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Leistung und Leben

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Vor 80 Jahren, am 12. Oktober 1889, wurde Erich Przywara geboren, der Theologe und Philosoph, den man im ersten drittel des Jahrhunderts den unbestritten führenden Kopf des deutschen Katholizismus nannte, von dem in den fünfziger Jahren gesagt wurde, er sei wie ein einsamer erratischer Block inmitten der Theologie seiner Tage, beunruhigend in seinen äußeren und inneren Ausmaßen, der Kühnheit seiner Konzeption und Kraft der Gedanken. Und von dem Karl Rahner im vergangenen Jahr aussprach, was die Überzeugung Gertrud v. Le Forts und Reinhold Schneiders seit langem war, daß Przywaras Zeit erst noch im Kommen sei.

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Vor 80 Jahren, am 12. Oktober 1889, wurde Erich Przywara geboren, der Theologe und Philosoph, den man im ersten drittel des Jahrhunderts den unbestritten führenden Kopf des deutschen Katholizismus nannte, von dem in den fünfziger Jahren gesagt wurde, er sei wie ein einsamer erratischer Block inmitten der Theologie seiner Tage, beunruhigend in seinen äußeren und inneren Ausmaßen, der Kühnheit seiner Konzeption und Kraft der Gedanken. Und von dem Karl Rahner im vergangenen Jahr aussprach, was die Überzeugung Gertrud v. Le Forts und Reinhold Schneiders seit langem war, daß Przywaras Zeit erst noch im Kommen sei.

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Was war die Leistung, wie verlief das bisherige Leben Przywaras, dem, wie ebenfalls Karl Rahner in seiner Laudatio bestätigte, die heutige Öffnung der Kirchen zueinander und der katholischen Kirche zur Welt soviel verdankt? Und der doch immer die einlinigen Bestrebungen zurückrief in die Schwebe der Gegensätze und ins Kreuz des Ertragens der Spannungen? Der die Gefahren der Vereinseitigung allemal schon voraussah, wenn er selbst den ersten Anstoß zu einer notwendigen Gegenrichtung zum Bestehenden ins Gespräch warf? — Dessen philosophisch-theologische Analogia-entis- Lehre das Augustinische „Je-Übey- Hinaus Gottes über je alles, was von ihm gedacht oder ausgesagt werden kann” in der Fassung des Vierten Laterankonzils der „je größeren Unähnlichkeit”, als durchwaltende „Ur- Struktur” und „All-Rhythmus” unserer erfahrbar-unerfahrbaren Welt in allen Bereichen aufdeckt. — Przywara, der — wie Alex Stock in seiner Gegenüberstellung zu Balthasar gültig nachweist — die Analogia ftdei als „Grundstruktur des Gesamt-Rhythmus der zueinander hingespannten Offenbarungsaussagen”, und so als „Prototyp. Erst-Prägung, und zugleich Letzt-Fülle der Analogia entis” aufweist, da „ihr Gegensatz-Ganzes in der Liebe, der Agape, höchstes Eins und damit aufgesprengt ist in das je größere Geheimnis Gottes” (in dem allein „absolute Liebe” und „Eins aller Gegensätze” ist). — Przywara, der das „Commercium” (die Kat-allage), den liebenden Austausch zwischen Gott und Welt in Christo, als das Zentrale christlicher Offenbarung, und den Mitvollzug von Gottes liebendem Abstieg zu Welt und Mensch als das Entscheidende christlicher Gottnähe ausweist?

Zu dieser Lebensleistung könnte man eine entsprechende Einteilung seines Schaffens in Lebensperioden — wenn auch ebenso stark verkürzt und vereinfacht — zuordnen. Es gäbe danach:

Eine erste Periode der zwanziger Jahre, von der man die „Polarität” als das Neue vermerkt bat, das Przywara auf religions-philosophi- schem Gebiet in sein öffentliches Wirken eingebracht habe, das der scheidenden Klärung in den Fragen der religiösen Bewegungen seiner Zeit und dem kontroverstheologischen Gespräch galt.

Eine zweite Periode der dreißiger Jahre, die vom Erscheinen der „Analogia entis” und des Werkes „Deus semper major”, des Ignatiani- schen „Gott je immer Größer”, beherrscht ist.

, Eine dritte Periode der fünfziger Jahre, in deren Werken „Alter und Neuer Bund”, und etwa auch „Mensch” die Analogia fidei herausgearbeitet wurde.

Und einer vierten Periode des Beginns der sechziger Jahre, da Przywara im letzten Kapitel des Werkes „Lagos” das Je-mehr der sich ständig übersteigenden Sequenzen des „admirabele commercium” — wie es Paulus und von ihm her die Weih- nachtsliturgie nennt — zu letztgül tiger Form aufquadert.

Fin gigantisches Lebenswerk

Eine solche Einteilung kann freilich gerade Przywaras Lebenswerk nicht gerecht werden und nur eine Hilfe zu erstem Überblick sein. Denn wie vom ersten Tag an sein Schaffen zugleich in den Bereichen von Philosophie wie Theologie, geisteswissenschaftlicher und historischer Auseinandersetzung mit der Zeit, und auf seelsorglich-religiösem Gebiet verläuft, und wie er sich, immer und für alle Bereiche der Medien des Vortrags, der Aufsatz- und Rezensionstätigkeit, der großen geschlossenen Werke, der Dichtung und der Predigt gleichzeitig bedient — so formen sich zeitlich bereits in den Ausbildungsjahren die ersten Grundlagen und Linien jener Konzeptionen und Anliegen, die sich allmählich und auf allen . Denkebenen zugleich auseinanderentwickeln, befruchten und klären werden, ehe sie zu einem späteren Zeitpunkt je zu einer vorläufigen Endgestalt auskristallisieren. Deren Themen aber in seinem vielseitigen Schaffen immer schon vorher und späterhin noch stärker hervortreten werden.

Fragen wir, ehe wir uns dem Lebenslauf zuwenden, nach der quantitativen Leistung, die ihm entsprang, so nennen uns die 1963 erschienene Bibliographie von Leo Zimny und eine Ergänzung in der soeben im Patmosverlag erscheinenden Festschrift folgende Zahlen:

• 50 Buchveröffentlichungen und weitere 20 Ubersetzungsausgaben im Ausland.

• Rund 800 Einzelbeiträge — davon 400 große Aufsätze — in 70 deutschen und ausländischen Fachorganen.

• Zwischen 1923 und 1938 hielt Przywara 270 freigesprochene akademische Vorträge; seit 1953 wurden 80 Rundfunkvorträge von ihm ausgestrahlt Sein gewaltiges Predigtwerk, soweit es aus Unterlagen rekonstruierbar ist, ist noch nicht gesichtet.

Diesem Gesamtwerk entspricht das wissenschaftliche Echo von 80 eigenständigen Arbeiten in Fachorganen und einem weiteren runden Tausend von Würdigungen in sonstiger Presse. Seit den fünfziger Jahren wurden 20 Rundfunkvorträge über ihn gesendet. 1968 hielt Professor Dr. Karl Rahner die Laudatio zur Verleihung des Oberschlesischen Kulturpreises von Nordrhein-Westfalen. Zum 65. Geburtstag erschien eine kleine Schrift, und zum 70. die Festschrift „Der beständige Aufbruch” mit einem Lebensabriß von Prof. Behn und 20 Beiträgen. Eine Widmung zum 80. trägt das Werk „Glaubenswelt als Analogie”, von B. Gertz, in dem erstmals Przywaras Gesamtwerk in über 400 Seiten auf die Analogia entis und fidei hin durchleuchtet und weithin zitiert wird.

Kindheit, Jugend, Studium

Erich Przywara wurde in Kattowitz in Oberschlesien geboren. Der Vater, aus polnischer Bauernfamilie stammend, aber früh schon Kaufmann, war überstreng und doch großzügig, und verband peinliche Genauigkeit und Arbeitspräzision . mit weitgespannter selbstloser Organisationstätigkeit in der Kaufmannschaft. Die Mutter, zart und verhalten, war böhmischer Herkunft, und trug außerdem das Erbe eines tieferen Ostens in sich.

Uber die formenden Eindrücke seiner Jugend schreibt Przywara:

„Sozusagen schon vom Kindergarten an stand ich auf Vorpostengefecht: Aus urkatholischem Hause stammend, lebte ich doch fast ausschließlich in der freimaurerisch-liberalen Umwelt unserer Kreise von Handel und Industrie. Interkonfessionelle Mittelschule und das freimaurerisch Gymnasium waren die Stätten, da sich mein Katholizismus früh seiner selbst bewußt ward, wo Erkenntnis und Aneignung fremden Wesens und klares Unterscheidungsvermögen sich formten, wo aber gerade dadurch Mut, Selbständigkeit und kämpferische Liebe zum eigenen Ideal sich pflanzten und erstarkten.” Mit solcher Geistesart ausgestattet tritt Przywara 1917 gleich nach dem Abitur mit 18 Jahren der „Compag- nia Jesu”, den Landsknechten Jesu bei, wie er gern die Societas gern nach dem spanischen Sinn übersetzt Der Antritt führt ihn vom östlichsten Vorposten Deutschlands nun über dessen Westgrenze hinaus.

Die 14 Jahre seiner Ausbildungszeit von 1908 bis 1922 führen ihn nach Exaten und Valkenburg in Holland und dazwischen ins österreichische Kolleg Stella Matutina in Feldkirch, da für die Ausbildungshäuser im damaligen Deutschland Verbot bestand. 1915 erscheinen seine Kirchenlieder, die, nach zehn Auflagen, teils bis heute Gesangsbuchgut wurden. Schon 1917 erscheint sein erstes kleines Werk „Eucharistie und Arbeit”, das rasch vier Auflagen und vier Übersetzungen im Ausland erreichte. Seine Auseinandersetzung gilt der Herausführung des Katholizismus aus seinem Kulturkampf-Ghetto in das allgemeine Geistesleben der Zeit. Vielen seiner Lehrer, unter denen Pater Augustin Bea der bekannteste Name ist, gilt sein lebenslanger Dank.

Es entstehen weitere fünf Werke, die bei Beendigung der Ausbildung im Druck vorüegen und in rascher Folge erscheinen. Sie wurden gesammelt als „Frühe religiöse Schriften” in unseren Tagen neu aufgelegt.

Das Werk aber, das Przywaras Ruf über die Grenzen hinaus begründete, war seine achtbändige Auswahl aus Newmans Schriften (in Karrers Übertragung) mit dem Band „Newmans Wesen und Werk”.

Bei den „Stimmen”

1922 wird Przywara — seit 1920 Priester und nunmehr 33 Jahre alt — dem Schriftstellerhaus der „Stimmen der Zeit” in München auf Lebenszeit zugeteilt Es beginnt von dort aus ein ungemein fruchtbares Wirken in die Öffentlichkeit hinein durch reichste Aufsatztätigkeit, durch laufende Vorträge und die Verfassung von weiteren 16’ Werken bis 1938 zu den während der Studien entstandenen acht Buchausgaben.

Seine schriftliche und mündliche Auseinandersetzung galt der gesamten Philosophie der Zeit von Kant bis Nietzsche, sie galt Origenes, Augustinus, Thomas, dem Cusaner, Luther und St. Ignatius, sie galt den Bewegungen der Zeit wie Quickborn und Neudeutschland, Liturgischer Bewegung und Una Sancta, Phänomenologie, Existentialismus und Psychoanalyse. Sie galt dem Kontroversgespräch mit dem Protestantismus.

Przywara spricht an sämtlichen deutschen Universitäten, gerufen von den Ausschüssen des Akademikerbundes, der Kantgesellschaft, des Euckenbundes und der Görresgesell- schaft; er ist eingeladen von den evangelisch-theologischen Fakultäten Deutschlands, der Schweiz und Hollands. Er spricht vor dem Kulturbund und auf der Logostagung in Wien, auf der Internationalen Katholischen Woche in Genf, auf den Hochschulwochen in Salzburg und Prag, auf den drei ostdeutschen Hochschulwochen in Neisse, auf der großen Ulmer Akademikertagung . und in Essen, auf dem Akademikerkongreß in München, dem Internationalen Thomistenbund-Kongreß in Prag. Vor Individualpsychologen und Psychotherapeuten in München und Dresden, am Rundfunk von Breslau, München und Stuttgart.

Er steht vor allem mit im Zentrum der beiden Internationalen Hochschulkurse in Davos 1928 und 1929, zusammen mit den geistigen Spitzen seiner Zeit; sowie auf dem Internationalen Philosophenkongreß in Prag 1934 mit Lėon Brunschwigck als Gesprächspartner, der eingesprungen war für Lunartscharsky, der als Vertreter des bolschewistischen Atheismus vorgesehen, aber kurz zuvor gestorben war.

Przywaras 1929 erschienenes Werk „Das Geheimnis Kierkegaards” war ein weiterer Meilenstein in der Ausbreitung seines Rufes, vornehmlich zum Protestantismus hin.

Den endgültigen Durchbruch aber als eigenständige, für immer mit Przywaras Namen verbundene Philosophie bildete das 1932 erschienene Werk „Analogia entis”, das, durch einen Zweiten Teil vervollständigt, 1964 neu aufgelegt wurde. Die meisten Würdigungen seiner Philosophie gelten diesem Werk.

1934 entstand das gewaltige Gefüge einer Augustinus-Auswahl in einer unverschönten, den Sinn unmittelbat aus der lebendigen Sprache des Originals herausarbeitenden Übertragung.

1938 bis 1940 erschienen als grundlegendes theologisches Werk die drei Bände von „Deus semper major”, Frucht früher Studien der Originaltexte des heiligen Ordensgründers und jahrelanger Erfahrungen in Exerzitien-Kurse für Ignatianische Laien.

Mit dem Jahre 1941 ist für Przywara diese Ära zu Ende, das Haus der „Stimmen” wird von der Gestapo aufgelöst, die Mitglieder verteilen sich, seine Gesundheit ist untergraben.

Er sucht in Kuren und Krankenhäusern Besserung von schwerer Krankheit. — Um die Mitte des zweiten Weltkrieges betraut den halbwegs Genesenden Kardinal Faulhaber in München mit der Altakademiker-Seelsorge. Przywara ringt sich von neuem eine gewaltige Leistung in Predigt-Zyklen, Einkehrtagen. und privaten, unter Gestapo-Drohung geheimgehaltenen Vortragszirkeln ab.

Seine sogenannten Bombenpredigten wurden berühmt. Man schrieb darüber:

„Von einer Woche zur anderen verkündete er: .wenn diese Kirche zerstört sein sollte, dann in jener’ — bis zuletzt: ,im Abstellkeller von St. Ludwig’. Es war das Geheimnis seines Wirkens, die Offenbarung so in das Heute hineinzustellen, daß die dogmatische Predigt gegenwartsnah war und die Wirklichkeit Gottes den Menschen in ihrer einmalig-jetzigen Situation lebendig wurde.” Strapaziöse Vortragsreisen bis Wien und ins Rheinland durch das kriegszerstörte Land zehrten auch physisch die letzte Kraft auf.

Physischer Zusammenbruch Im Herbst 1945 erfolgte ein totaler Zusammenbruch, der Przywara zu j ahrelangen Krankenhausaufenthalten und wechselnden privaten Domizilen bei pflegenden Freunden zwingt Seit 1941 schon hatten sich Freunde, besonders aus Bayrischen Adelskreisen, tatkräftig seiner angenommen, darunter Graf Konrad Pressing, damals Bischof von Eichstätt, nachmals Kardinal in Berlin. Als Przywara 1951 auf dem Lande eine bleibende Aufnahme findet, festigt sich seine Gesundheit von neuem; eine Welle drängender Erkenntnisse und Konzeptionen hebt die labile Gesundheit zur Höhe neuer Schaffenskraft.

„Was ist Gott”, eine Summula, „Hölderlin” und „Christentum gemäß Johannes” waren in Krankheitsjahren als Diktate entstanden und kamen bald heraus. — 1952 konnte das achthundertseitige „Standardwerk”, wie es genannt wurde, „Humanitajs. Der Mensch gestern und morgen” erscheinen, Frucht seiner geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung seit „Ringen der Gegenwart”, vermehrt um zwei neuerarbeitete Kapitel. Es fand den größten Widerhall all seiner Werke und begründete mit einem Schlag seinen Ruf unter einer neuen Generation.

Neben acht gewichtigen kleineren Schriften entstand 1956 aus den Predigt-Zyklen „Alter und Neuer Bund”, mit seinem wichtigen Nachwort zur Analogia fidei und zur Bildsprache der Offenbarung, ein Werk von starkem Einfluß grade wieder auf den heute jüngsten Klerus. — Und es entstand vor allem 1959 als Neuschöpfung „Mensch. Typologische Anthropologie”.

1967 kam als vorläufig letzte Ausgabe „Katholische Krise” heraus, herausgegeben von B. Gertz,, die Sammlung der Aufsätze seit 1923, in denen Jahrzehnte vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil dessen brennende Fragen aufgeworfen und ihre Grenzen unter den Kriterien der Offenbarung abgesteckt sind.

Seit sieben Jahren ist Przywaras Arbeitskraft erschöpft, Krankheit hat die Oberhand gewonnen über den rastlosen Geist. Aber immer noch wirkt Przywara, wie man in Genf einmal von ihm sagte, „wie ein Magnet auf Metallspäne”; noch immer kristallisierten sich Menschen um ihn an: ihm unbekannt gebliebene heimliche Freunde und Hörer der zwanziger Jahre treten nun erst in das Leben des .Altmeisters”, aber auch eine jüngere Theologengeneration von Wien bis Südamerika, sowie seine protestantischen Freunde und solche von Namen, stehen in befruchtendem und empfangendem lebendigem Austausch mit dem Jubilar.

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