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Digital In Arbeit

Das unsichtbare Bild Vor dem Schirm

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Das Verfahren der magnetischen Schallaufzeichnung ist durch die weite Verbreitung, die das Heimmagnetophon in den letzten zehn Jahren gefunden hat, heute allgemein bekannt. Weniger bekannt ist die Tatsache, daß es inzwischen gelungen ist, das elektrische Signal, in das die Bilder in den Fernsehkameras umgewandelt werden, nach dem gleichen Grundprinzip auf Magnetband aufzuzeichnen. Das hört sich nun allerdings bedeutend einfacher an, als es in Wirklichkeit ist. Die grundsätzliche Schwierigkeit besteht darin, daß das Bildsignal wesentlich höhere Frequenzen enthält als das elektrische Tonsignal; die höchsten vorkommenden Frequenzen sind in der Bildtechnik etwa fünfhundertmal größer als in der Tontechnik. Um diese hohen Frequenzen aufzeichnen zu können, müßte man mit so hohen Bandgeschwindigkeiten und dementsprechend auch mit so großen Bandlängen arbeiten, daß ein solches Verfahren in der Praxis nicht verwendbar ist.

Dem menschlichen Erfindergeist ist es aber gelungen, hier einen Ausweg zu finden, der zwar neue Schwierigkeiten mit sich gebracht hat, die aber alle doch wieder gemeistert werden konnten. So läßt man nun ein mehrere Zentimeter breites Magnetband mit einer „normalen" Geschwindigkeit laufen, wie sie ähnlich auch in der Tonstudiotechnik Verwendung findet. Der „Magnetkopf", aber, der die Magnetisierung des Bandes im Rhythmus des aufzuzeichnenden elektrischen Signales bewirkt, wird gleichzeitig mit sehr großer Geschwindigkeit quer zur Laufrichtung des Bandes bewegt. Zu diesem Zweck sind mehrere solcher Magnetköpfe am Umfang einer während des Betriebes sich drehenden Scheibe angeordnet. Und sobald ein Kopf die für die Aufzeichnung vorgesehene Breite des Bandes überstrichen hat, beginnt am gegenüberliegenden Rand der nächste Kopf mit der Aufzeichnung. So wird das Bild in einzelnen, quer zur Bandrichtung liegenden Zeilen — jede umfaßt eine bestimmte Anzahl Fernsehbildzeilen — aufgezeichnet. Daneben werden noch nach dem normalen Magnettonprinzip der zum Bild gehörige Ton und verschiedene Hilfssignale aufgezeichnet.

Die bei diesem Verfahren neu auftretende prinzipielle Schwierigkeit besteht vor allem darin, daß es ja nicht von vornherein gewährleistet ist daß bei der Wiedergabe, die nach dem gleichen Prinzip erfolgt, die Magnetköpfe gerade genau dort über das Band gleiten, wo vorher die einzelnen Bildzeilen aufgezeichnet wurden. Das konnte erst durch sehr komplizierte, automatisch arbeitende elektronisch-mechanische Steuerungsapparaturen erreicht werden. Jahre mühevoller Forschungsarbeit waren notwendig, um dieses im Prinzip immer noch recht einfach erscheinende Verfahren so durchzuentwickeln, daß es auch unter den normalen Betriebsbedingungen und -erfordernissen im Fernsehstudio einwandfrei arbeitet.

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Damit aber haben sich die Wunder der Technik wieder um ein recht eindrucksvolles vermehrt. Da- haben wir nun ein Magnetband vor uns, das sich äußerlich nur durch die größere Breite (und den relativ enorm hohen Preis!) von einem gewöhnlichen Tonband unterscheidet. Und doch enthält dieses Band nach der Aufnahme, für das Auge unsichtbar, neben dem, Ton einer ganzen Fernsehsendung auch das dazugehörige „Bild“ mit allen Schattierungen, allen Bewegungen, mit dem Augenaufschlag der Darstellerin und dem leisen Lächeln ihres Partners. Während man auf einem Film nach der Entwicklung, wenn auch nicht die Bewegung, so doch die einzelnen Phasenbilder wie Photographien mit freiem Auge betrachten kann, ist an dem „bespielten“ Magnetband nichts zu sehen. Erst auf dem Bildschirm wird aus der unsichtbaren Aufzeichnung elektrischer Impulse wieder das Bild jener Objekte und Vorgänge, auf die während der Aufnahme die Fernsehkameras gerichtet waren.

Vor kurzem hat auch das Österreichische Fernsehen eine solche Bandaufzeichnungsanlage in Betrieb genommen. Als erstes wurde die bei uns live übertragene Inszenierung des „Don Pasquale" aufgezeichnet, damit sie zu einem späteren Zeitpunkt in der Deutschen Bundesrepublik gesendet werden kann.

Mit der magnetischen Bildaufzeichnung hat man nun erstmals die Möglichkeit, eine Fernsehsendung festzuhalten und mit einer Bildqualität wiederzugeben, die mit derjenigen der Originalsendung vergleichbar ist. Filmaufzeichnungen kann auch der erfahrene Laie von einer Live-Sendung unterscheiden, bei einer Bandaufzeichnung ist diese Unterscheidung unter Umständen auch für den Fachmann schwierig. Das bringt nun in zweierlei Hinsicht eine Gefahr mit sich und legt dadurch den Fernsehleuten eine ganz besondere Verantwortung auf.

Es ist doch heute so, daß der Rundfunk, der ja auch die Möglichkeit der „Live-Sendung“ hat, vorwiegend zu einem Verbreitungsmittel von Tonkonserven geworden ist und stets auch als solches angesehen wird, was den Wert oder Unwert der einzelnen Sendung in keiner Weise berührt. Wenn wir nun an die Faszination des Miterlebens, des „Dabeiseins“ denken, die wir in den Anfangszeiten des Rundfunks so deutlich gespürt haben, so müssen wir feststellen, daß wir sie heute kaum mehr empfinden, selbst wenn der Rundfunk tatsächlich eine Direktübertragung, also eine „Live-Sendung“ bringt.

Anders beim Fernsehen. Hier bedeutet uns die Gleichzeitigkeit von Ereignis und Empfang, die zeitlose Überwindung des Raumes noch etwas, hier erleben wir noch das Dabeisein. Damit uns diese Erlebnismöglichkeit erhalten bleibt, ist es aber notwendig, daß einerseits die Live-Sendung weiterhin einen entsprechenden Anteil am Gesamtprogramm hat, und daß anderseits der Zuschauer stets verläßlich darüber informiert wird, ob es sich jeweils um eine Live-Sendung oder um eine Aufzeichnung handelt. Denn was schon auf unserer letzten Femsehseite bezüglich der Filmaufzeichnung gesagt wurde, das gilt im Prinzip auch für die Bandaufzeichnung. Wenn auch der Zuschauer der Sendung nicht unmittelbar ansieht, ob es sich um Live oder Band handelt, so kann er doch die Bandaufzeichnung gelegentlich einmal als solche erkennen, sei es infolge eines technischen Defektes, sei es, daß er davon Kenntnis erhält, daß beispielsweise ein Mitwirkender der Sendung zur gleichen Zeit an anderer Stelle auftritt. Und wenn ein einziger solcher Vorfall dazu führt, daß das Vertrauen des Zuschauers in das Fernsehen erschüttert wird, so ist für diesen das echte Erlebnis der Live-Sendung ein für allemal verloren.

Das zweite Problem betrifft den oft apostrophierten, aber noch keineswegs eindeutig definierbaren „Fernsehstil“. Tatsache ist nur, daß bisher der Stil des Fernsehens zu einem beträchtlichen Teil von den Wesensmerkmalen der Live-Sendung geprägt wurde, unter denen die Zeitkontinuität, von der schon letztesmal die Rede war, sicher eine grundlegende Rolle spielt.

Nun besteht aber für das Band die prinzipielle Möglichkeit des „Schneidens“ wie beim Film. Wenn auch die technische Durchführung des Bandschnittes noch auf einige Schwierigkeiten stößt, in absehbarer Zeit wird man ihn sicher völlig beherrschen. Das kann nun dazu führen, daß im Fernsehen in Zukunft viel mehr als bisher Gestaltungselemente des Films zur Anwendung kommen oder daß diese mit den Elementen der Live-Sendung vermischt werden. Es soll hier gar keine Prognose gestellt werden, inwieweit das, im allgemeinen gesehen, für die Entwicklung des Fernsehens und das Erlebnis des Zuschauers von Vor- oder Nachteil sein kann. Wesentlich ist, daß die Verantwortlichen des Fernsehens sich dieser Tatsachen und Möglichkeiten bewußt sind und ihre Entscheidungen nicht allein den Routineerfordernissen des täglichen Programmbetriebes unterordnen.

Wenn wir im besonderen noch das Fernsehspiel unter diesen Aspekten betrachten, so wird allein durch die zum Teil großartigen Ergebnisse, die mit den Mitteln der Live-Sendung bisher erzielt wurden, die Forderung gerechtfertigt, solche Fernsehspiele auch dann mit allen Merkmalen einer Live-Sendung zu gestalten — und nur mit ihnen —, wenn solche Sendungen gelegentlich aus produktionstechnischen Gründen auf Band aufgezeichnet werden. Denn gerade die Live-Sendung ist es, mit der uns das Fernsehen das bringt, was uns eben nur das Fernsehen bringen kann: das Bild des lebendigen Menschen und des vielfältigen Lebens.

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