MÄRKTE der Angst

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Die Ökonomie spricht nicht gerne über die Angst, aber als Motor für Geschäfte ist sie ihr willkommen. Aus dem Innenleben eines Kapitalmotors.

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Die Ökonomie spricht nicht gerne über die Angst, aber als Motor für Geschäfte ist sie ihr willkommen. Aus dem Innenleben eines Kapitalmotors.

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Die 70er-Jahre in der Ökonomie, - das könnte man heute rückblickend so fidel sagen - das waren noch Zeiten! Unternehmungslustig, aufrührerisch, visionär. Die Menschen müssen enorm optimistisch und von den Fähigkeiten der menschlichen Logik eingenommen gewesen sein. Zumindest am Chicagoer Universitätsinstitut für Ökonomie. Dort wurde in diesen Jahren ein Überwesen geschaffen, das der "angstfreie Akteur" genannt wurde.

Dieses durch und durch rationale Individuum, das über alle "relevanten" Informationen der Märkte verfüge, hieß es, könne die freie Wirtschaft mit seinen objektiven Entscheidungen, den "Rational Choices and Expectations" steuern und damit einen Traum der ökonomischen Wissenschaft verwirklichen: Echte marktwirtschaftliche Effizienz. Der angstfreie und affektfreie Supermensch war die ideale Figur für die "Unsichtbare Hand", die in der von ihr beeinflussten Welt alles hin zum Reichtum fügt.

Und so angstfrei sieht die Ökonomie als Lehre das auch heute noch. Selbst in der jüngsten Ausgabe (2010) des einflussreichsten Lehrbuchs der Ökonomie von Paul Samuelson und William Nordhaus (die keine Neoklassiker sind) findet sich das Wort "Angst" kein einziges Mal, "Panik" scheint gerade zweimal auf, wenn es darum geht, Finanzblasen als "Abnormitäten" abzuhandeln und zu versichern, dass "ein Sturm auf unsere Banken in unserem modernen Finanzsystem selten und auch weniger gefährlich ist".

Die Wirklichkeit hält sich freilich nicht an Lehrbücher, die alles außer Krisen und Irrationalitäten der Märkte erklären können. Sie sät ganz ungeniert Angst und Panik in die Marktteilnehmer, lässt Blasen platzen und Milliardensummen an Vermögen einfach verpuffen. Niklas Luhmann hat einmal in soziologischem Zusammenhang behauptet: "Die Angst ist das Prinzip, das nicht versagt, wenn alle Prinzipien versagen". Das kann man auch für die Wirtschaft annehmen.

Tatsächlich schädigt Angst nicht nur. Die Wirtschaft profitiert auch von ihr, und zwar auf verborgene oder im wahrsten Sinne des Wortes "un-verschämte" Weise. Ein amerikanisches Unternehmen wirbt beispielsweise erfolgreich mit "Fear Selling":"The tactics and techniques that are proven to trigger buyers to buy quicker 78 Percent of the time." Hier wird die Angst zur Geld-Maschine.

Doch bei solchen offensichtlichen Marktschreiern bleibt es nicht. Die Angst kommt oft auch im weißen Kittel daher. Wir erinnern uns an die verschiedensten Arten von Epidemien und Pandemien die den Globus heimgesucht haben: BSE (2000), SARS (2003), Schweinepest (2006), Vogelgrippe (2008/09), Schweinegrippe (2009/10), EHEC (2011). In den Jahren 2000 bis 2011 wurden von Pharmakonzernen und Regierungen Kampagnen gefahren, um vor den Gefahren der Seuchen aufmerksam zu machen.

Furcht in weißen Kitteln

Mit dabei: die Weltgesundheitsorganisation, die 2010 im Fall der Schweinegrippe die höchste Seuchenstufe "Pandemie" ausrief, obwohl die Krankheit weniger Menschenleben forderte, als jede normale Grippe.

Dennoch: Staaten deckten sich mit Schutzmasken ein, Apotheken wurden von verängstigten Bürgern belagert um die Grippemedikamente Tamiflu, Panthrix oder Relenza zu bekommen. Allein vom Impfstoff gegen die Schweinegrippe wurden damals 440 Millionen Dosen verkauft und 5,2 Milliarden Dollar umgesetzt. Der Sandoz-Konzern machte allein mit Tamiflu 2,7 Milliarden Euro Umsatz. Gerade hier zeigte sich die fruchtbare Tätigkeit von sogenannten "Angstunternehmern". In diesem Falle waren das auch einige Experten, Ärzte und Gesundheitsspezialisten die vordergründig um die Menschheit besorgt zu massenhaftem Kauf von Medikamenten rieten. Später sollte sich allerdings herausstellen, dass sie auf der Payroll diverser Pharmariesen gestanden hatten, wie der Aufdeckungsjournalist Rob Stein in der Washington Post 2010 nachwies und das britische Branchenmagazin The Lancet später bestätigte.

Schmutzige Geschäfte

Angst tritt oftmals nicht einmal als Angst in Erscheinung. Sie tarnt sich vielmehr als Wunsch. Geradezu exemplarisch passiert das im Hygiene- und Putzmittelbereich. Viele werden da jetzt gönnerisch schmunzeln: Was soll das wohl mit Angst zu tun haben? Ein plakatives Beispiel aus der Fernsehwerbung: Im Werbespot für Putzmittel - sagen wir es heißt "Mister Klopper" - jagt ein muskelbepackter Geist Milben und Bakterien aus dem Haus.

Dieser Spot ist nicht für jene gemacht, die den Reiniger schon haben, sondern für die Noch-nicht-Konsumenten. Während deren Ich noch über die lustigen Staubmonster lacht, fragt sich das Unbewusste bereits, wie viele Milliarden Dreckschleudern eigentlich in der eigenen Wohnung am Werk sind. Anstatt das aber dem rationellen Denken zu melden, vergräbt es die Sorge. Sobald die Konsumenten aber im Supermarkt vor dem Regal stehen, teilt das Unbewusste sich mit und bevor der Mensch noch überlegen kann, hat die Hand auch schon zu "Mister Klopper" gegriffen.

Psychologisch haben wir es hier mit der Erzeugung eines "Affekts" (Schmutz-Angst) zu tun, der mit einem Vorschlag zu seiner "Abfuhr" (Meister Klopper) verbunden ist. Diese Botschaften, die nicht bewusst wahrgenommen werden, kommen zweifellos an. Allein in der Europäischen Union werden pro Jahr mindestens 3,5 Millionen Tonnen Putzmittel verwendet. Die Bürger der EU geben pro Jahr 15 Milliarden Euro für Reinigung aus.

Das lukrativste Geschäft mit der Angst ist aber jenes mit der Unvorhersehbarkeit. Rechenkünstler haben daraus ein umgekehrtes Glücks-Spiel gemacht: Die Versicherung.

Glücks- und Unglücksspieler

Während der Roulettespieler im Casino mit der Wahrscheinlichkeit spielt, ein Glücksfall werde eintreten, macht die Versicherung ihr Geld damit, dass ein Unglücksfall nicht eintreten wird. Die Versicherung hat dabei wie der Glücksspieler ein Risiko zu tragen - wenn auch ein wesentlich kleineres. Das kann sich aber im unwahrscheinlichen Ernstfall katastrophal auswirken, wie etwa in der Finanzkrise 2008.

Da waren Hauskredit-Versicherungen gebündelt und als Finanzvehikel gehandelt worden. Im Absturz wurde auch der größte US-Versicherer, die American International Group (AIG) in den Strudel der Krise gezogen. Der Staat musste mit 182 Milliarden Dollar einspringen um AIG zu retten. Überspitzt formuliert wurde die Angst vor dem Schadensfall "Zahlungunfähigkeit einzelner Kunden" als Vermögen verkauft, um am Ende als ein Alptraum von Schulden allen anderen Bürgern aufgehalst zu werden.

Aber die Schatten der ökonomischen Angst reichen noch tiefer, so tief, dass sie im rein rational Bestimmten wieder auftauchen. In den digitalisierten Märkten und im Hochfrequenzhandel auf den Finanzmärkten. Dort werden Transaktionen in Bruchteilen von Sekunden abgewickelt und zwar in Richtung der Kurstrends. Wenn es also zu einem raschen Kurssturz kommt, muss der Impuls des Programmes dahin gehen, die Verluste zu minimieren - also ebenfalls zu verkaufen. Er reflektiert und maximiert so eine Verkaufspanik. Wenn man es also recht bedenkt, tut das Programm nichts anderes als das Unbewusste im Panikmodus, getreu dem Motto: "Rette sich wer kann!"

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