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Christlich-germanische Begegnung

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Es war in den vergangenen Jahren Parteimaxime, alles Große und Bleibende im Wandel der Zeiten der „nordischen Seele“ zuzuschreiben und alle überkommenen Werte, die nicht dem Blut- und Rassemythos zu entsprechen schienen, zu entwerten. So war auch die Antwort auf die Frage, mit welchem Erfolg Germanentum und Christentum einander begegnet seien, schon im vorhinein entschieden: Rassentheoretisch gesehen, gehen Germanentum und Christentum auf völlig verschiedenartige Ursprungsgrundlagen zurück. Also konnte sich die Begegnung Germanentum und Christentum nicht nach Art eines friedlichen geistigen Aufbaues vollzogen haben, den das Christentum auf der frischen Bildsamkeit unverbrauchter Jugend der germanischen Seele vollführte, sondern es war eine Begegnung kampfvoller Art, bei der das Christentum als die widerstrebende Stofflichkeit von dem germanischen Geist, der nichtchristlichen nordischen Form, nur mit herrscherlicher Überlegenheit bezwungen werden konnte.

Wenn man dann an die Großtaten germanischen Geistes erinnerte, die du.ch ihren eigenartigen Gehalt auf christlichen Ursprung unverkennbar hinwiesen; wenn man jener Sdiöpfungen der Baukunst, Plastik und Malerei, der Epik Und Lyrik, vokaler und instrumentaler Tonkunst gedachte, jener theologischen und philosophischen Gedankenarbeit von Menschen, die gerade deshalb so überzeitlich sind, weil die Seele dieser Mensdien von christlichem Glaubensgut durch und durch erfüllt war, dann konnte man regelmäßig die Erwiderung vernehmen: „Gewiß, eine Wunderwelt von Geistestaten, aber — nicht zu danken dem christlichen, sondern gerade und nur dem deutschen Geist! Alles Große in der Welt des Geistes, des Ethos und der schaffenden Phantasie ist im Räume des deutschen Volkes nicht infolge des Christentums, sondern gegen das Christentum und trotz des christlichen Gehaltes, und zwar stets in zermürbendem Widerstreit gegen die „Vergiftung“ durch rassefremdes altbiblisches Wesen groß geworden.“

Gegenüber dem Chor dieser überheb-lidien Schreier, die auf das Christentum wegen seines angeblich „ar'tverderbcndcn“ Einflusses auf die Germanenseele ihre Anwürfe niederprasseln ließen, verdient eine Stimme gehört zu werden, die sich nicht aus Theologenkreisen, sei es der katholischen Kirche, sei es des evangelischen Bekenntnisses erhob, sondern von der Philosophie her kam; wir meinen den Leipziger Philosophen Theodor Litt. Er zählte zu jenen, die seit 1933 gegen den Strom schwammen; Zum Ärger seiner „nordischen“ Kritiker entdeckte er nach seiner neuhumanistischen Vergangenheit plötzlich seine „Liebe zum Protestantismus“. Neben anderen Schriften Veröffentlichte Litt kurz vor Ausbruch des Krieges, zu einer Zeit also, in der es immerhin noch möglich war, hie und da ein Buch herauszubringen, das nicht das Imprimatur Rosenbergs trug, die Schrift „D e r deutsche Geist und das Christ e n t u m“. Litt konnte es wagen; er hätte schon in den vorausgegangenen Jahren nicht bloß wie Cassius in Shakespeares „Julius Cäsar“ „zu viel“ gedacht und war darum „gefährlich“, sondern er hatte auch zu laut gedacht, nämlich in seinen Schriften mit seiner Meinung zum „Aufbruch der Nation“ nicht zurückgehalten. Er war darum 1937 vorzeitig „entpflichtet“ worden...

Litt fragt in jener Schrift, was denn das Wesen einer echten Begegnung sei, ob nicht gerade die Verschiedenheit der beiden Partner Germanentum und Christentum oder wie die rassentheoretisdne Terminologie einseitig Wertend sagt, die sogenannte „Artfremdheit“ des Christentums die Voraussetzung für die Fruditbarkeit dieser Begegnung bildet und ob man der Rosenbergschen Geschichtstheorie zustimmen könne, die auch in den christlichen Höchstwerten des deutsdien Volkes in Wirklichkeit nur g e r-manische Spitzenwerte unter orientalischer „Überfremdung“ und „Überlagerung“ sehen will.

Eine echte Begegnung darf nicht einem Handelsgeschäft gleichgestellt werden, bei dem sich das Endergebnis als ein rechnerisches Fazit aus den Beiträgen herauskalkulieren läßt, die die Kontrahenten in das Unternehmen hineingesteckt haben. Eine fruchtverheißende Begegnung wird sich immer zwischen Partnern vollziehen, die sich einander wegen ihrer artgemäßen Ungleichheit erst unter Uberwindung von Spannungsgegensätzen nähern können.

Würde ein Volk einer Begegnung nur insoweit Raum gewähren, als diese die Maße des bereits erreichten Lebensstandes einzuhalten verspricht, sich also im Rahmen einer selbstgewählten „Artgemäßheit“ bewegt, dann würde diese geistige Wechselrede, mit der eine Völkerbewegung zu vergleichen ist, gerade an dem Punkt abgebrochen, an dem sie die schönsten Früchte in Aussicht stellt. Denn wahrhafte Geistesfrucht kann nur dort gedeihen, wo sich die angestammte Art dem belebenden Hauch eines nach eigenen Maßen herangewachsenen Partners ohne ängstlidie Befangenheit hingibt.

Daß nun die gerade für eine fruchtbare völkisdie Begegnung unerläßlidie Voraussetzung der Ungleichheit der Partner bei der Begegnung Germanentum — Christentum zutrifft, steht außer Zweifel Das Christentum, so meint Litt — und er mag vielleicht mit dieser Auffassung in eine gewisse Übersteigerung hineingeraten sein, die wohl dem Einfluß der dialektischen Theologie zuzuschreiben ist —, trat stets mit dem Anspruch auf, das Wesen Gottes als etwas „ganz Anderes“ gegenüber dieser kreatürlichen Welt zu verkünden. Durch diese Verkündigung eines „ganz Anderen“ war das Christentum etwas „Herausfordernd-Paradoxes“, das zu Entscheidung aufrief. Gewiß, das Germanentum war im Besitze einer autochthonen Religion, in der sich ein ahnendes Wissen vom „ganz Anderen“ verdichtet hatte. Aber dieses Andere wohnte doch immer noch in einer viel vertraulicheren Nähe zu seinen Bekennern, als der Christ von der Majestät Gottes zu glauben gewagt hätte. — In dieser unvergleichlichen Transzendenz Gottes also war einer der Hauptg-ünde gegeben, daß Christentum und Germanentum durchaus nicht aufeinander abgestimmt waren.

Aber sollte vielleicht das Christentum doch nur „Stoff“ und Material gewesen sein, mit dem die Bildkraft der germanischen Volksseele zu ringen hatte? —

Es gibt im Umkreis möglicher menschlicher Erfahrung nichts, was diese Entmäch-tigung weniger vertrage als der Gehalt des christlichen Glaubens. Zum Stoffe, zu einem dem Menschengeist frei verfügbaren Material soll das herabgedrückt werden, das nur solange etwas bedeutet, als es als ehrfürchtiger Hinweis auf ein dem Menschen unausdenkbar weit Überlegenes verstanden wird! Nimmt man ihm diese Bedeutung, dann bleibt nicht noch ein irgendwie verwendbarer „Stoff“; nein, es bleibt überhaupt nichts übrig als leere Hülsen, nichtiger Wortschall. Wie aber diese des Sinnes entleerte Masse doch wieder in wahren Wunderwerken des Geistes sollte auferstehen können —1 das bleibt unergründlich.

Geschichtsphilosophische Erwägungen mögen vielleicht nicht immer streng zwingend sein. Wem aber seinerzeit Litts Beweisgänge nicht zwingend erscheinen wollten, der kann ihnen heute nicht mehr seine Zustimmung versagen — wenigstens nach der negativen Seite hin, nämlich nach der Ad-absurdum-Führung der Überheblichkeit, die in dem Spruche sich ausdrückt, daß am deutschen Wesen die ganze Welt genesen müsse, so daß sich auch das Christentum eine germanisierende Amalgimierung • gefallen lasseh müsse, um seine Existenz zu erhalten. Nein! Der Pangermanismus, der eine Neuordnung des Kontinentes, wenn nicht unseres ganzen Planeten vorzutäuschen versuchte, hat restlos das Medusenhaupt der „Genesung“ entlarvt, die er der Welt vorgegaukelt hat.

Wie einst aus dem Chaos der germanischen Völkerwanderung, so kann auch aus der Sündflut unserer Tage, die pangermanische Wahnträume heraufbeschworen haben, die versunkene Welt menschenwürdiger Lebensvoraussetzungen nur wieder im Zeichen eines H u m a n i s-' mus christlicher Prägung erstehen.

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