Grabennymphen am Schnepfenstrich

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Im Wien Mozarts blühte die (Gelegenheits-)Prostitution. Nur wenige Frauen schafften den Sprung in die bürgerliche Existenz, die meisten endeten im Elend.

Leck mich das Mensch im Arsch, das mich nicht will", schrieb der Junge Wolfgang Amadeus Mozart anno 1778 an den Vater nach Salzburg, als Aloysia Weber ihn abblitzen ließ. Über diese größte Enttäuschung seines Lebens halfen ihm später nur seine Leidenschaft für das Tanzen, das Billardspiel und leichte Mädchen hinweg. Ja, wie so viele der Männer der Zeit besuchte Mozart leichte Frauenzimmer, auch "Grabennymphen" genannt, in ihren Unterkünften, auch Unzuchts- oder Luderhäuser genannt.

Eines dieser Quartiere für die lockeren Mädchen jener Zeit existiert noch heute in der Kleeblattgasse 5. Dem geltenden Sittenkodex und allen Nachforschungen der durch Kaiserin Maria Theresia ins Leben gerufenen Keuschheits-Commissionen, die ihr Sohn Joseph II. eifrig fortsetzte, zum Trotz, trieben die "Buhlerinnen" ihr sittenloses Handwerk erfolgreich weiter. Eine von ihnen, namens Regina, soll Mozart ganz besonders eifrig den Hof gemacht haben. Dass sie zuvor Stubenmädchen bei einer Gräfin gewesen war, erhöhte nur ihren Reiz. Hatte nicht sogar der französische Hofmaler ihrer Majestät, Liotard, einem Wiener "Stubenmädchen" zu größtem Ruhm durch ein wunderschönes Bildnis verholfen? Und war diese reizende Nandl Baldauf nicht sogar später zu einer Fürstin Liechtenstein aufgestiegen? Ihr eiferten die koketten Dinger eifrig nach, vor allem in ihrer Adjustierung. Weshalb eine Beschreibung ihres Äußeren aus jener Zeit mit dem Resümee schloss: "Sie kleiden sich kostbarer als ihre Herrinnen!"

Aus einem Traktat "Über die Stubenmädchen in Wien" von 1781 geht hervor, wie "Buhlerinnen" sich damals kleideten: "Ihre Haare um die Stirn à la Rippamonté kurz abgeschnitten ... tief herabhängende Chignons ... weiß und rot geschminkt .... der Busen ist so herausgepresst, so offen bloß wie bei ersten Kokotten ... die Röcke mit Fälbeln garniert ... weiße, seidene Strümpfe, die schönsten Schuhe, große Modeschnallen, Ohrgehänge und Ringe an den Fingern machen den Reiz vollkommen." So herausgeputzt machten diese Gelegenheits-Mätressen den Wiener Graben, auch "Schnepfenstrich" genannt, unsicher.

Ungerechte soziale Verhältnisse taten ein Übriges. Schließlich betrug der Jahresverdienst eines Stubenmädchens im Durchschnitt nur 10.000 Schilling nach heutigem Geld. "Diese 30 Gulden reichen eben gerade für Schuhe und Haarpuder", kritisierte ein Literat jener Zeit.

Während aber das "galante Wien" hübsche Kokotten hofierte, wetterten Moralprediger dagegen. Die Sittenkommission verhängte hohe Strafen gegen Hurerei und lasterhaften Lebenswandel. Gefürchtet war das Haarescheren, dem die Locken und Chignons unter großem Geschrei zum Opfer fielen. In der ganzen Donaumonarchie bis nach Triest galten die strengen Gesetze nach dem Sittenkodex, weshalb 1783 berichtet wird: "Auch in Triest hat die Polisey angefangen, liederliche Weibspersonen mit geschorenen Köpfen an den Pranger zu stellen." Andere wanderten in die Zuchthäuser und wurden tagsüber zum Gassenkehren verurteilt. An ihrem weiteren Lebenswandel änderte sich jedoch nichts. Denn kaum war die Strafe abgesessen, warteten vor dem Tor schon Verehrer der Freudenmädchen und versorgten sie mit Perücken und neuem Kleiderstaat. Die "Wonnemädchen" bevölkerten aufs Neue den Graben und gingen ihrem Gewerbe nach.

"Ich bin Stunden am Graben und dem Glacis auf- und abgestrichen", jammerte in einem zeitgenössischen Report ein Wiener Lustmädchen, "und fand keine Freier. Jetzt packt mich die Furcht vor der Kupplerin." Da es viele reichgewordene Kupplerinnen gab, sorgten allein sie dafür, dass aus dem Zuchthaus entlassene Hübschlerinnen frisch eingekleidet neue Verehrer fanden. Es etablierten sich daher vor der Stadt Mode-Magazine mit großem Angebot an Perücken und Kleidern. Die Geldspende von 20 Gulden, die jeder entlassene Sträfling erhielt, wurde gleich in eleganten Aufputz anglegt. Geschäfte machten auch Händler mit den abgeschnittenen Haaren, die sie an Perückenmacher verhökerten. Wie man sieht, kurbelte das elende Geschick gestrauchelter "Nanetterln" noch erheblich den Handel an.

Diesem Kreislauf zu entrinnen, gelang schließlich nur wenigen. Weshalb man sich ernstliche Sorgen um das Alter von Wirtschafterinnen, Kellnerinnen, Köchinnen, Stubenmenschern, Kaffeejungfern und Händlerweibern machte. Vorschläge für "Errichtung von Versorgungshäusern für Dienstlose in Wien sich befindende Mädchen" wurden erörtert. Realisiert wurden sie jedoch erst Jahrzehnte später. Anstatt ihr wechselvolles Dasein "in der Versorgung" zu beschließen, wanderten stattdessen manche dieser armen Geschöpfe in den St. Marxer Narrenturm. Dort offenbarte sich die soziale Misere darin, dass Junge und Alte nebeneinander unter unsäglichen hygienischen Verhältnissen auf Stroh, nur notdürftig mit einer Suppe beköstigt, unter "Geschrey und Geheul Wahnsinniger" ihre Tage verbrachten. Die einzige Therapie waren Prügel.

Von der koketten Buhlerin am Schnepfenstrich bis zur ausgemergelten Elenden im Narrenhaus: ein Schritt in den Abgrund, der als einziger den einstigen "Grabennymphen" blieb. Eine Abschreckung für nachkommende Geschlechtsgenossinnen waren sie dennoch nicht. Denn jede hoffte, irgendwann wenigstens einen Zipfel vom großen Glück zu erhaschen. Und wenn es auch nur in der bürgerlichen Ehe mit einem Leibhusaren oder Kammerlakaien endete.

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