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Es ist kein Geheimnis, daß die Kleinstädte und Dörfer im russisch besetzten Teil Ostpreußens sehr dünn besiedelt sind. Etwa 400 Ortschaften weisen kaum hundert Einwohner auf. Deshalb hat man sich dazu entschlossen, weitere 600.000 Russen in diesem Gebiet zuzusiedeln. In jedem Jahr sollen 120.000 Freiwillige angeworben werden. Anfang dieses Jahres sind die ersten zwei Transporte mit je tausend Einwohnern aus dem Donez-Becken und der Ukraine in Königsberg (Kaliningrad) eingetroffen. Weitere sollen folgen. Aus der Verschiedenartigkeit der hier angesiedelten Volksgrup1-pen ist zu schließen, daß die Russen auf weite Sicht planen. Die „Kaliningradskajä Oblast“ soll ein fester Bestandteil des sowjetischen Staates werden. Die Neusiedler sind mit der geschichtlichen Vergangenheit kaum vertraut. Für sie ist es altes russisches Land, das durch die Erfolge des zweiten Weltkrieges der Heimat zurückgegeben wurde.

Während man hier in der ersten Zeit vorwiegend bewährten Frontsoldaten eine neue Existenz ermöglichte, ist man jetzt dazu übergegangen, vor allem junge Menschen beiderlei Geschlechts anzuwerben. In vielen Sowjetrepubliken gibt es Werbestel'.en, auch russische Zeitungen sind in diese Aktion zur Besiedlung Ostpreußens eingeschaltet. Der Transport ist kostenlos. In Königsberg befindet sich ein sogenanntes Ansiedlungsamt, das den Umsiedlern jegliche Hilfe gewährt und ihnen auch den neuen Wohnort zuweist. Jedem Neubürger wird ein Stück Land neben dem sonst üblichen Kolchossystem zugesichert. Man verspricht auch, Landmaschinen und Geräte zu liefern. Wie aber den Aussagen der russischen Beamten zu ent* nehmen ist, sind die freiwilligen Meldungen spärlich. Vor allem sind auch arbeitsscheue Elemente nach Ostpreußen gekommen, weil sie sich hier ein schöneres Leben erhofften. Als die russische Verwaltung scharfe Kontrollen vornahm, waren viele dieser Siedler bereits wieder in ihre Heimat zurückgewandert. Es ist nicht ausgeschlossen, daß die russischen Behörden, falls die Freiwilligenaktion scheitern sollte, Zwangsansiedlungen vornehmen werr den. Vor zwei Jahren war schon einmal davon die Rede, daß jede Sowjetrepublik sich verpflichten sollte, einen bestimmten Prozentsatz von Neubürgern zu stellen. Die nach Ostpreußen abgeordneten russischen Beamten bekommen monatlich 250 Rubel „Westzulage“, sie lassen sich nur ungern für mindestens drei Jähre nach Ostpreußen versetzen. Man hat deshalb verschiedene Vergünstigungen geschaffen, um den Beamten den Zuzug zu erleichtern: es winken Beförderungen und, andere finanzielle Vorteile.

Das wahrhaft Erschütternde an diesen Vorgängen ist, daß sie Punkt für Punkt eine genaue Wiederholung der Umsiedlungs- und Ostpolitik des Großdeutschen Reiches darstellen. Wer die Deutschen zwischen 1940 und 1945 im ehemals polnischen „Warthegau“ mit den Zentren Posen und Lodz-Litzmannstadt am Werk sah, wird das bestätigen können.

Einmal die einen, dann wieder die anJ?rn.

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