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Katharina von Medici und die BartholomusnachtKatharina von Medici und die Bartholomusnacht

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Für Katharina von Medici als einer historisch und weltanschaulich umstrittenen Persönlichkeit gilt, was Schiller von Wallenstein gesagt hat: „Von der Parteien Gunst und Haß verwirrt, schwankt sein Charakterbild in dei Geschichte.“

Schon von den zeitgenössischen protestantischen Geschichtsschreibern der Gegenreformation und erst recht von den Pam-phlptisten wurde die Mediceerin auf dem Throne Frankreichs, unter deren Initiative in der berüchtigten Bartholomäusnacht, am 24. August des Jahres 1572, die Blüte des französischen protestantischen Adels gemordet wurde, schärfstens verdammt. Ihre Tat wurde als Ausfluß religiöser Unduldsamkeit hingestellt Die Verteidigung von katho-lisdier Seite blieb an Stößkraft hinter der des protestantischen Angriffs zurück. Die in den religiösen Kampf gebundenen Zeitgenossen konnten und wollten gar' nicht zwischen religiösen and politischen Motiven scheiden. Das von ihnen der Nachwelt überlieferte Bild der Königin hat bis n die Gegenwart unter dieser Unklarheit der Problemstellung und der Sicht gelitten.

Erst der jüngeren französischen Fadi-literatur * hat sich die Erkenntnis eröffnet, daß das grauenhafte Gescheher. der Bartholomäusnacht ein individual- und massenpsychologisches sowie zugleich ein politisches Problem enthalte, daß dieses Morden als eine politische Tatsetzung, nicht als Werk eines religiösen Fanatismus begriffen werden müsse.

Bis zur Bartholomäusnacht hat Katharina in den sogenannten französischen Religionskriegen, die eine wahre Geißel für Frankreich waren, als Schülerin Machia-vellis verständig, klug und gemäßigt im Sinne des „Principe“ gehandelt. Ihre Politik, die auf Erhaltung des Königtums und seiner Rechte als des für die damalige Zeit wahrhaft staatlichen, das heißt überständischen und überparteilichen Prinzips, abzielte, war nicht von konfessionellen Interessen getragen, sondern von der Überzeugung, daß das Königtum als über den einzelnen religiösen Parteien stehend zum Wohle der Gesamtheit der Staatsbürger eine Vermittlerrolle verantwortlich zu spielen habe, die den inneren Frieden Frankreichs und ein Zusammenleben der religiösen Richtungen ermöglichen sollte. Die Haltung der Königin als Regentin für ihre minderjährigen und der Vormundschaft auch später bedürftigen Söhne war gegenüber den Protestanten konziliant, frei von religiöser Parteinahme. Sie suchte aufrichtig den Frieden auf einer mittleren Linie des Kompromisses.

Wir sehen die sogenannten Religionskriege heute nicht mehr aussdiließ'ich unter religiösem Aspekte, als wären die Prinzipien

* Jean Hentier: Catherine de M£dicis, Paris, Librairie Fayard, 1940.der Toleranz “und Glaubensfreiheit nur von den Protestanten vertreten worden. Zumindest ebenso schwer wie religiöse Momente wogen politische. Religiöser Fanatismus war im Zeitalter der Religionskriege auf Seite beider Konfessionen zu finden. Der protestantische französische Adel war nicht nur religio; anders gerichtet als die Staatsmacht, repräsentiert durch das Königtum, sondern befand sich auch in ständischpolitischer Opposition.

Im Frankreich des 16. Jahrhunderts standen das Königtum und in ihm der moderne Einheitsstaat in der Verteidigung gegenüber dem aggressiven protestantischen Adel, der auf Erhaltung einer privilegierten Stellung abzielte, die mit dem Prinzip der modernen Staatlichkeit unvereinbar war.

Zur Zeit Katharinas war das von den. französischen Königen der letzten Jahrhunderte geschaffene Werk der modernen Staatsbildung, die Tradition einer überständischen Rechtswahrung, der Garant einer den Schutz jedfs einzelnen Untertanen sichernden Rechtordnung, in Gefahr. Diese von der Königin klar erkannte Gefahr bestand nicht in einem anderen christlichen Glaubensbekenntnis, sondern in den politischen Aspirationen der Gegenseite.

Katharina von Medici, von der Natur nicht gerade mit äußeren Gaben überschüttet, war durch viel Unglück in ihrem Privatleben, zahlreiche Demütigungen als Frau zu Lebzeiten ihres Gatten, König Heinrichs IL, hart geworden. Sie hat sich zu dem Blutbad der Bartholomäusnacht entschlossen, nicht weil sie religiös war, weil ihr Gewissen als Katholikin es ihr geboten hätte; sie glaubte vielmehr als Politikerin, beladen mit der Verantwortung vor einer großen Tradition, deren Hüterin sie, die Fremde, war und nicht ihr Sohn, der schwache und unbegabte Karl IX., und befangen von den Rechtsanschauungen ihrer Zeit, keinen anderen Ausweg mehr zu sehen.

Ohne Kenntnis der Rechtsanschauungen des 16. Jahrhunderts über die Erlaubtheit des Mordes, der gewaltsamen Tötung im politisdien Interesse bleibt die Bartholomäusnacht unverständlich. Das 16. Jahrhundert hat die Theorie von der Erlaubtheit des „Tyrannenmordes“ ausgebildet und andererseits die Anschauung, daß für den König gewaltsame Tötung eines ungetreuen Untertanen auch ohne öffentliches Gericht zum Wohle des Staates moralisch gerechtfertigt sei, daß ein solcher Mord als Exekution im Auftrage des Königs aufzufassen ser. Der aufständische Admiral war für Katharina ein Verbrecher nach den Theorien der Staasräson und des öffentlichen Wohles. Coligny, der nur Exponent einer kleineren Minderheit, einer Partei war, wollte den Gang der französischen Außenpolitik bestimmen. Er mußte Katharina um so gefährlicher erscheinen, als er zu Zeiten einen großen Einfluß auf Karl IX. hatte. Von persönlichem Ehrgeiz getrieben und unter der Einwirkung eines protestantisch-religiösen Mystizismus stehend, hetzte Coligny zum Kriege gegen das katholische Spanien. Frankreich sollte zugunsten der aufständischen niederländischen protestantischen Provinzen militärisch intervenieren. Aus Staasräson war Katharina gegen eine von religiösen Impulsen diktierte Außen-und Innenpolitik. Sie widersetzte sich im Interesse des Staates dem Kriege gegen Spanien, der Frankreich in ein unabsehbares Abenteuer gestürzt hätte. Denn England unterhielt gerade 1572 zu Spanien gute Beziehungen und wäre zweifellos neutral geblieben. Unmittelbar vor der Bartholomäusnacht fanden in Nordfrankreidi bereits hugenottische Truppenbewegungen statt, die zum Eingreifen in den Niederlanden bestimmt waren. Coligny war entgegen dem Willen der offiziellen Staatsführung zum Kriege gegen Spanien und zum Bürgerkriege in Frankreidi entschlossen. Coligny machte konfessionelle Politik, nicht Katharina.

In den Augusttagen des Jahres 1572 begann der Führer der Protestanten auf den König einen das Friedenswerk Katharinas gefährdeten Einfluß zu gewinnen. Sie hatte alles getan, um den Kampf mit der Weltmacht Spanien zu vermeiden. Eine Ausrichtung der königlichen Politik nach der hugenottischen Seite bedeutete ferner Bürgerkrieg für Frankreich, denn niemals hätte die katholische Seite sie hingenommen. Das ganze mühsam aufgerichtete und gestützte Gebäude der Innenpolitik Katharinas drohte einzustürzen und unter seinen Trümmern auch den äußeren Frieden Frankreichs zu begraben. Katharinas persönlicher Wille, an der Macht zu bleiben — sicher ein beherrschender Faktor in allen ihren Entscheidungen —, deckte sich mit dem Heile Frankreichs. Coligny mußte sterben, sollte Katharina ihren Einfluß behalten und ihr Werk fortsetzen können.

Die Ermordung Colignys konnte der Königin nach den Rechtsanschauungen ihrer Zeit als Exekution eines ungetreuen und gefährlichen Untertanen im Interesse des Gemeinwohles als erlaubt erscheinen. Eine öffentliche Verurteilung war nicht möglich ohne Gefahr eines Bürgerkrieges. Außerdem war der König gerade in dieser Zeit der starken Persönlichkeit Colignvs erlegen und deckte ihn. Als Frau nahm Katharina Zuflucht zur List und inszenierte ein Attentat auf den Admiral. Sein Tod sollte als Folge persönlicher Händel erscheinen. Aber das Attentat mißlang — der Verdacht mußte auf Katharina fallen.

Zu dieser Zeit befanden sich etwa 10.000 bewaffnete Hugenotten in Paris, darunter alle führenden Persönlidikeiten. Die Anwesenheit einer so ' großen Anzahl ihrer bewaffneten Feinde in der Hauptstadt bedeutete nach dem Mißlingen des Attentats eine Bedrohung für die Regentin, unter Umständen für das Königtum. Die Hugenotten konnten durch eine Untersuchung der Mordangelegenheit im Einverständnis mit dem König den tödlichen Streich gegen die Position und die Person Katharinas führen oder, wenn sich der König einem Prozesse versagte, durch einen Staatsstreich gegen den König sich selbst an die Macht bringen.

Am 23. August enthüllten zwei hugenottische Edelleute ein Komplott Colignys gegen Katharina und die königliche Familie. Es ist Glicht erwiesen, ob dieses Zeugnis der Schuld Colignys echt oder falsch ist, das heißt, ob Katharina nicht diese Zeugenaussage erkauft hat. Aber die Königin befand sich auf jeden Fall in einer Sackgasse:jie selbst war verloren, in Frankreich ein

Staatsstreich der Hugenotten zu erwarten oder eine Revolte der katholischen Partei gegen einen unter Colignys Einfluß stehenden König.

Es war die Tragik Katharinas und zugleich ihre Grenze als Politikerin, daß sie einer Angstpsychose zum Opfer fiel und, einmal auf der Bahn des Mordens, von der individuellen Tötung Colignys zwangsläufig zum Massenmord fortgezogen wurde. Aber immer noch dachte sie nicht an das Blutbad, in das die Bartholomäusnacht ausartete, als am Abend des 23. August 1572 eine unter Mitwirkung der Königin aufgestellte „schwarze Liste“ dem König zur Legalisierung überreicht wurde. Auf dieser standen nur die Namen der führenden Hugenotten. Der König gab noch am gleichen Abend den Befehl zur Exekution der Verräter, Colignys und seiner Haupthelfer. Der Mord an den Hugenotten wurde als legitime Hinrichtung auf Befehl des Königs angesehen. Um während der Exekution der führenden Hugenotten die Ordnung in Paris aufrechtzuerhalten, wurde die Bürgermiliz aufgeboten. Alles schien gut ausgedacht, um mit einem Schlage die Opposition ihrer Köpfe zu berauben und andererseits überflüssiges Blutvergießen zu vermeiden.

Doch die in ihrer Wesensart so exakte und kühle, berechnende Mediceerin hatte nicht den Fanatismus des Pqbels vorausgesehen. Der Schülerin Machiavellis, der jeder blinde Affekt unbegreiflich war, unterlief ein furchtbarer Rechenfehler. Sie glaubte -eine durch eine Liste begrenzte Hinrichtungsaktion durdiführen zu können. Aber der. Appell an die rohe, durch kein Rechtsbewußtsein gehemmte. Gewalt war nicht zu begrenzen, nachdem einmal die niedersten Instinkte frei geworden waren. Als am 24. August 1572 um 3 Uhr früh die Glocke des Palais de justice das Zeichen zur Exekution der führenden Hugenotten gab, wandelte sich bald, sicher auch unter Einwirkung unlauterer und gemeiner Motive, die Exekution zur unterschiedslosen Schlächterei der Hugenotten. Die Zahl der Opfer ist ungewiß. In Paris dürften es 2000 gewesen sein, in der Provinz 10.000.

Die Politik der Versöhnung der religiösen und politischen Gegensätze innerhalb Frank-reidas, die Katharina von Medici seit zwölf Jahren befolgt hatte, war nun, nachdem Blut geflossen, endgültig gescheitert. Seit der Bartholomäusnacht war Katharina in ihrer Handlungsfreiheit beschränkt. Das Königtum verlor seine Position über den Parteien.

Katharina ist von der Blutschuld, die sie auf sich geladen hat, nicht freizusprechen. Aber sie hat wie jede historische Persönlichkeit das Recht, aus dem Denken ihrer Zeit verstanden zu werden. Daß Ströme von Blut in der Bartholomäusnacht flössen, war von Katharina in dieser Form nicht gewollt. Die Königin mit den blutigen Händen gehörte selbst zu den Verlierenden. Die kluge, listenreiche Schülerin Machiavellis war ohnmächtig gegenüber der durch sie entfesselten brutalen Gewalt. Sie hatte sich subjektiv für berechtigt gehalten, über die allgemein geltende moralische Rechtsordnung hinwegzuschreiten. Der an dem kultivierten Hofe der Medici in Florenz aufgewachsenen Frau hat das Organ gefehlt, eine Massenausschreitung vorauszusehen, das irrationale Wüten der Gewalt und der Instinkte einer aufgereizten Masse abzuschätzen.

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