch alle Fortschritte, welche diese Kunst im Laufe der Zeit machen wird, zu erweitern, Ihre Übung und Ihr Können zum Wohl und Gedeihen der Menschen geflissentlich zu verwenden, endlich alle Pflichten, die dem rechten Arzte obliegen, mit der gleichen Menschlichkeit gegen alle auszuüben: dies werden Sie aufrichtig geloben und ver- spredien.“

Also nichts mehr von der feierlichen Formel, die, von dem großen griechischen Arzt im vierten Jahrhundert vor Christus für seine Schüler gestaltet, durch die Jahrtausende als der vorbildliche Ausdruck ärztlicher Ethik weiterwirkte. Nichts mehr von den sittlichen Verpflichtungen, die dieses Gelöbnis enthielt, nichts von dem Schwur, nie zur Tötung eines Menschen durch Verabreichung von Gift oder zur Vernichtung des keimenden Lebens beizutragen, nichts von dem Versprechen, immer für das Heil der Kranken einzutreten, und nicht einmal ein einziges Wort über das ärztliche Berufsgeheimnis und seine Bewahrung! An die Stelle des klassischen Ärztegelöbnisses ist ein färb- und zweckloser Schwatz getreten. Zweifellos das Erzeugnis einer Zeit, die darauf aus war alles zu nivellieren, sittliche Bindungen zu leugnen und aus der Freiheit ein Privileg des Geld- und Bildungsbesitzes auf Kosten des Volkes zu machen. Das typische Produkt der Verwaschenheit eines zum Glück überwundenen Zeitalters konnte sich unbemerkt und widerspruchslos trotz tausendmaliger Wiederholung in den Fettsälen unserer Universitäten solange wohl nur erhalten, weil der lateinische Text in dem allgemeinen Zeremoniell des Promotionsaktes unbeachtet blieb.

Der Genfer Beschluß des Internationalen Medizinalverbandes, den „Eid des Hippokrates“ in erneuerter Fassung an den hohen Bildungsstätten der Ärzteschaft wieder herzustellen, geht also auch uns Österreicher an.

Und unsere medizinische Schule — so denken wir — wird es sich nicht nachsagen lassen, daß in ihrem Bereich Schweigen herrsche über die unumstößliche Gesetzlichkeit des ärztlichen Berufsethos.

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