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Der Spiegel

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Im Sommer des Jahres 1767 reisten sechs Abgesandte aus Tirol, drei von diesseits, drei von jenseits des Brenners, an den Wiener Hof, um die Kaiserin Maria Theresia aufzusuchen. Sie wollten die Monarchin zur glücklichen Genesung nach schwerer Blatternerkrankung beglückwünschen, zugleich auch mehrere Anliegen des Landes wegen der Schürfungsrechte in den Bergwerken von Hall und Schwaz und gewisser Handelsverträge zwischen Südtirol und den lombardischen Städten Vorbringen. Die Abgesandten waren von ihren Gemeinden mit klugem Vorbedacht ausgewählt, Männer von bestem Tiroler Schrot, wurzelecht und in den Weltläuften wohl erfahren, so daß man ihnen Zutrauen mochte, sie würden auch den abgeschliffenen Boden der Wiener Hofburg nicht unter den Füßen verlieren.

Maria Theresia empfing die Tiroler im kleinen Audienzsaal, auf einem Thronsessel sitzend. Sie trug ein graues Brokatkleid und auf dem reichen Blondhaar die Witwenhaube, die sie seit dem Tod des geliebten Gatten nicht mehr abgelegt hatte. Aber über die obere Gesiditshälfte fiel ein dünner Schleier, unter dem der Mund der Kaiserin noch rot und jugendlich blühte. Auch fiel es den Abgesandten, die ohne unziemliche Neugierde sich in dem Prachtsaal doch mit aufmerksamen Blicken umsahen, auf, daß die hohen, mit vergoldetem Schnitzwerk umrahmten Spiegel an den Wänden mit weißen Florgeweben verhüllt waren.

Die Kaiserin nahm die Glüdcwünsche der Tiroler huldvoll entgegen und versprach für ihre Anliegen rasche Überprüfung und Erledigung. Die Körbe mit erlesenem Südtiroler Obst, die sie als Ehrengeschenk mitgebracht hatten, sollten noch heute die Hoftafel zieren. Dann griff sie gleich herzhaft und ohne jedes Zeremoniell nach einem rotbackigen Traminer Frühapfel. Als sich aber die Boten mit ehrfurchtsvollen Worten nach dem gegenwärtigen Stand ihres Befindens erkundigten, seufzte Maria Theresia auf.

„‘s geht schon wieder, meine lieben Tiroler, ich bin soweit gesund, aber das Gesicht, das Gesicht! Ich rrtag gar nicht mehr in den Spiegel schauen" (historisch überlieferte Worte!).

Und sie wies mit der weißen Hand, die nur mehr den Schmuck der zwei Eheringe trug, auf die verhüllten Spiegel und auf den Schleier, der die Spuren der Blattern im Antlitz der weiland schönsten Fürstin Europas verbergen sollte.

Die sechs Boten sahen einander mit einem verhohlenen Lächeln an. Sie hatten jeder daheim ein liebes Eheweib, und daß die große Herrscherin, die stets wie ein tapferer Soldat für Österreich gestritten hatte, solche frauliche Schwäche zeigte, brachte sie ihren Herzen noch näher. Da sagte der Älteste von ihnen, Johann Gasteigeir, Bauer und

Altbürgermeister von Absam bei Hall, seine knorrige Gestalt aufrichtend, bedächtig:

„A was Gsicht, wann du nur wieder gesund bischt, Theresia, wollen wir Gott danken.“

Einen Augenblick herrschte ein fast erschrockenes Schweigen, dann lachte Maria Theresia laut und herzhaft: „Recht hast, Gasteiger."

Sie streifte mit entschlossener Hand den Schleier von der narbenbedeckten Stirne, unter der die blauen Augen wieder lebensfroh und sieghaft leuchteten, sie stieg vom Thron und, ohne ihre Hofleute herbeizuwinken, nahm sie selbst die Florhüllen von den Spiegeln. Dann verabschiedete sie die sechs Männer mit einer herzlichen Ansprache und gab einem jeden die Hand: „Grüßt mir das Landl.“ Als aber die sechs abends in ihre Herberge zurückkehrten, fanden sie dort sechs feingeschliffene Handspiegel in getriebenen Rahmen aus schwerem Silber, nebst einem Handbillett Maria Theresias. Diese Spiegel sollten sie ihren Frauen mitbringen und auf ihren Höfen aufbewahren als Erinnerung an die von Krankheit, Gram und Eitelkeit geheilte Kaiserin.

Die Geschichte könnte damit nun füglich zu Ende sein, aber wie alles Böse im Weltgeschehen unfruchtbar zerstäubt und nur das Gute und Liebevolle in Zeit und Ewigkeit sich nachwirkt, so hat sie noch ein besonderes Nachspiel.

Ein paar Jahre nach idem zweiten Weltkrieg suchten Ausflügler am Rande einer Tiroler Kleinstadt vor einem Gewitter Schutz unter dem vorspringenden Dach eines Landhauses, das, halb Villa, halb bäuerliche Siedlung, in einem großen Obstgarten stand. Bald erschien die Hausfrau und lud die Fremden in die getäfelte Wohnstube, wo schon die rote, mit Buchsbaumzweigen umwundene Wetterkerze auf dem Tisch brannte. Beim Schein der Blitze und der Kerze sahen die Beherbergten über der eingelegten Kommode ein seltenes

Stück. Einen kleinen Spiegel, vom Alter schon ein wenig blind, aber in einem kunstvollen Rokokorahmen aus schwerem Silber. Die Hausfrau folgte ihren Blicken: „Ein altes Familienstück", sagte sie. „Der Urgroßvater meines Mannes soll es von der Kaiserin Maria Theresia erhalten haben, bei der er mit anderen Tirolern als Abgesandter war.“ Und sie nahm den Spiegel von der Wand und zeigte den Gästen das zierlich eingravierte Monogramm, ein MTK, und darüber die deutsche Kaiserkrone.

„Der Spiegel könnte wohl viel erzählen", meinte ein junges Mädchen aus der Gesellschaft.

„Es knüpft sich an ihn eine alte Über-lieferung", bemerkte die Hausfrau. „Als ich vor fünfundzwanzig Jahren hieher heiratete, hat mich meine Schwiegermutter vor den Spiegel geführt. .Wenn du traurig bist, wenn dich Sorgen oder Zweifel quälen, so schau in das Glas! Eine große, vom Sch ick- sal geprüfte Frau hat ihn den Frauen unseres Hauses gespendet. Vielleicht ruht ihr Segen auf ihm.’ Und meine Schwiegermutter erzählte mir, daß sie einmal als junge, lebensheiße Witwe zu einem Fest geladen war, hei dem wohl eher der Teufel als der liebe Gott der Gastgeber war. Vor dem Aufbruch trat sie an all ihrem Schmuck noch rasch vor den Spiegel. Da bedünkte sie mit einemmal, als sehe ihr Gesicht über dem schönen Kleid fahl und verzerrt daher, ihr Aufputz grell und schreiend. Sie verlor jede Lust, zu dem Fest zu gehen, und blieb die Nacht an den Betten ihrer Kinder, immer mit dem Gefühl, als sei sie einer schweren Gefahr entronnen."

„Die Stimme des Gewissens", belehrte ein Professor aus der Gesellschaft.

„Wohl möglich", sagte die Hausfrau, „aber warum sollte die hohe Macht, die unser Schicksal lenkt, siA niAt auA des Glases und des Metalles bedienen, um diese Stimme in uns zu wecken?“

„Und Sie selbst, gnädige Frau, haben auA Sie die Einwirkung des Spiegels erfahren?“ Die Hausfrau läAelte: „IA hatte als junge Frau ein heftiges Temperament, und es gab bisweilen Streit im Hause. Kam iA dann an dem Spiegel vorbei und sah darin mein vor Zorn verzogenes GesiAt, dann ärgerte iA mich über meine HäßliAkeit und trachtete, rasA wieder SAönwetter zu machen, und ich bin dabei gut gefahren.“ Und ernst fuhr sie fort: „Vor zwei Jahren, als wir die NaAriAt erhielten, daß unser Sohn in der GefangensAaft gestorben sei, da habe iA den Spiegel mit einem TuA verhüllt. NaA ein paar WoAen konnten mein Mann und iA es aber niAt länger ohne sein sanftes Glänzen aushalten, und iA nahm die Hülle wieder ab. Da war es uns, als sehe uns aus dem halbblinden Glas wie aus einem unendliA tiefen, klaren Brunnen das GesiAt unseres Buben entgegen, so wie er beim Abschied davor gestanden war, gefaßt und voll Zärtlichkeit. Da sAämten wir uns unserer versAwollenen Wangen und geröteten Augen und be- sAlossen, dem Spiegel bis zum Ende unserer Tage nur heitere und ergebene Mienen zu zeigen, wie es seine Spenderin wohl auA gewollt hat." Sie nickte dem alten Stück liebevoll zu und hing es wieder an seinen Platz ober der Kommode.

Die Gäste aber vermeinten, in dem ersten Sonnenstrahl, der wieder ins Zimmer braA, aus dem Wunderglas viele Gesichter blicken zu sehen, die siA im Laufe von fast zwei Jahrhunderten darin gespiegelt hatten: bräutliche Mädchengesichter, die gestrafften Züge reifer Männer und Frauen, die runzeligen Wangen alter Leute, denen aus dem Spiegel sAon der SAein der Ewigkeit ent- gegenleuAtete. Hinter allen aber voll wissender Güte das Mutterantlitz der großen Kaiserin.

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