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Philosoph, Anatom, Konvertit

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Die Gestalt des dänischen Anatomen, Naturforschers und katholischen Bischofs Niels Stensen (1638 bis 1686) tritt nach einer Periode relativer Vergessenheit wieder in den Vordergrund. In Dänemark wird sein Andenken zwar lebendig erhalten — seit 1950 gibt es dort ein „Niels-Stensen-Gymnasium“ und eine seit 1954 erscheinende '--Monatsschrift „Stenonia Catholica“ —, aber im übrigen Skandinavien und am Kontinent ist sein Name wenig bekannt. Man muß es deshalb begrüßen, daß heuer die lange erwartete deutsche Biographie von Prof. Max Bierbaum: „Nikolaus Steno. Von der Anatomie zur Theologie“, Aschendorff, Münster, erschienen ist, die ein ebenso lebendiges wie sauber gezeichnetes Bild seines kurzen, dramatisch bewegten Lebens gibt.

Das Thema ist gerade heute sehr aktuell. Ein junger Anatom und Entdecker von europäischem Ruf, der als Genie der Wissenschaft gilt, entschließt sich, nachdem er 1667 konvertiert hat, seine Karriere aufzugeben und Priester zu werden. Dabei bleibt es aber nicht. 1677 wird er mit der Würde des Bischofs bekleidet, arbeitet darauf als Vikar in der Diaspora Norddeutschlands, freilich ohne großen Erfolg. 1680 wird er zum Weihbischof von Münster designiert, von wo er doch 1683 nach Enttäuschungen — als Däne und Konvertit konnte er sich dort nicht halten —

wieder in das Gebiet der nordischen Missionen zurückkehrt. In Hamburg hat er neue Mißerfolge. Er stirbt 1686 in Schwerin, kurz vor dem 49. Lebensjahr. Sein Leichnam wird in der dortigen Kirche beigesetzt, aber auf Wunsch seines Gönners Cosimo III. nach Florenz, in die Mediceergruft von San Lorenzo, übergeführt, 1957 exhumiert und in einer besonderen Kapelle des Doms, die seinen Namen erhält, bestattet. Denn jetzt, nach 300 Jahren, ist eine merkwürdige Wandlung geschehen: der seltene Mann, der trotz glänzender Talente und Verdienste ein Leben der Anfeindung und des Mißerfolgs geführt hat, ersteht im Bewußtsein der Nachwelt neu. Die moderne Bibliographie über ihn ist nicht gering. Davon abgesehen, wächst die Einsicht, daß Niels Stensen alle Merkmale des Heiligen an sich trägt. 1957 wurde der „Diözesanprozeß“ eingeleitet.

Eine solche Entwicklung ist ziemlich einzigartig in der Geschichte der Naturwissenschaften. Es gibt zwar eine Reihe von gläubigen Gelehrten — etwa Carl von Linnė, den. Anatom Hyrtl, den 'Nobelpreisträger Alexis Carell, den eben modern gewordenen Teilhard de Chardin —, aber das bewußte Opfer des eigenen wissenschaftlichen Genies zugunsten der geistlichen Berufung hat kaum jemand geleistet. Der Fall ist um so erstaunlicher, als der Lutheraner Stensen in einer theologisch zerrissenen Zeit, wo das Ansehen der katholischen Kirche katastrophal gesunken war. Sich zu seinem Schritt entschloß. Er war ja durchaus kein kleiner Mann in seinem Fach, kein Dilettant, sondern mit Recht in den europäischen Zentren der damals bahnbrechenden Forschung als hoffnungsvoller Avantgardist angesehen. Mit 22 Jahren hatte er in Amsterdam den Ausgang der Mundspeicheldrüse, Ductus Stenonicus, entdeckt, der für immer seinen Namen trägt. Neben anderen anatomischen Leistungen wies er als erster darauf hin, daß das Herz ein Muskel sei. Daneben gilt er als Vater von nicht weniger als drei Wissenschaften: der Geologie, Paläontologie und Kristallographie. Mit einem Freimut, der unglaublich anmutet, setzte er sich mit den drei Portalgcstalten der neuzeitlichen Philosophie auseinander: Descartes, Spinoza und Leibniz. Die beiden letzteren kannte er persönlich.

Prof. Bierbaum zeigt uns eine Gestalt, die wie aus einem Stück geschnitten erscheint. Stensen repräsentiert als Skandinavier — er war wohl in Kopenhagen geboren, stammte aber väterlicherseits aus Schonen — die im Norden herrschende Vorliebe für die „reine Linie“. Es gibt bei ihm weder ein zu langes Schwanken, noch ein Zurück, noch kann er nebulöse Begriffe bestehen lassen. Ein österreichischer Redemptorist, Dr. Gustav Scherz, der in Kopenhagen lebt und sich seit Jahren um die wissenschaftliche Edierung von Stensens Schriften bemüht, lieferte wertvolles Material als Grundlage für die vorliegende Biographie. Vielleicht könnte man sich bei der geschilderten Auseinandersetzung mit den Philosophen eine mehr ins Detail gehende Darstellung vorstellen, um die Schwierigkeiten Stensens und damit seine Bedeutung klarer hervortreten zu lassen, aber als Ganzes ist diese vita vorbildlich rein und mit innerer Teilnahme geschrieben. Es wäre für den Norden von großem Wert, wenn die in der Profanwissenschaft anerkannte Gestalt Niels Stensens, der soviel typisch skandinavische Züge trägt, durch die Ehre der Altäre, für die er sein Genie geopfert hat, ihre Würdigung fände.

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