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Mit bildender Kunst als Inspirationsquelle für Literatur befasst sich eine äußerst beachtliche Neuerscheinung: Das "Handbuch der Kunstzitate“ spricht Kunst- wie Literaturliebhaber an.

"Worte und Bilder sind Korrelate, die sich immerfort suchen.“ In einem einzigen Satz umschrieb Johann Wolfgang von Goethe die lange Geschichte der Beziehung zwischen Literatur und bildender Kunst. Denn so alt wie die Literatur ist das Bedürfnis der Schriftsteller Bilder, Skulpturen, Grafiken in poetische Sprache zu übersetzen. Alle Größen der Literaturgeschichte, etwa William Shakespeare, Dante Alighieri oder Friedrich Schiller, haben sich in diesem Metier versucht. Und geht man die Reihe der europäischen Autorinnen und Autoren des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart durch, so wird man auch hier fündig. Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Paul Celan, Elfriede Jelinek oder Ernst Jandl - sie alle haben in ihren poetischen Werken Dialoge mit Bildern oder Skulpturen unterschiedlichster Kunstepochen aufgenommen.

Aber welche Motivation haben Schriftsteller überhaupt, nicht die Natur oder das Leben, sondern Bilder oder Skulpturen zu verbalisieren? Inspiriert die Betrachtung eines Werks der Schwesterdisziplin besonders zu produktiven Ergüssen in der eigenen Kunstform? Und welche Funktion hat ein Text zu einem Kunstwerk eigentlich: Soll er es ergänzen, hinterfragen oder ersetzen?

"Lust am Text ist Lust am Bild“

Bildbeschreibungen lassen sich bis zu den Anfängen der Literatur zurückverfolgen. Bereits Homer hat die Latte hochgelegt und in der "Ilias“ eine so grandiose Bildbeschreibung geliefert, dass nachfolgende Dichter sich die Finger wund schrieben - in der Hoffnung sich dieser anzunähern. In 130 Versen schildert Homer einen kunstvoll gestalteten Schild, dabei lässt er die Hörer oder Leser an dem Entstehungsprozess des Werks teilhaben. Nicht das vollendete Kunstwerk wird vor Augen geführt, sondern dessen Fertigung in der Schmiede. Homers Schilderung charakterisiert zugleich eine spezielle Form eines "Kunstzitates“: die des fiktiven. Dabei handelt es sich um die Beschreibung eines imaginären Kunstwerks, das zwar Stilmerkmale tatsächlicher Bilder aufweisen mag, die ein Autor aus seiner Umwelt kennt, letztendlich aber nur in der Fantasie des Schreibenden existiert.

Meist beziehen sich Texte zur bildenden Kunst jedoch auf existierende Werke. In Zeiten, als es keine Fotografie, keine Fotokopien und keinen Massentourismus gab, war die Aufgabe von literarischen Texten über Kunstwerke unter anderem das abwesende Bild möglichst lebendig durch Sprache zu vergegenwärtigen. Wer nicht die Möglichkeit hatte, ein Original zu sehen - und das hatten die wenigsten - konnte sich ein Werk durch genaue Beschreibung eines Dichters vorstellen. Dieser praktische Aspekt war aber auch schon vor der Erfindung der Fotografie nur einer von vielen. Vielmehr scheint die Beschäftigung mit der Schwesterdisziplin die eigene Arbeit zu befruchten - sie ist auch als eine Art Widerstand gegen die Grenzziehung zwischen bildender Kunst und Literatur zu verstehen, wie der österreichische Autor Helmut Eisendle meinte: "Die Lust am Text ist eine Lust am Bild, ist eine Lust an Farbe, an Malerei.“

Rilke über Leonardos Abendmahl

Die Art und Weise, wie Schriftsteller Bilder in Texte übertragen, fällt dabei ganz unterschiedlich aus. So gibt es Bildgedichte, die ein einzelnes Meisterwerk der Kunstgeschichte in knappen Versen interpretieren wie etwa Rainer Maria Rilkes "Das Abendmahl“ (1904) zu Leonardos gleichnamigem Wandgemälde, genauso aber lyrische Texte, die von einer Bildbetrachtung ausgehend sprachlich weiter assoziieren wie Friederike Mayröckers "Schreibweise vom Körper, auch dies / zu Salvador Dalí: Dreieckige Stunde (1933)“: "Der bläuliche Purpur eines Frauenprofils in den Wolken über dem Felsengrat, also Frau mit horizontal abstehendem blondem Haarknoten, daneben die Wolkenblume, grüner Wesir, mit grün gelocktem Leib vorstellbar.“

Mitunter versuchen Autoren den ästhetischen Ansatz und die Programmatik eines Künstlers in Literatur zu übersetzen wie Peter Handke, der in seinem 1980 erschienenen Prosabändchen "Die Lehre der Sainte-Victoire“ Paul Cézanne zum "Lehrmeister“ erklärt, durch den der Ich-Erzähler die Wirklichkeit anders sehen gelernt habe.

Wie faszinierend bildende Kunst als Motivquelle und theoretischer Bezugspunkt für die Literatur ist, beweist eine außergewöhnliche Neuerscheinung, die trotz des hohen Preises in keiner Bibliothek fehlen sollte. Das zweibändige "Handbuch der Kunstzitate“, herausgegeben von Konstanze Fliedl, Marina Rauchenbacher und Johanna Wolf, ist nicht nur ein absolutes Muss für Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler, sondern auch ein Highlight für alle, die sich gleichermaßen für Literatur und bildende Kunst interessieren. Denn die beiden Bände versammeln in lexikonartigen Artikeln "Kunstzitate“ in literarischen Texten seit 1880.

Das Handbuch, das auf der akribischen und fundierten Arbeit eines vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderten vierjährigen Forschungsprojekts beruht, stellt 250 deutschsprachige Autorinnen und Autoren in alphabetischer Reihung vor, in deren Werken bildende Kunst in mehr oder weniger großer Intensität eine Rolle spielt. Dabei versteht sich das Handbuch "in erster Linie“, so die Herausgeberinnen, "als Kommentar und Anschauungshilfe“ zu den Texten der Autoren: "Damit erschließt es aber indirekt auch die kollektive Rezeption von ‚Kunst im Text‘ in der deutschsprachigen Literatur der Moderne und die Sequenzen von ‚Bildspendern‘, die Kanon- und Paradigmenwechsel.“

Aufforderung zu genauer Bildbetrachtung

Im Unterschied zu Gisbert Kranz’ "Das Bildgedicht“ (1980), das sich ausschließlich auf die Sammlung lyrischer Werke zur bildenden Kunst beschränkt, umfasst "Kunstzitate“ alle Arten von literarischen Textgattungen. Zugleich ist es ein bibliophiles Gustostück, denn die betreffenden Kunstwerke sind farbig bei den jeweiligen Beiträgen abgebildet - begleitet von exemplarischen Textstellen der Autoren. Wer stärker an bildender Kunst und weniger an Literatur interessiert ist, dem hilft ein Register bei der umgekehrten Suche. Über dieses lässt sich herausfinden, welche Bilder und Skulpturen besonders viele literarische Texte hervorgerufen haben. Heiß begehrt etwa van Goghs letztes Gemälde "Kornfeld mit Raben“ (1890), zu dem Paul Celan das Gedicht "Unter ein Bild“ (1956) verfasste. Der Vierzeiler fordert in seiner sprachlichen Verknappung erst recht zur genauen Bildbetrachtung auf, so als könnte man das, was im Text an Aussage verweigert wird, unter der Oberfläche des bemalten Leinens finden: "Rabenüberschwärmte Weizenwoge. / Welchen Himmels Blau? Des untern? Obern? / Später Pfeil, der von der Seele schnellte. / Stärkeres Schwirren. Näh’res Glühen. Beide Welten.“

Handbuch der Kunstzitate

2 Bände: Malerei, Skulptur, Fotografie in der deutschsprachigen Literatur der Moderne

Von Konstanze Fliedl, Marina Rauchenbacher, Johanna Wolf (Hg.), De Gruyter Verlag, Berlin/Boston 2011, 966 Seiten, e 307,40,-

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