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Arbeiter und Gewerkschaft

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Die österreichischen Gewerkschaften. Von Fritz Klenner. Erster Band. Mit einem Vorwort von Nationalrat Anton Proksch. Verlag des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien. 743 Seiten

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Die österreichischen Gewerkschaften. Von Fritz Klenner. Erster Band. Mit einem Vorwort von Nationalrat Anton Proksch. Verlag des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien. 743 Seiten

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Die Geschichte der Gewerkschaften ist, es sei in welchem Lande immer, identisch mit dem Fortschritt in der sozialen Neuordnung und der Sozialreform, damit aber auch mit der Geschichte jener Bewegung, ohne die sozialer Fortschritt einfach undenkbar ist, mit dem Sozialismus. Jede Gewerkschaftsgeschichte ist daher weitgehend auch eine Geschichte des Sozialismus. Das ist unvermeidbar, da man eben die Sozialgeschichte nicht von ihren politischen und metaökonomischen Bedingtheiten lösen kann. Es wäre daher widersinnig, anzunehmen, daß die jüngste, vom Gewerkschaftsbund herausgegebene und daher irgendwie offiziöse Geschichte der Gewerkschaften in Oesterreich, eine von politischen Fakten unberührte Darstellung bringen würde. Trotz allem aber und obwohl der erste Band lediglich die Geschichte der sozialistischen Gewerkschaften bringt, ist der sozialistische Autor bemüht, ein optimales Maß an Objektivität zu wahren und damit auf der Linie der Neutrali-sierungsversuche der Gewerkschaften zu bleiben.

Nach einer kurzen Schilderung der Anfänge des Berufsvertretungswesens der Arbeitnehmer in Oesterreich bringt das Werk die Geschichte der einzelnen Etappen, in denen sich die soziale Emanzipation vollzieht, im Wechselspiel oder oft nur am Rand der großen inner- und außenpolitischen Ereignisse, unter dem Druck der Polizeimaschine über die Zeit der Proklamation des allgemeinen Wahlrechtes hinweg bis zum Schicksalsjahr 1927. Stück um Stück wird auf diese Weise die österreichische Sozialgeschichte in ihrem wesentlichen Teil bloßgelegt, und zwar insbesondere für jene Zeit, die man in allzu großer Vereinfachung als die hochkapitalistische zu bezeichnen gewohnt ist. Ein von unerhörtem ökonomischem Aufstieg siegestrunkenes, in Phrasen von Freiheit und Fortschritt schwelgendes Großbürgertum, dessen ideologische Entsprechung der Liberalismus ist, hat es verstanden, seine ökonomische Position auch im politischen Raum abzusichern, zum repräsentativen, staatstragenden Stand zu werden und sich einen seinen Interessen dienlichen, stets „verläßlichen“ Staatsapparat zu schaffen. Die Machtposition der großen Unternehmer demonstriert sich in einem unerhörten und seit den Zeiten der Antike unbekannten Sozialterror. Die Arbeiter werden bis zu 16 Stunden an der Arbeit gehalten, Kinder- und Frauenarbeit gehören zur Regel auch in Verrichtungszweigen, die nur den Männern vorzubehalten wären. Das Wohnungselend, eine Folge der unorganischen Verstädterung und der Wucherzinse, nimmt Formen an, die zu Vergleichen mit der Ein-Wohnraum-Kultur der Fellachen zwingen. Die sozialen Fakten aber schaffen eine Atmosphäre, in der notwendig jene Explosionen entstehen müssen, die der Staatsgewalt Anlaß sind, die junge Arbeiterbewegung argwöhnisch zu betrachten. Die Situation kann von der Unternehmerseite aus keine Entgiftung erfahren, da das Bürgertum gegenüber den Forderungen der Arbeiterschaft ideologisch völlig hilflos ist. Sind doch diese Forderungen nach faktischer Anerkennung der Menschenrechte die gleichen Postulate, mit denen die Bürger einst in den Kampf gegen die alten Stände gegangen sind: Freiheit und Gleichheit. Aus den Grundthesen des Liberalismus heraus kann daher das Bürgertum den Arbeitern nichts entgegenhalten. Der Verfasser schildert uns in einer fesselnden Weise, wie es gelingt, in der sozialen Neuordnung Stück um Stück fortzuschreiten und jenes großartige Gebäude der Sozialgesetzgebung zu errichten, welches Oesterreich heute vor aller Welt als Vorbild dastehen läßt. Leider vermeidet es Klenner, auch den Beitrag jener Männer und Institutionen zu erwähnen, die entweder nicht parteigebunden waren oder einer anderen als der Sozialistischen Partei angehörten.

Amerika. Roman. Von Franz Kafka. S. Fischer Verlag. Lizenzausgabe von Schocken Books, New York. 361 Seiten. Preis 15.80 DM. ,

An diesem Buch, dessen Anfangskapitel unter dem Titel „Der Heizer“ bereits 1913 erschien, soll Kafka mit besonderer Freude gearbeitet und es fast ohne Korrektur niedergeschrieben haben. In der Tat ist dieser Roman mit seinen märchenhaft abenteuerlichen Zügen heiterer und lichter als die beiden andern der großen Trilogie. Man könnte die Geschichte des jungen Karl Roßmann als Bildungsroman mit negativen Vorzeichen — etwa in der Art des „Simplicius Simplicissimus“ — bezeichnen. Von seiner Familie verstoßen, kommt der 16jährige auf einem Auswandererschiff mit dem Heizer zusammen, findet durch diesen seinen reichen und mächtigen Onkel, bei dem er wie Hans im Glück lebt, wird nach einem schicksalhaften Besuch in einem Landhaus bei New York neuerlich verstoßen, findet Beschäftigung als Liftboy im Hotel Occidental und kommt schließlich in ein Asyl, dessen grotesken Unbequemlichkeiten er entflieht, um im Naturtheater von Oklahoma Beschäftigung und Freiheit, Freunde und Eltern, Heimat und Rückhalt zu finden. Leider ließ der Autor an der Schwelle zu diesem märchenhaftglücklichen Leben seinen arglos-unschuldigen Helden, der so viel leiden mußte, im Stich. Vielleicht war Kafka die Darstellung vollkommenen menschlichen Glücks in späteren Jahren nicht mehr möglich: die Geschichte Karl Roßmanns blieb Fragment. Bemerkenswert ist auch, daß sich in diesem Buch, als dem einzigen, Ansätze zu Naturbeschreibungen finden. „Eben ging die Sonne an dem geraden Rande ferner Wälder nieder“, würde man in einer anderen Erzählung Kafkas als Fremdkörper empfinden. Nicht so in diesem Werk das den Freund von Reisen und Reisebüchern verrät. Mit Recht weist Max Brod darauf hin, daß die besten Szenen von Amerika an Chaplin-Filme erinnern, die es damals freilich, als der Roman geschrieben wurde, noch nicht gab.

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